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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

der plötzliche Durst nach diesem Getränk trocknete Römpker die Zunge.

Aber seine Frau und seine Töchter fielen ihm ein, und daß er ihnen zeigen wollte, wie auch er Opfer bringen könne. Sollten sie heute allein dasitzen beim trübseligen Abendbrot? Und die umsichtige Rahel hatte wahrscheinlich für seine Leibspeisen gesorgt. Gewiß waren frisch gekochte Krebse da. Er sah im Geist die drei Frauen voll Wehmuth vor der ungewürdigten und vergebens beschafften Schüssel sitzen.

Das ergriff ihn. Nein, sein Platz war daheim bei den Seinen.

Und er wandte sein Roß und galoppirte davon, als sollte er dem Teufel entrinnen. –

Bald nach ihm schickte sich auch seine älteste Tochter an, das Haus zu verlassen. Sie setzte sich ihren großen weißen Gartenhut auf, den eine Fülle rother Mohnblumen zierte, und zog sich langsam und mit Bedacht ihre langen, hellbraunen Marseiller Handschuhe an.

„Du willst noch ausgehen?“ fragte Rahel verwundert, denn ihre Schwester hatte sonst keine Vorliebe für Promenaden. Sie behauptete von sich, sie sei eine Salonpflanze und es mache sie nervös, wenn sie ihre feinen und gutsitzenden Schuhe auf den Landwegen vertreten müsse.

Heute aber schien sie anders gestimmt zu sein. „Ich will allein spazieren gehen,“ antwortete sie vor dem Spiegel, wo sie noch ihre Erscheinung mit einem forschenden Blicke musterte.

Rahel schwieg. Aber ihr Auge haftete fest auf dem Bild der Schwester im Spiegel; und endlich fühlte Lea das und ihre Blicke trafen sich im Glase. Es war etwas in diesem festen, klaren Blick Rahels, was Leas Ungeduld erregte, aber auch die Wahrheit von ihr forderte.

„Nun ja,“ sagte sie, als wäre eine laute Frage an sie ergangen, „ich will ihn treffen. Mir scheint, das müßtest heute selbst Du begreifen.“

„Natürlich begreife ich es,“ erwiderte Rahel.

„Weshalb siehst Du mich denn so an?“ fragte die andere grollend. Aber mit einem kurzen „Adieu“ schritt sie unmittelbar danach aus dem Zimmer, als fürchtete sie doch die Antwort.

Rahel stellte sich an das Fenster und wartete, ob die Schwester drunten erscheinen würde. Sie bewohnten drei parkwärts gelegene Zimmer im ersten Stockwerk; das mittlere diente ihnen als gemeinsames Toilettenzimmer.

Ach, Rahel hätte wohl gewünscht, daß Lea an Clairon festhalte, denn diese bedurfte gewiß einer festen Hand, die sie durchs Leben leiten mußte. Von Erziehung war ja auf Römpkerhof keine Rede gewesen, man hatte die Töchter aufwachsen lassen, ohne sich je um ihre besonderen Fehler oder Eigenschaften zu kümmern. – Clairon aber hatte Charakter. Vielleicht war er auch wie Lea ein wenig Weltkind und voll von Standesvorurtheil, aber Rahel glaubte, daß gemeinsame Fehler zum besseren gegenseitigen Verstehen führen; denn sie sah bei ihren Eltern, wie keines die Fehler des anderen verstand und daher nicht imstande war, sie zu dulden oder zu bessern.

Da tauchte Lea unten auf. Sie brauchte den geschlossenen weißen Sonnenschirm als Stock und pflanzte ihn bei jedem Schritt immer weit vor sich her. Rahel kannte die Welt zu wenig, um zu wissen, daß dies unschön sei. Sie bewunderte ehrlich die Schwester, welche als unerreichbares Muster des „Chic“ in der Gegend galt.

Sie verfolgte sie mit tausend heißen Wünschen auf ihrem Weg und dachte immer wieder: „Hielte sie doch an diesem Mann fest, er und die Liebe könnten das Höchste aus ihr machen, wozu sie fähig ist.“

Leas Brust war von weniger weichherzigen Gedanken erfüllt. Um ihren stolzen Mund zog sich ein bitteres Lächeln, sie ging ohne jede Hast ihres Weges, hielt sich neben den großen Rasenflächen, die sich vom Schloß bis zum See erstreckten, und bog am Wasser rechts in einen Pfad ein, der sich hart am Ufer hinzog. Erlen bildeten hier eine Art Allee, an der Wasserseite tauchten die Bäume ihre Zweige tief in die Fluth. Aus einem schmalen Saum von Schilf, Krauseminze und Rasen stiegen die grauen, rissigen Stämme auf. Das Wasser, welches draußen im Abendsonnenschein funkelte, war hier im Schatten der belaubten Aeste schwarz. Eine sanfte Schwermuth schien zwischen diesen dunklen Erlen zu wohnen. Rechts hinter ihnen stand dichtes Unterholz.

Dieser Weg ging so zwischen Wasser und Wald, ohne seinen Charakter zu verändern, am Ufer hin bis zu jener Stelle, die dem Schlosse gegenüber freies Feld zeigte. Hier wandte er sich dann quer durch eine Brachkoppel und an Getreidebeständen entlang der Stadt zu.

Clairon hatte versprochen, diesen Weg dahergeritten zu kommen. Lea erwartete, ihn nicht vor dem Ende des Waldes zu finden, denn das Reiten unter den Erlen hatte seine Schwierigkeiten. Die Aeste hingen tief, der Boden war durchwurzelt. Aber er, von nur zu erklärlicher Ungeduld getrieben, hatte sich früher aufgemacht, als sie verabredet hatten.

Lea sah ihn daherkommen, sein Pferd am Zügel neben sich führend. Die schmale Allee schloß sich hinter ihm zu einem dunklen Hintergrund zusammen, vor welchem seine hohe Gestalt in der heitern Husarenuniform neben dem schönen Fuchs ein prächtiges Bild abgab.

Leas Auge leuchtete auf. Sie fand wieder wie jedesmal, wenn er ihr entgegentrat, daß er eine vorzügliche, ja fast blendende Erscheinung war. Seine Größe war für die Waffe, bei welcher er diente, ungewöhnlich und hätte ihn eher zum Kürassier geeignet erscheinen lassen. Aber durch seine schlanke Geschmeidigkeit glich sich das aus. Clairon war blond und trug einen Schnurrbart mit lang herabhängenden Enden, was seinem Gesicht im Verein mit der gebogenen Nase zugleich etwas Kühnes und Ernstes gab. Sein helles Auge blickte gerade und scharf.

Als er Lea sah, ließ er seines Pferdes Zügel los und lief ihr entgegen; zu gleicher Zeit hatte auch sie einige Schritte gemacht. Doch als sie nun nahe voreinander standen, waren sie beide von jäher Verlegenheit befallen.

„O Lea!“ sagte Clairon und griff nach ihrer Hand.

Leas Herz klopfte so stark wie das eines Menschen. der sich außer Athem gelaufen hat.

„Der Fuchs!“ sprach sie.

Clairon wandte sich nach seinem Thiere um. Das stand, nachdem es sich zweimal gedreht, hilflos und unmuthig da. Er that einen Pfiff und der Fuchs kam sogleich zu ihm her.

„Bitte um Verzeihung,“ sagte Clairon und hängte den Zügel sicher über einen Ast.

Dann kehrte er zu Lea zurück. Dieser kleine Vorgang, anstatt ihre Verlegenheit zu zerstreuen, hatte beide nur noch befangener gemacht. Sie fühlten beide, daß es sehr merkwürdig war, wie sie so voreinander standen, anstatt sich unter der Gewalt leidenschaftlicher und gefährdeter Liebe in die Arme zu sinken.

Clairon nahm wieder die Hand der Geliebten und hielt sie fest.

„Wie danke ich Dir, Lea, daß Du gekommen bist! Es war ein fürchterlicher Tag,“ sagte er. „Und nicht wahr, Du wirst mir dies Räthsel erklären?“

Lea nickte und sah ihn mit ihren großen dunklen Augen an.

„Als ich Dir vorgestern meine Neigung gestand, Lea, gebotest Du mir, an Deines Vaters Geburtstag zur Werbung zu kommen. Ich habe mir heute immer wieder Deinen Ton und Deine Miene dabei vorgestellt und immer wieder mir sagen müssen, daß auch Du, Geliebte. keine Ahnung davon hattest, unserer Vereinigung könnten sich Schwierigkeiten in den Weg stellen. Du meintest, das gäbe ein hübsches Doppelfest und eine reizende Ueberraschung für Eure Freunde. Also auch Du warst unserer Sache sicher.“

Er drückte ihr heftig die Hand und fuhr fort:

„Da kannst Du Dir nun denken. daß es für mich kein beneidenswerther Augenblick war, als Dein Vater mir anstatt des freudigen Ja ein verlegenes Nein antwortete. Ich, Nobert Clairon – und ein Korb!“

„Ich liebe Dich,“ rief Lea ausbrechend. „Sprich nicht so!“

Und da erst fanden sie die Unmittelbarkeit des Gefühls: Clairon breitete die Arme aus und Lea hing in stummer Leidenschaft an seinem Hals. Er fühlte. wie sie erschüttert war, denn durch ihre ganze Gestalt ging ein Zittern.

„Nicht wahr,“ flüsterte er dann, „Du wirst nichts verschweigen? Du wirst so ehrlich mit mir sprechen, als wäre ich schon Dein rechtmäßiger Gefährte und Beschützer?“

„Ja!“ sagte Lea.

Er nahm nun ihren Arm und langsam schritten sie im schattenvollen Baumgang auf und ab.

„Hat Dein Vater einen andern Gatten für Dich bestimmt?“ fragte er, und da sie heftig den Kopf schüttelte, fuhr er fort:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_294.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)