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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Daneben begleitete ihn der eine Gedanke, daß die Familie heute von ihm mit Recht eine Aussprache erwarte und daß er ohne ein entscheidendes Wort nicht gehen dürfe. Wohl bemerkte er, daß Lea ihm zu entschlüpfen suchte, aber das fand er sehr weiblich.

Lea hatte auf eines nicht gerechnet, auf das Interesse ihres Vaters an dieser Verlobung. Er war wie ein Kind, welchem man ein neues Spielzeug oder ein Vergnügen versprochen hat: er wollte schnell haben, was das Geschick ihm zu verheißen schien. So kam er denn Lüdinghausen auf allen Wegen entgegen. Er sprach sogar von dessen Vater und lud ihn durch den Sohn nach Römpkerhof ein. Und dies Entgegenkommen war so heiter, so glücklich und zugleich so selbstverständlich sicher in dem Bewußtsein, daß er, Römpker, den andern nur dadurch ehre, daß Lüdinghausen in der That davon beglückt wurde.

Nach dem Abendessen, als die beiden Herren noch in Römpkers Zimmer eine Cigarre zusammen rauchten, legte Herr von Römpker mit einem charmanten und nachsichtigen Lächeln dem schwerfälligen Bewerber denn auch das entscheidende Wort in den Mund.

Lüdinghausen fragte, ob er morgen kommen und um Fräulein Leas Hand anhalten dürfe.

Von so steifen Feierlichkeiten war aber Römpker kein Freund, am wenigsten bei einer Angelegenheit, welche sein väterliches Gemüth so bewegte. Er zerdrückte eine Thräne, umarmte den künftigen Schwiegersohn, verglich sich mit Wodan, der Brunhilde lassen mußte, und sang „leb’ wohl, du mein schönes, mein herrliches Kind“. Uebermuth und Rührung überwältigten ihn zugleich. Das alles war Lüdinghausen an einem fünfzigjährigen Mann sehr neu, aber er konnte sich dem liebenswürdigen Eindruck nicht entziehen.

Also von einer steifen Werbung wollte Papa Römpker nichts wissen. Er klingelte, ließ Lea rufen und machte in der Zwischenzeit Pläne, daß man auf morgen abend die nächsten Freunde zu Tische bitten und ihnen die Verlobung mittheilen wolle.

Lea erschien. Sie hatte bei der Mutter und Rahel gesessen, nachdem Fräulein Malchen sich eben mit schwerem Herzen und vielsagenden Seufzern und Händedrücken aus der spannenden Situation losgerissen hatte. Die Arme wurde in die Stadt zurückbefördert, ohne die Entscheidung zu erfahren.

Lea war sehr blaß geworden bei der Botschaft, daß ihr Papa sie bitten lasse. Sie stand zögernd auf der Schwelle. Mit heiserer Stimme fragte sie:

„Du wünschest, Papa?“

„Ich nichts. Aber hier dieser da, unser vortrefflicher Lüdinghausen wünscht viel – nicht mehr wie alles,“ sagte er mit einem Gesicht voll vergnüglicher Schelmerei.

„Mein gnädiges Fräulein,“ begann Lüdinghausen, „ich habe mir die Ehre gegeben, um Ihre Hand bei Ihrem Herrn Vater zu bitten, und ich wage, mich der Hoffnung hinzugeben, daß Sie mich genug achten, mir innig genug gesinnt sind, um mir Ihr Leben anzuvertrauen.“

Auch er war sehr bleich. Trotz der sehr förmlichen Art seines Antrags klang seine Stimme männlich und feierlich, und es durchschauerte Lea bänglich. Dieser Mann, den sie bisher nur als eine Ziffer für ihre Daseinsrechnung betrachtet hatte, flößte ihr urplötzlich so etwas wie Furcht ein.

Es begann in ihren Ohren zu sausen, so stieg ihr alles Blut zum Kopf empor. Sie fühlte einen Schwindelanfall und ihre Gestalt kam ins Wanken. Nur mit übermenschlicher Gewalt faßte sie sich und streckte, vorerst noch wortlos, ihre Hand hin.

Lüdinghausen sah wohl, welche Erschütterung sie durchbebte, und fühlte sich in seinem Innersten davon ergriffen. Er konnte nur die eine, ihm natürliche Auslegung dafür haben, daß Lea, die ihn liebte, von der Gewißheit des Glücks überwältigt sei.

Er küßte ihre Hand, lange, innig und fast voll Ehrfurcht. Alle zarten und feinen Empfindungen seiner Seele vereinigten sich zu einem Gefühl von Dankbarkeit für die, welche sich so bereit zeigte, ihm ihr ganzes Sein hinzugeben.

Herr von Römpker war ganz fassungslos vor Rührung über diese Scene und machte ihr ein Ende, indem er die beiden Stummen nacheinander umarmte. Zärtliche Gebärden hatte er bei jeder Gelegenheit schnell bereit.

Lüdinghausen fühlte, daß er etwas sagen müsse.

„Ich hoffe, theure Lea, daß die Zukunft Ihr Vertrauen rechtfertigen und Sie es nie bereuen lassen wird. Mein Vater wird gleich mir bemüht sein, Sie auf Händen zu tragen. Und ich darf hoffen, daß die äußeren Lebensverhältnisse, welche wir Ihnen bieten dürfen, Ihren Anforderungen ganz genügen können.“

Da streckte Lea ihm beide Hände hin und sagte mit ihrem bezauberndsten Lächeln:

„Ich heirathe nicht den reichen Mann – ich heirathe den bedeutenden.“

Sie hatte sich ganz wiedergefunden.

„Ja, ja,“ rief Herr von Römpker, „sie hat es immer gesagt, sie wolle nur einen Gatten, der alle überragt.“

Lüdinghausen sah Lea ernst und groß an.

„So bin ich Ihnen sehr viel für die Zukunft schuldig,“ sprach er langsam, „denn noch habe ich mir in keiner Weise irgend eine auszeichnende Meinung verdient.“

„Ich glaube an Sie,“ sagte Lea mit besonderem Ausdruck.

Lüdinghausen bekam Herzklopfen und der Wunsch wallte in ihm auf, sie zu küssen.

„Aber nun zu Mama und Rahel!“ rief Herr von Römpker.

Lüdinghausen erschrak und ein großes Unbehagen erfaßte ihn. Vor andern als Bräutigam aufzutreten, das war ein zwangvoller Gedanke. Und gar vor Rahel, die ihn wohl mit ihren klaren Augen darauf ansehen würde, ob auch er als Familienmitglied sich ihrer heimlichen Herrschsucht beugen möchte.

„Darf ich mich verabschieden und diese Begrüßung bis morgen aufsparen?“ fragte er hastig. „Nennen Sie es meinetwegen die Pedanterie eines zu zärtlichen Sohnes, aber ich möchte erst meinen Vater benachrichtigen, erst ihm mein Glück mittheilen, ehe ich, außer mit Ihnen, mit irgend jemand davon spreche.“

Herr von Römpker war in der guten Laune, alles zu verstehen. Von dem Bedürfniß, in solcher entscheidungsvollen Stunde die Gattin und Mutter ans Herz zu ziehen, fühlten weder er noch Lea etwas.

Und so, nachdem er sehr feierlich von Lea Abschied genommen hatte, verließ Erasmus Lüdinghausen Römpkerhof als der Verlobte der ältesten Tochter. Während er durch die Sommernacht heimritt, wunderte er sich immerfort, daß keine völlige Umwälzung mit ihm vorgegangen, daß außer dem ruhigen, feierlichen Ernst, den eine so wichtige Entscheidung immer hervorbringt, kein neues, kein himmelstürmendes Gefühl in seiner Seele war.

Sein Lieben – wenn das Lieben war – und sein Werben hatte so programmgemäß stattgefunden, wie er es für sich immer nur erwartet hatte. Und das gab ihm ein Sicherheitsgefühl sondergleichen.

(Fortsetzung folgt.)




Der Schatz der Cobra.

Von Dr. A. Nagel.

Kaum eine andere Thiergattung spielt in den Sagen und Märchen der Völker eine so große Rolle wie die Schlangen. Von den im zaubrischen Dämmerschein indischer Urwälder erwachsenen anmuthigen Geschichten der indischen Fabelsammlung „Hitopadeça“ bis zu dem treuherzig hausbackenen deutschen Volksmärchen – allenthalben stoßen wir auf die schmiegsamen Gestalten der geheimnißvollen Doppelzüngler. Dem unter glücklichem Gestirn Geborenen zeigt sich wohl, wenn die sommerliche Mittagsschwüle auf den Wipfeln des Forstes lastet, kein Laut die tiefe Stille unterbricht, unter dem knotigen Wurzelgewirr uralter Sträucher hervorlugend, das zierliche Köpfchen des weißen „Haselwurms“, dessen Genuß die Sprache der Thiere verstehen lehrt; oder er darf in den dunkeln Kellern der verfallenen Burg die „Unkenkönigin“ belauschen, wie sie, das köstliche Krönchen von glitzerndem Goldgespinst auf dem Haupte, aus der Mauerspalte sich ringelt, wo sie den reichen Hort hütet.

Es hält nicht schwer, die Ursachen anzugeben, weshalb der Volksglaube den Schlangen gerade allerlei Wunderbares andichtete: ihre geschmeidige, fußlose Gestalt, ihr bald träge dahinschleichendes, bald pfeilschnelles Sichfortbewegen, der kleine Kopf,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_346.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)