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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Ja, der Passat ist das Paradies des Seemanns! Schon vierzehn Tage führten wir unser wohliges Schlaraffendasein, nur wenig unterbrochen durch allerlei leichte Geschäfte, Waschen, Polieren, Anstreichen, Nageln, Schnitzen, Theeren, Stengenschmieren, Tauanziehen, Segelflicken und Kleiderausbessern. Sommerluft, lachende Sonne, leuchtendes Meer, soweit das Auge reicht, tagelang, wochenlang! Und zwischen Sonne und Meer schwebt lustig dahin das Schiff, mit weißen schöngeblähten Segeln unter stets gleichmäßiger Brise, und die Mannschaft wird dick und wohlgenährt. –

Schon seit einigen Tagen spähte der Kapitän eifrig nach Südwesten – wir sollten die Kap-Verdischen Inseln eigentlich schon erreicht haben! Da ertönte es eines Morgens: „Land too Luvert!“ und wir erblickten in westlicher Richtung, kaum sich abhebend vom Himmel, zart umrissene Linien von Felsbergen.

Das war ohne Zweifel St. Vincent, und in wenigen Stunden würden wir diese zweite wichtige Station unserer großen Fahrt erreicht haben. So dachten wir, aber so leichten Kaufs sollten wir nicht davonkommen.

Ahnungslos segelten wir dahin. Da hob sich plötzlich das Schiff, wie das öfters geschieht, wenn sich aus dem sonst gleichmäßig wogenden Wasser durch irgend eine Rückströmung eine größere Welle aufbäumt, stieß auf den Wasserkamm und fuhr stark nieder. In demselben Augenblick erscholl auch langgezogen der böse Ruf „Mann über Bord“ und der Ausluger deutete nach der Luvrichtung. Wie schnell waren wir aus unserer freudigen Erregung gerissen! Sofort wurde gebraßt, daß der Wind von unten in die Segel fuhr, die Focksegel losgebunden und das Steuer beigedreht, damit das Schiff halte. Zwei Mann sprangen in das Boot und lösten die Schlingen – die andern stürmten gleichfalls dorthin, um zu helfen, und der erste Steuermann stand schon auf dem Kajütendach und warf einen Rettungsring. – Das alles war das Werk weniger Sekunden. Es war ein wildes, fieberhaftes Treiben; denn jetzt konnte jede Minute verlorener Zeit das Leben eines Mannes kosten. Wir sahen den Verunglückten als dunklen Gegenstand schon weit hinter dem Schiff treiben. Der Ring, obgleich gut geworfen, ging doch zu fern von dem Mann ins Wasser. Da sauste das Boot nieder und stieß von der „Elisabeth“ ab; die Ruder wurden eingesetzt, und nun begann ein heißes Jagen nach dem Dahintreibenden, den irgend eine geheimnißvolle Macht der Rettung entziehen zu wollen schien. Er sank und kam wieder nach oben, er schaukelte bald nach dieser Richtung bald nach jener – endlich, bei einer Bogenwendung, die das kräftig vorfahrende Boote machte, schoß er gegen uns, so daß zwei Langruder sich gleichzeitig unter seinen Körper schoben und der Haken ihn festhalten konnte. Der Mann war besinnungslos und gab kein Lebenszeichen von sich; wir zogen ihn herein – es war Mertens! Der stille stets träumerische junge Mann hatte auf der Nock der Bramraa gearbeitet und war bei der unverhofften Bewegung des Schiffes heruntergestürzt. Innerhalb weniger Minuten lag der Gerettete auf Deck, aber es dauerte lange, bis er unter den erfahrenen Händen der Kameraden Zeichen von wiederkehrendem Leben gab. Erst als die Frau Kapitän an dem Rettungswerk sich betheiligte und ein paar stärkende Tropfen dem Regungslosen in den Mund goß, zitterten seine Augenlider, und eine schwache Athmung stellte sich ein. Nach Verlauf einer weiteren Stunde war Mertens aus der tiefen Ohnmacht erwacht; allein er sprach irre und zeigte Spuren einer schweren Erkrankung. So wurde er ins „Krankenlogis“ gebracht und ein Schiffsjunge als Wärter bestellt.

Kranke an Bord sind üble Vorbedeutungen, und die Schiffsleute sind abergläubisch, es herrschte darum ein etwas gedrückter Ton auf der „Elisabeth“ und stiller, als wir gedacht, fuhren wir in den schönen Hafen von St. Vincent.

Der sichere Hafen ist das einzig Schöne an diesem rothgelben, starren, nur äußerst spärlich bewachsenen Felseilande. St. Vincent ist ein trauriger Ort, es regnet hier kaum dreimal im Jahre, es giebt keine Quellen auf der Insel, die Felsen setzen kein Erdreich an und die Schiffe können an diesem Platz nichts bekommen als Kohlen und destilliertes Seewasser zum Trinken, letzteres zu hohen Preisen. Wir waren gezwungen, Wasser einzunehmen, da unser Vorrath erschöpft war, und nachdem dies geschehen war, kehrten wir den glühenden Felskolossen den Rücken und fuhren in die frische See hinaus.

Neben dem Winde hatten mir eine Aequatorialströmung zum Helfer auf unserer Fahrt. Da das herrliche Wetter anhielt, so wäre alles wunderschön gewesen, wenn der junge Mertens nicht den Typhus bekommen hätte. Bleich und entstellt lag er in seiner Koje und redete irre, und namentlich in den stillen Nächten, wenn der Himmel so durchsichtig war, daß wir glaubten, die scheibenförmig erscheinenden, großen, geheimnißvoll leuchtenden Sterne mit Stangen erreichen zu können, hörten wir ihn rufen, lachen, schwatzen, weinen, – ein schauerlicher Gegensatz zu der erhabenen feierlichen lichten Schönheit der tropischen Nächte.

Unsere Kapitänin hatte neben dem Schiffsjungen die Pflege des Schwerkranken übernommen. Viele Stunden des Tages und manchmal auch der Nacht saß die feine Frau an seinem Bette und machte ihm Eisumschläge auf den Kopf und gab ihm Chinin und Limonade, genau nach dem Krankenbuche, das der Kapitän an Bord hatte; jedoch es wollte nicht besser werden. Die Fieberdelirien verstärkten sich und wechselten mit zeitweiliger völliger Bewußtlosigkeit, und in einer wunderbar schönen ruhigen sanft durchleuchteten Nacht, als das südliche Kreuz stärker als je glänzte und die Wellen weithin silbern leuchteten und so eigenartig murmelten, da hauchte der junge Mertens, im Beisein des Kapitäns, seinen Geist aus, die erstarrende Hand in der seiner treuen Pflegerin.

Eine dumpfe, beklommene Stille herrschte an Bord. Als der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_416.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)