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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Das konnte ich mir auch nur schwer vorstellen. Ein solcher Lebenskünstler wie Dein Vater ist viel zu bequem, um sich mit tyrannischen Gedanken zu befassen. Ich dachte, gerade ihm sollte meine Persönlichkeit, mein Name und mein Stand angenehm sein.“

„So ist es auch. Du wärest der Schwiegersohn seiner Wünsche, wenn Du nicht einen Fehler hättest, mein armer Robert,“ sagte Lea.

Clairon, der sich schon seit dem Vormittag in der beleidigten Stimmung eines Mannes befand, den man in seinem Stolz verwundet hat, ohne daß er sich wehren kann, rief gereizt:

„Nun, so nenne mir diesen schrecklichen Fehler! Ich will ihn ablegen, wenn es geht.“

Lea hemmte ihren Schritt. Sie stand still und besah ihren Sonnenschirmknauf, als wäre er ganz neu und merkwürdig. Das häßliche Wort wollte nicht so glatt von ihren Lippen. Dann wallte wieder ihr unbändiges und trotziges Blut auf und sie dachte: warum nicht die Dinge beim rechten Namen nennen, wenn diese Dinge doch so wichtig sind, daß man daran zu Grunde gehen kann!

„Du hast kein Geld,“ sagte sie hart.

Unaussprechlich erschreckt und durch diese fast brutale Art verletzt, sprach er, indem er langsam und tief erröthete:

„Allerdings. Ich bin der zweite Sohn und mein kleines mütterliches Erbe giebt mir kaum die Zinsen, welche ich bei meiner Waffe nothwendig als Zuschuß brauche; die Güte meines Bruders ergänzt das Fehlende. Aber ich habe geglaubt, mit meiner Stellung und meinem Namen ...“

Die Erregung machte seine Stimme heiser. Er konnte nicht weiter sprechen.

„O Robert,“ rief Lea wieder in weichster Hingebung und warf sich an seine Brust, „nicht wahr, Du fühlst es, das ist schmachvoll! Das ist kein stolzes Werben mehr und kein freudiges Hingeben. Das ist nicht die Art, wie Robert Clairon und Lea von Römpker zueinander kommen dürfen. Wir müssen uns entsagen.“

„Lea,“ schrie er auf. „Besinne Dich! Bevor man solche Worte spricht, muß alles verloren sein. Ich habe kein Vermögen? Was soll denn das heißen? Das wußten wir ja alle, ohne daß je davon gesprochen wurde. Das ist ja nebensächlich in Eurer und meiner Stellung. Hilf mir doch begreifen! Das wenige, was der Staat fordert, hast Du doch. Und das ist uns genug. Hörst Du – ich will nichts vom Vermögen Deines Vaters, nichts. Ich will Dich und Deine Liebe. Den zufälligen Umstand, daß Du den Besitzstand nachweisen kannst, der für unsere Eheschließung nöthig ist, empfinde ich nicht als Demüthigung. Das wäre albern. Wir wollen ja nicht handeln – wir wollen heirathen!“

„Ja,“ sprach Lea voll Feuer, „das wollten wir. Heirathen, vornehm, in großem Sinne! Und deshalb müssen wir uns entsagen. Oder willst Du mich, soll ich Dich in endlosen Unterhandlungen – erschachern?! Fahre nicht auf! Es ist so. Meine Mitgift ist verloren gegangen. Einerlei, wie. Genug, sie ist fort.“

„Dein Vater?“ fuhr er fragend auf.

Leas Blick glitt über ihn hin, blitzschnell, aber fremd und ablehnend.

„Nein,“ sagte sie kalt, „ohne meines Vaters Schuld.“

Vielleicht war mehr ihr Familienhochmuth denn ihre Kindesliebe der Grund, daß sie niemand außer sich selbst ein richtendes Wort über ihren Vater gestattete.

„Verzeihe mir!“ bat er und küßte ihre Hand.

Sie aber hatte durch seine Frage ihre Fassung wieder gefunden.

„Du weißt,“ sprach sie rasch, als wolle sie nun möglichst schnell über das Peinliche hinwegkommen, „daß Römpkerhof eine Million und mehr werth ist und völlig unverschuldet. Aber Du weißt, daß man einen solchen Besitz in Feldern und Wäldern und doch keine verfügbaren Mittel haben kann.“

„Das ist eine alte Geschichte,“ bestätigte er, „die Herren Großgrundbesitzer haben oft genug Schwierigkeiten, zu ihren Terminen ihren Verpflichtungen nachzukommen. Aber Römpkerhof, sagst Du, ist schuldenfrei!“

Lea hielt sich die Ohren zu.

„Ich will mit Dir das ganze häßliche Thema nicht wieder durchnehmen,“ rief sie. „Rahel hat mich schon krank damit gemacht.“

„Rahel?“ fragte er erstaunt. Rahel war ihm unaussprechlich gleichgültig und er hatte sie für eine völlige Null im Hause angesehen. Also Rahel hatte auch Meinungen und eine Stimme?

„Ja, Rahel ist unglaublich praktisch. Sie ist aber leider nüchtern und ihr fehlt der rechte, hohe Stolz, der hier brennt.“ Sie legte die Hand gegen ihre Brust. „Was hat sie mir nicht alles vorgefabelt! Man würde Papa doch schließlich bestimmen können, auf unser Gut eine Hypothek zu nehmen. – Auf Römpkerhof – eine Hypothek – es ist zum Lachen! Unser herrliches Besitzthum mit fremdem Geld beflecken! Oder Dein Bruder sollte zum Schein das Kommißvermögen geben und Papa nachher in Wirklichkeit soviel Zuschüsse, als die Zinsen betrügen. O. ich bin ganz schwindlig. So viel niedrige Dinge habe ich in meinem ganzen Leben nicht hören müssen. Robert,“ rief sie, als sie sah, daß sein Antlitz sich wie in ehernem Ernst versteinerte, „ich fühle es, ich sehe es, Du empfindest wie ich. Dieses Rechnen ist Dir grauenvoll. O, ich wußte es, auch Dein Stolz lehnt sich gegen die Erbärmlichkeit auf.“

„Ich leugne es nicht,“ sagte er halblaut.

Sein vornehmes Gefühl lehnte sich in der That gegen diese Schwierigkeiten auf. Nicht weil es Schwierigkeiten, sondern weil sie so kleinlich geartet waren. Wie Lea es ausgesprochen hatte: vornehm und in großem Sinne wollte er freien. Nicht den Kameraden, nicht der Gegend zum Gespräch werden, wie er es zahllose Male bei andern erlebt hatte, von denen jedermann wußte, woher die Mittel gekommen waren. wie knapp oder wie ausgiebig sie gewesen, durch welche Anleihen, durch wessen Großmuth sie beschafft worden waren.

Sein ganzer Hochmuth wurde wach.

„Nicht wahr,“ fuhr Lea fort, indem sie sich in immer größere Erregung hineinredete. „Rahel versteht nichts von der Liebe. wenn sie meint. daß wir in ihr stark bleiben müßten trotz allem und, wenn’s gar nicht anders ginge, auf Dein Rittmeisterpatent warten. Das ist für die kleinen, für die engen Leute. Das ist unsrer unwürdig! Siehst Du, ich habe oft in mir das Gefühl gehabt, als empfände ich größer und schaute weiter ins Leben als die Menschen um mich her. Und gerade in diesen gegenwärtigen Stunden fühle ich es klarer als je: meine Liebe für Dich ist unaussprechlich, riesengroß. Soll dies göttliche Gefühl durch den Staub des Alltags geschleift werden? Nein! Soll es kranken und vergehen in jämmerlichen Kämpfen um schnöden Mammon? Nein! Sollst Du fortan Dein geliebtes stolzes Haupt weniger frei tragen, weil die Glorie der Unabhängigkeit davon genommen ist? Sollen wir der Gegenstand der Theilnahme werden in einem schwierigen Brautstand? Tausendmal nein!“

Ihr feuriger Redefluß, all die Thatsachen, welche sich noch unverarbeitet in seinem Hirn drängten. der niedersinkende Abend und im Schatten vor ihm die schlanke Gestalt mit dem weißen Gesicht – all dies zusammen wirkte wie berauschend auf ihn und nahm ihm die Denkklarheit.

Er zog Lea an sich.

„Was, ich beschwöre Dich, was soll denn werden? Giebt es keinen Ausweg?“

Lea glaubte im vollen Ernst groß zu handeln und hochsinnig zu empfinden, als sie feierlich sprach:

„Unsere Liebe muß so groß sein, daß sie die Kraft zum Entsagen hat.“

„Lea!“ rief er schmerzvoll aus.

In tiefer Erschütterung hielten sie sich umschlungen.

Lea kostete voll schmerzlicher Leidenschaft die Schauer dieser Stunde aus. Das, ihr selbst völlig unbewußt, in ihr liegende Bedürfniß nach Poesie und Erregung ward in diesem Augenblick voll befriedigt. Sie fand sich von einem außerordentlichen Schicksal zermalmt und fühlte in sich die Verpflichtung, diesem Schicksal groß gegenüber zu stehen.

Wer weiß. ob sie sich gleich in den Wechsel zu finden gewußt hätte, wenn jemand wie im Märchen aus dem Gebüsch getreten wäre und gesagt haben würde: nimm ihn, alle Hindernisse sind gehoben!

Sie schwelgte in dem Gram der Entsagung und liebte Clairon viel mehr als vorgestern bei der ersten Liebeswerbung.

Er fühlte in ihr nur die erhöhte Leidenschaft. Die tiefgründigen und feinverzweigten Wurzeln dieser stärkeren Gefühle zu erkennen, dazu war er sicher ein zu einfacher Mensch und obendrein kannte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_295.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)