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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 20.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(3. Fortsetzung.)


4.

Wenn lang brütende Unzufriedenheit erst einmal anfängt, sich in Worte zu kleiden, so geht es auf der abschüssigen Bahn gewöhnlich schnell weiter, und es ist keine Rettung mehr vor völliger Verzweiflung.

Seit vielen Jahren war Leas Dasein ein Hin und Her zwischen Langerweile und Vergnügen gewesen. In den Zuständen der Langenweile hatte sie sich und andere mit bösen Launen, Heftigkeit und Ansprüchen gequält, an den Tagen des Vergnügens sich auf einer herrlichen und unantastbaren Höhe des Lebens gefühlt.

Nun aber, seit sie zuerst Clairon gegenüber Worte für ihre Unzufriedenheit gefunden hatte, gab es kein Halten mehr. Eine ungemessene Bitterkeit bemächtigte sich ihrer, die um so peinigender war, als sie der Berechtigung und des Zieles entbehrte.

Jeden Morgen, wenn sie sich erhob, dachte sie: „wozu noch aufstehen? Um sich anzukleiden, zu frühstücken, ein wenig im Modejournal zu blättern, spazieren zu reiten auf den langweiligen, ewig gleichen Landwegen, während der Mittagshitze im Zimmer auf der Chaiselongue zu liegen, wieder zu essen und nachmittags die Bekannten zu sehen, diese unerträglichen, geisttötenden, philiströsen Bekannten.“ Wie das Leben einen anekeln konnte!

Wenn Lea Tagelöhner ihres Vaters sah, regte sich in ihr Neid auf die armen Menschen. Die machten keine höheren Ansprüche, waren beglückt, wenn sie Sonntags ein gutes Stück Fleisch hatten. Die konnten sich noch freuen. Selbst die Geselligkeit machte ihr keine Freude mehr. Wenn nachmittags Gäste kamen, zog sie sich zurück unter dem Vorwand von Migräne, saß dann oben und brütete über ihr verfehltes Leben nach.

Die Ihrigen begannen ängstlich zu werden und Papa Römpker sprach sich im Vertrauen mit dem alten Freunde der Familie, dem Medizinalrath, aus. Dieser, mit der Derbheit des Mannes, der zumeist Bauern kurirt, gab Herrn von Römpker den Rath, Lea zu verheirathen, und begründete seinen Rath ausführlich. Herr von Römpker theilte seiner Frau mit, daß man sich Leas wegen nicht beunruhigen solle, daß es aber am besten wäre, Lea verheirathe sich. Frau von Römpker klagte infolgedessen jeden Tag ihrer ältesten Tochter vor, wie schade es doch sei, daß sie im Vorjahr den und im Vorvorjahr jenen Bewerber ausgeschlagen habe, und wie glücklich sie – die Mutter und auch der Papa – sein würden, wenn Lea sich bald vermählte.

Hieraus sog Lea dann weiter den bittern Gedanken, man wolle sie los sein, und in ihrer verfinsterten Seele befestigte sich der trotzige Entschluß immer mehr, Lüdinghausen zu


Die neue Pfeife.
Nach einer Zeichnung von C. Grethe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_325.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)