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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

von Antjes Schultern geglitten war; dann machte sie die Thür hinter ihr zu. Sie sah nur noch, wie die Frau mit gefalteten Händen vor das Bett trat, auf welchem der Verwundete ruhte. Dann blieb sie stehen in dem niedern Vorplatz, der als Decke das Dach mit seinem Sparrenwerk hatte. Todtenstill war es ringsum; man wartete auf den Doktor, der unten seine Anordnungen traf. Es dünkte sie eine Ewigkeit, dieses Warten, und doch währte es kaum eine Minute, bis Maiberg und der Förster mit allem, was zum Verbinden eines Schwerverwundeten nöthig ist, die Treppe heraufkamen.

Antje half bei der Untersuchung der Wunde wie eine geübte Krankenpflegerin. Von Zeit zu Zeit blickte sie Maiberg an, als könnte sie von seinem Gesicht die Antwort auf ihre stumme Frage ablesen: Tod oder Leben?

„Sagen Sie es doch ehrlich, es ist sehr schlimm!“ flüsterte sie endlich und starrte auf die blutgetränkten Kissen.

„Er ist dem Verbluten nahe, und das ist zunächst das Bedenklichste,“ erwiderte er. „Die Kugel ist durch die Brust gegangen, aber am Rücken wieder ausgetreten, und dies ist nicht ungünstig, auch besitzt er eine sehr kräftige Natur. Es steht alles in Gottes Hand, Frau Antje.“

Und Antje nickte still; sie wußte es genau, hier war der Tod näher als das Leben. Und sie half, den Bewußtlosen wieder auf das Lager betten, nachdem der Verband angelegt war.

„Ist er zu transportiren?“ forschte sie.

„Keine Möglichkeit!“ war die Antwort.

Antje setzte sich still in den alten, mit blau und roth gewürfeltem Leinen bezogenen Lehnstuhl zu Füßen des Bettes. „Beordern Sie alles zur Pflege Erforderliche, Herr Doktor,“ sagte sie. „Drunten im Hause sind Eisbeutel und dergleichen vorhanden; der Wagen mag sogleich alles holen.“

Er erbot sich, zu wachen, aber sie lehnte es ab. „Das ist meines Amtes.“ Sie merkte kaum, daß er sich entfernte. Sie sah sich wie im Traume in dem winzigen Kämmerchen um; dann fielen ihre Augen auf einen Brief, der unter einer Blumenvase auf der Kommode lag; sie konnte ihn erreichen, ohne sich zu erheben.

„An meine Frau!“ las sie. In dem Umschlag stak eine Depesche und ein Brief.

Sie las bei dem verlöschenden Lämpchen die Nachricht des Bankiers, die Ablehnung des Bildes, und sie ließ die Blätter sinken und wandte sich dem Bewußtlosen zu. „Darum?“ fragte sie, „darum?“

Aber er lag da, mühsam athmend, und konnte ihr nicht antworten, hörte sie nicht.

„Hättest Du doch Vertrauen zu mir fassen können, hättest Du doch!“ jammerte sie leise und faßte nach seiner Hand, die zusammengeballt auf der Decke lag. Und dann zuckte sie zurück; zwischen den wachsbleichen Fingern schaute ein Endchen rothes Band hervor, und als sie es mühelos denselben entwand, war es eine kleine rothe Schleife, eine Schleife, die sie kannte, so gut kannte!

„Darum!“ sagte sie nun laut, „ja das hatte ich vergessen! – Also darum!“




Bange schwere Tage folgten, Tage, an denen die rothhaarige Förstersfrau zusammengekauert auf einer Treppenstufe saß, die Hunde zur Ruhe verwies und die Magd bedeutete, leise zu sein, denn der Herr oben würde sterben.

„Alter, heute abend geht’s zu Ende, den heutigen Tag überlebt er nicht mehr, ’s ist unmöglich, es kann ja keiner soviel aushalten,“ flüsterte sie dann ihrem Manne zu, und die verweinten Augen, die eine Farbe wie rothbrauner Sammet hatten, sahen verzagt zu dem Fenster der Krankenstube hinauf. „Paß auf, Alter, wenn Du heimkommst vom Schnepfenstrich, ist’s vorüber. Ich hab’ auch die Nacht das Käuzchen schreien hören, und im ganzen Leben hat’s hier oben noch nicht geschrieen.“

„Dore, Du hast eben immer einen so guten Schlaf gehabt.“

„Ach, Wilhelm, ich bitte Dich – er stirbt gewiß!“

„Glaub’s auch fast, Dore.“

„Die arme Frau, Wilhelm! Sie sieht zum Erbarmen aus und vierzehn Tage sind’s nun, daß sie keinen Schlaf gehabt hat, kaum daß sie’s am Tage leidet, wenn ich sie einmal ablösen will an seinem Bett.“

„Ja – hm – Euch Weibern hat’s Gott extra gegeben, daß Ihr keine Müdigkeit kennt bei so etwas. Mich hättest Du schon lange begraben, Dore, wenn ich einmal vierzehn Nächte nicht hätte schlafen dürfen, und so eine verwöhnte Dame, und keine Klage, kein unnützes Lamento – kannst was lernen, Dore!“

Und der Mann schritt mit dem Hund an der Leine in den dämmernden Frühlingswald hinein, und sein junges Weib stand auf der Steintreppe vor der Hausthür und sah ihm nach. „Herr Gott, man lernt Dich erst erkennen, wenn man an das da oben denkt,“ murmelte sie und schwur sich hoch und theuer, den Wilhelm nie wieder zu ärgern, und dabei wurde sie roth, denn er ärgerte sich eigentlich nur, wenn sie gar zu viel plapperte und sich neckte mit den Herren Malern, die an das kleine Forsthaus wie fest gebannt schienen. Sie warf einen Blick zu den Giebelfenstern hinauf, die weit geöffnet standen, um eine Luft einzulassen, so weich, so feuchtwarm und lenzesduftig, wie man sie selten athmet hier oben um diese Jahreszeit.

Der neunzehnte April war’s; die Buchen hatten einen dicken krausen Schimmer, und alle Tage konnten die Knospen brechen. In den Thälern war es schon grün, das Herrenhaus von „Gottessegen“ lag schon im lichtesten Smaragdschimmer des Frühjahrs und die Veilchen blühten an der Gartenmauer massenhaft. Der Doktor hatte es gestern erzählt; er war unten gewesen und hatte einen großen Strauß von dort mitgebracht für Frau Antje, und um das Krankenbette duftete es, als sei es an einem Veilchenhang aufgeschlagen.

Die Försterin sah abermals nach oben; dort stand jetzt Antje am Fenster, erschöpft und blaß, und schaute in die duftige Welt hinaus mit traurigen Augen.

„Frau Jussnitz! Frau Jussnitz, es ist ein so wonniger Abend heute, gehen Sie ein wenig spazieren, ich will derweil aufpassen droben,“ flüsterte Dorchen hinauf.

Antje schüttelte den Kopf und wandte sich in das Zimmer zurück.

„Sie wird sich ruiniren, ja, das wird sie,“ sagte die Frau, „aber, lieber Gott, ’s ist eben ihr Mann.“ Und dann setzte sie sich auf die Schwelle der Thür und strickte an einem mächtigen graugrünen Strumpf für den Wilhelm.

Oben saß Antje wieder im Lehnstuhl. Der Kranke lag im Schlummer, zum ersten Mal in einem ruhigen Schlummer, ohne das beängstigende Stöhnen, das rasche Athmen wie bisher. Antje hatte ihm die feuchte Stirn getrocknet und jetzt ruhten ihre Hände leicht gefaltet ineinander; ihre Augen hatten sich geschlossen, eine zwingende Müdigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Ein paarmal noch schreckte sie empor, dann schlossen sich die verwachten Augen und der Kopf neigte sich gegen die Lehne des Stuhles. Sie schlief. Todtenstill war es ringsum, nur der Schrei eines Stares, der zu Nest flog, drang herein. Die Dämmerung war von einem leichten kaum bemerkbaren rosigen Schimmer gefärbt, wundersam verschönte sie das kleine ärmliche Zimmer.

Der Kranke regte sich; er öffnete die Augen und schloß sie wieder, und endlich hatte er sie weit aufgethan und schaute umher mit dem ersten Blick wiedererlangten vollen Bewußtseins. Wie erstaunt musterte er das Stübchen, dann aber sank der kaum erhobene Kopf mit einem leisen Aufstöhnen wieder zurück in die Kissen. Sein Blick aber blieb hängen an der Frau dort im alten Lehnstuhl. Sie schlief ganz fest. Er betrachtete sie, als müßte er sich vergewissern, daß diese schlanke dunkle Gestalt es wirklich gewesen, die ihn in den letzten dumpfen Tagen gepflegt, gehegt, gestützt hatte.

Antje? War sie es denn wirklich? Nein, die Antje, die er gekannt hatte, war ein schönes blühendes Weib gewesen, und hier lehnte ein Antlitz in dem Polster, das der Gram um Jahre älter gemacht hatte, mit fest geschlossenem, schmerzlich verzogenem Mund und gerötheten Augenlidern, als hätte es viele, viele Thränen geweint.

Die ganze Erinnerung packte ihn plötzlich, und dann ein Zorn, ein namenloses Weh – daß er lebte. Weshalb stürzen sich die Menschen auf eine Beute des Todes, um sie ihm zu entreißen mit allen Mitteln der Wissenschaft, mit der raffinirtesten Kunst? Großer Gott, wer giebt ihnen das Recht, einen Unglücklichen zum Weiterleben zu zwingen? Er konnte, er durfte ja nicht leben!

Er machte eine Bewegung mit der linken Hand; ein leiser Schmerzensruf entfuhr ihm.

Sie schreckte empor aus ihrem Schlaf und im nächsten Augenblick beugte sie sich über ihn. Er fühlte mit geschlossenen Augen ihren besorgten Blick; er fühlte, wie die weichen kühlen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_319.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)