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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


daß er nicht noch einmal verzweifelt; um des Kindes willen stehe ihm bei!“ betete sie. Eine herzbeklemmende wahnsinnige Angst bemächtigte sich ihrer. Sie sprang empor und eilte zur Thür; da stockte ihr Fuß, es kam jemand die Treppe herauf und dann ins Zimmer. Es war Maiberg, der erstaunt zurücktrat, als er Antje erblickte.

„Sie hier? Und wo ist Leo?“

„Er ist fort! Ich wollte Sie fragen, woher sein plötzlicher Entschluß –“ stammelte sie.

Der Doktor sah so verblüfft aus, als habe ihm jemand gesagt, der Brocken sei von hier nach China versetzt. „Der Heimlichthuer!“ sagte er endlich.

Sie blickte ihn mit verständnißlosen Augen an.

„Aber, Frau Antje, was denken Sie?“ begann Maiberg, „in die Welt ist er! Sie konnten dach nicht erwarten, daß er hier weiter lebe wie ein gefangener Stieglitz im Bauer, der sich das Futternäpfchen alle Tage füllen läßt? Er ist hinaus, um sich eine Existenz zu schaffen. Aber ich wußte nicht, daß er es so eilig damit hatte; ich glaube, er ging heimlich, weil er mich nicht mitnehmen wollte.“

„Sie wußten also, daß er den Plan hatte?“ forschte sie.

„Ja freilich! Ich wollte ihn sogar ein Stück Wegs in das neue Leben begleiten, – so wenigstens war meine Absicht noch gestern mittag; aber seitdem hat sich mein Kurs allerdings etwas geändert.“ Er lehnte sich gegen die Kommode und ein heimliches Lächeln zog um seinen bärtigen Mund.

„Kannte Leo diesen veränderten Kurs?“ fragte sie, noch immer nicht Herrin ihrer Aufregung.

Nun lachte der junge Arzt leise. „Wie konnte er das wissen? Weiß ich’s doch selbst erst seit gestern abend – daß ich –“ Er faßte beide Hände der zitternden Frau und drückte sie herzlich. „Ihnen darf ich es ja sagen, wie ich es eben Leo sagen wollte, daß Hilde meine Braut geworden ist.“ Und unter fortwährendem Schütteln ihrer Hände sprach er weiter: „Frau Antje, ich weiß, daß Sie sich wundern werden; ich wundere mich ja selbst über die Geschichte. Alles, was ich von meiner künftigen Frau erträumt und erhofft habe, das besitzt sie nicht! Ich dachte immer nur an eine Frau – nun, an eine – so wie Sie sind, Frau Antje, so sanft, so gut, so engelsgut; so klug und so verständig – so – –“ Er lachte, und ein paar Thränen schimmerten in seinen treuen blauen Augen. „Nun stellt mir das Schicksal ein Kind in den Weg mit allen möglichen Unarten und Dummheiten im Köpfchen, ein Wesen, das ich hüten muß, als wäre ich der leibliche Vater; ein Geschöpfchen, das außer einem großen Dankbarkeitsgefühl und kindlichem Vertrauen mir vielleicht nichts weiter von dem entgegen bringt, was man billig verlangen kann von seinem zukünftigen Weibe, und das ich doch, seitdem es mich das erste Mal angeschaut hat mit seinen großen Zauberaugen, hilfesuchend und rathlos, liebe, wie man auch eine Bessere nur lieben kann. Und nun sagen Sie nicht, Frau Antje, daß ich im Begriff bin, eine Thorheit zu begehen, sagen Sie es nicht! Ich handle mit Bewußtsein, und Sie, gerade Sie, Antje, haben es bewiesen, was Liebe, ehrliche treue Liebe ist! Sie kämpft, sie leidet, sie wird gemartert; sie kann streng sein, hart, aber sie ist unwandelbar in ihrer Treue!“

Er ließ sie los und trat von ihr fort.

Sie stand da, mit gesenktem Kopf, „Und Leo? Wenn er es erfährt?“ flüsterte sie.

„Frau Antje,“ sagte er und legte die Hand auf ihre Schulter, „Leo vergaß seinen Traum, ich weiß es – ich bin kein schlechter Menschenkenner. Und Sie werden ihm nicht nachtragen, daß er, gerade er, irrte. Und wenn er wirklich noch nicht vergessen hätte, wenn er selbst es erst lernen müßte, so dürfen Sie es ihm nicht erschweren durch ein falsches Mitleid.“

Sie antwortete nicht; sie ging plötzlich zu dem Tische hinüber, bückte sich und hob eine kleine rothe Schleife vom Boden auf, die verstaubt, zertreten zwischen dem Kehricht und zerrissenem Papier lag. Sie betrachtete sie ein Weilchen. „Muß er es noch lernen?“ fragte sie das winzige Ding. – „Nein!“ antwortete die kleine stumme Botin, „nein!“ – –

Am Abend dieses Tages saß Antje drunten im Herrenhaus mit dem Brautpaar zusammen am gedeckten Tische und stieß mit freundlich ernster Miene auf sein künftiges Glück mit ihm an. Und als man sich endlich trennte, da schmeichelte sich Hilde mit in das Zimmer der jungen Frau, knieete dort vor ihr nieder und schluchzte eine Bitte um Verzeihung.

Antje streichelte über den Scheitel des Mädchens. „Machen Sie ihn glücklich!“ war ihre ganze Antwort.

„Ich will es ja, von ganzen Herzen will ich es,“ betheuerte Hilde.

„Hilde,“ fragte Antje plötzlich mit bebender Stimme, „lieben Sie ihn?“

Das verweinte Gesicht hob sich; ein schelmisches Lächeln ließ alle ihre kleinen Perlenzähne sehen. „Ich glaube: ja!“ flüsterte sie, „und wenn noch nicht ganz so, wie ich es mir immer ausgemalt habe, so leidenschaftlich und überschwenglich, so lerne ich es gewiß noch.“

Antje senke traurig den Kopf. „Mögen Sie nicht irre werden an diesem Glauben, liebe Hilde! Aber nun Gute Nacht – Gute Nacht!“ Und Hilde schlüpfte aus dem Zimmer.

Antje aber schlief nicht. Sie ging auf und ab in dieser letzten Mainacht, in dem trauten geborgenen Zimmer. Und sie dachte hinaus in die weite Welt – irgendwo, irgendwo schwankte ein kleines Boot auf den Wellen des Lebens – – wird die schwache Hand, die es steuert, stark genug sein, es durch die Brandung zu führen? Wird es genug Proviant an Lebensernst und an Willenskraft besitzen? Wird es zurückkehren zu ihr?

Draußen vor dem Fenster schlug eine Nachtigall; die Nacht war so weich, so märchenhaft duftig. Sie ging zum Fenster hinüber und sah in den dämmernden Garten; sie stand dort, wie sie es als bräutliches Mädchen gethan, und wünschte, in die Ferne sehen zu können, dahin, wo er sei.

Sie dachte, daß einer Mutter, die den geliebten halbverlorenen Sohn in das Leben schickt, wohl so ähnlich zu Muthe sein möge wie ihr heute; daß sie keine Nacht schlafen werde ohne Sorge, daß kein Morgen dämmere, an dem sie nicht mit Bangen seiner gedenken müsse.

„Gottlob,“ sprach sie, „daß ich Arbeit habe, viel Arbeit!“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Das Buch von der gesunden und praktischen Wohnung. Seit Jahren ist die „Gartenlaube“ bemüht gewesen, ihren Lesern als Führerin zu dienen auf dem weiten Gebiete der Hygieine. Wir sagen, auf dem weiten Gebiete; denn es giebt kaum eine Form menschlichen Seins und menschlicher Thätigkeit, die nicht zu der Hygieine ihre Beziehungen, von ihr Rathschläge, Warnungen, Belehrungen zu erfahren hätte. Die geistige wie die körperliche Arbeit, die Anstrengung wie die Ruhe, Nahrung, Kleidung, Wohnung, alles will und soll die Hygieine durchdringen zum Segen der Menschheit, denn was sie sich zum Ziel gesteckt hat, ist nichts geringeres als die Erhaltung des höchsten menschlichen Gutes, der Gesundheit.

Ein Stück aus diesem großen Arbeitsfelde der Hygieine hat sich nun der unsern Lesern wohlbekannte C. Falkenhorst herausgegriffen, um es für sich in einem besonderen Buche, dem „Buche von der gesunden und praktischen Wohnung“ (Leipzig, Ernst Keil’s Nachfolger), zu behandeln, und zwar wendet er sich in erster Linie an die berufenen Wächterinnen der Gesundheit im Hause, an die Frauen. Mit Recht ruft der Verfasser aus: „Was nützen uns alle Polizeimaßregeln, wenn im Hause gegen die Grundsätze der Gesundheitslehre gesündigt wird? Was nützen uns alle Schulpaläste und Schulärzte, wenn die Jugend im Hause nicht nach gesundheitlichen Grundsätzen erzogen wird? Besser wird es nur dann werden, wenn die großen hygieinischen Errungenschaften der Neuzeit auch in Privathäuser ihren Einzug gehalten, wenn sie in jeder Familie bethätigt werden.“ Zur Durchführung dieser Forderung aber ist der weitaus in den meisten Fällen durch seinen Beruf außerhalb des Hauses in Anspruch genommene Mann nicht imstande, und so geht die Aufgabe über an seine natürliche Vertreterin und Gehilfin, an die Frau.

Dementsprechend ist auch das Buch Falkenhorsts gehalten; es will kein trockenes, schwerverständliches Lehrbuch sein, es will in leichter Fassung über ernste Dinge mit der Hausfrau plaudern; es befolgt auch keine wissenschaftlich systematische Eintheilung, sondern schließt sich den einzelnen Abschnitten des häuslichen Pflichtenkreises der Frau an. Was es aber lehrt, das Büchlein, das sind wohl zu beherzigende Dinge, und es wird gut um ein Haus bestellt sein, wo es zur Richtschnur für die tägliche Lebensführung geworden ist und seinen Anweisungen gewissenhaft Folge geleistet wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_339.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)