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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


versteckt, liegt eine lauschige Thalmulde, ganz wie geschaffen für eine heimliche Brautnacht. Als wir im letzten Frühjahr dort waren, sah sie wie ein Blumengarten aus, so dicht standen Krokus und Corydalis und blaue Hyazinthen (Scillen).

Die Reise von 1881, wo er ganz allein war, zeigte überhaupt in überraschender Weise, mit welcher Schnelligkeit Schliemann auch naturwissenschaflliche Aufgaben erfaßte und sich die genaueren Methoden zu eigen zu machen wußte. Er bestimmte auf derselben mit größter Sorgfalt die Höhen der Berge, maß die Temperatur der Quellen und führte ein genaues meteorologisches Tagebuch. Jede Begegnung mit einem Naturforscher steigerte sein Verständniß, nicht in bloß mechanischer Weise, sondern in sachlicher Einsicht. Denn er wurde nicht müde, die Unterhaltung bis auf den Grund der Dinge fortzuführen. Seine lange Gewöhnung an Rechnen machte ihn besonders befähigt, alles das zu erfassen, was auf Zahlen zurückzuführen war. Daher imponirte ihm vor allem die Astronomie und er trug sich lange mit dem Gedanken, seinen Sohn Agamemnon, der damals noch ein zartes Kind war, zum Astronomen ausbilden zu lassen. In gleichem Sinne legte er auch das größte Gewicht auf genaueste Kenntniß der Geschichtszahlen, ohne welche ihm die Geschichte selbst gänzlich unverständlich erschien.

Das Sammeln der Steckmuschel in den Salzseen auf Meleda.
Nach einer Zeichnung von F. Schlegel.

Es war ein sonderbares Geschick, daß es gerade ihm, dem Zahlenmann, beschieden war, alle seine großen Entdeckungen in so ferne Zeiten verfolgen zu müssen, wo die Geschichtszahlen aufhören. Schon sein erster Anfang auf Hissarlik führte ihn sehr schnell in eine Tiefe der Ausgrabungen, wo nur noch die Prähistorie zu sprechen hat. Da giebt es keine Münze mehr! Schliemann hat mit ebensoviel Geschick als Glück eine schöne seltene Sammlung von Münzen aus der klassischen Zeit zusammengebracht. Auch die oberflächlichen Schichten von Hifsarlik, mehr noch die benachbarten Felder und Hänge von Neu-Ilion sind voll von hellenischen, römischen und byzantinischen Münzen. Aber gegen die Tiefe hin hört das bald auf. In den oberen Schichten giebt es auch noch Inschriften, besonders griechische, zum Theil recht lange. In den prähistorischen Lagen trifft man nur noch auf Fundstücke aus Thon, besonders Wirtel in reichster Fülle, auf denen häufig sonderbare Einritzungen sind, die wie Schriftzüge aussehen, aber nur einzelne kühne Forscher glauben, darin lesbare Zeichen erkannt zu haben. selbst wenn man ihre Deutungen anerkennt, kommt man damit nicht weiter, als daß man diese Stücke mit anderen aus benachbarten Gegenden der Mittelmeerländer, z. B. solchen aus Cypern, zusammenstellen kann, aber Geschichtszahlen folgen daraus nicht. Wo in der Geschichte Jahre genannt werden, da ist man in der Prähistorie auf Jahrhunderte, zuweilen auf Jahrtausende angewiesen.

Schliemann hat sich nach und nach in diese Nothwendigkeit gefunden. Aber es war eine sehr harte Aufgabe für ihn, zu deren Ueberwindung er Jahre gebraucht hat. Galt es doch, auf den Gedanken zu verzichten, daß diese Ueberreste der homerischen Stadt dem Ilios von Priamos und Hektor angehört haben. Freilich nicht in dem Sinne, wie manche angenommen haben, daß nun erst recht die Ansicht bewiesen sei, auch die Grundlage der Dichtung beruhe auf freier Erfindung, und es sei niemals in diesem Lande ein Krieg abendländischer und morgenländischer Völker geführt worden, der mit der Zerstörung einer Königsburg und der Vernichtung des Herrschergeschlechts sein Ende gefunden. Im Gegentheil – und das ist das Bedeutende in den Entdeckungen Schliemanns – es wurden die Trümmer einer uralten Burg aufgedeckt, welche durch Brand zerstört sein muß und welche nach ihrer Anlage und der Bedeutung der darin gefundenen Gegenstände nur einem reichen und mächtigen Herrscher als Sitz gedient haben kann. Auf den Trümmern dieser Burg haben spätere, allem Anschein nach fremdartige Ansiedler Gebäude errichtet, und auch diese Gebäude sind wieder zerstört und zum Theil verbrannt, und auf und aus ihrem Schutt haben neue Bewohner ihre Wohnungen hergestellt. Das sind die über einander folgenden Schichten, welche Schliemann etwas zu volltönig „Städte“ genannt hat. Ungeheure Schutt- und Trümmerlagen bezeugen die Thatsache, daß gerade dieser Platz schon in vorgeschichtlicher Zeit als ein besonders fester und gewiß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_301.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)