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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Der Steuermann war mir noch immer die Geschichte der Heirath des Kapitäns schuldig. Wie das beim Dienst so geht, verschiedene Mal fing er in seiner orakelhaften Manier an, dann kam etwas dazwischen und er mußte seinen schmallippigen Tabakmund schließen.

Heute saßen wir in sonntäglicher Stimmung am Achterdeck auf einer schön gelegten Taurolle. Das Wetter war lieblich, das Schiff glänzte vor Sauberkeit und spiegelte sich mit seinen Segeln wie ein Riesenschwan in der Fluth. Der Kapitän hatte, wie üblich, ein Kapitel aus der Bibel gelesen und saß jetzt mit seiner Frau vor dem Kajütenlicht, sein Warenbuch auf den Knieen, und rauchte sein Pfeifchen, während die Frau Kapitän neben ihm sich niedergelassen hatte und, den Kopf an seine Schulter gelehnt, auf ein Kästchen sah, das Geranien, Stiefmütterchen und Levkoien enthielt, Pflänzlein aus ihrem heimathlichen Garten in tropisch üppiger Entfaltung. Ich schaute zu dem friedlich dasitzenden Paare hinüber und der erste Steuermann auch.

„Was ist es denn mit der Heirath des Kapitäns?“ fragte ich.

„Nicht leiden wollt’ es der Alte, ihr Alter.“

„Warum denn nicht?“

„Der Kapitän hatte kein Schiff, war arm, hatte eben erst sein drittes Examen gemacht und keinen Groschen im Beutel.“

„Da hatte der Alte ja doch recht!“ warf ich ein.

„Nicht recht hatte er!“ grollte der Steuermann. „Denn das Mädchen wollte ihn doch haben; sie besaß selbst von der Mutter Geld, nicht viel, aber genug, um ein Schiff zu kaufen. Dem Alten war der Aarhus zu simpel, nur ein einfacher Schiffer, dessen Vater ein Lotse gewesen – er wollte was Vornehmes für seine Tochter, wenigstens den Sohn eines Senators.

Da sagte jedoch die Tochter ‚Pros’t Mahlzeit‘ – –“

„Habt Ihr’s gehört?“ unterbrach ich den Steuermann.

„Nein!“ rief er ärgerlich – „ich sage nur so! – Sie erklärte also dem Alten, daß sie nur diesen Mann und keinen andern nehme, denn der habe ihr Herz. Es gab einen großen Zank, und der Alte sprach von Enterben und Verstoßen. Die Tochter aber legte den Finger auf die Bibel und sagte: ‚Da steht, du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen!‘ und nun gab’s noch mehr Skandal. Der Alte wollte seine Tochter fortbringen, einsperren, was weiß ich; man sprach in ganz Bremen davon, und eines Tags ging das Mädel fort, ließ sich in Schottland trauen, kam als Frau Aarhus wieder und zog gleich in das kleine Haus zu ihrem Schwiegervater, wo auch ihr Mann wohnte. Das gab ein Aufsehen! Jetzt trat Kapitän Aarhus fest auf beim Alten, bis der schließlich das Geld seiner Tochter herausgab; Aarhus kaufte sich dann den schönen ‚Morgenstern‘, den er ‚Elisabeth‘ umtaufen ließ, und fuhr mit seiner Frau ab. Jetzt mag sie bei ihren Blumen an ihren Vater und an das große Haus daheim voll Gold und Silber denken! – Aber es reut sie nicht, das weiß ich gewiß!“ schloß der Steuermann seinen Bericht.

„Nein, sicher nicht!“ wiederholte ich mit Ueberzeugung, „wenn auch mancher wehmüthige und schmerzliche Gedanke ihr durch den Kopf gehen mag. Der Kapitän ist ein tüchtiger, ehrenwerther, schöner Mann und ein Schiffer ersten Ranges, und er hat eine ehrliche Liebe zu seinem Weib Elisabeth.“

Das Schiff „Elisabeth“ zog indessen weiter seine Bahn. Allmählich jedoch nahm die Herrlichkeit des ewig schönen Wetters ein Ende. Die Regengüsse mehrten sich und Gewitter mit starken Luftströmungen und plötzlichem Windwechsel mahnten zu großer Aufmerksamkeit. Wir näherten uns nämlich der brasilianischen Küste, und in diesen Breiten begann jetzt der Winter mit seiner Regenzeit. Nebel hatten wir zwar nicht zu fürchten, doch gab es in diesen Gewässern schon Gegensegler, in gleichem Kurs fahrende entgegenkommende Schiffe – etwas, was man im Passat zu dieser Jahreszeit nicht zu besorgen hat.

Noch eine vierzehntägige unruhige Fahrt, und eines Abends ertönte wieder der Ruf vom Ausguck „Land in Sicht! Twee Strich in Lee!“ Die Sonne neigte sich zum Untergang, der Tag war erträglich gut gewesen, und bei klarem Himmel erblickten wir jetzt Berglinien in zartem rosa Duft. Vorläufig mußten wir uns mit dem Anblick aus der Ferne begnügen, denn da vor Pernambuco eine gefährliche Felsbank liegt, so waren wir gezwungen, die Nacht über zu kreuzen.

Am nächsten Morgen hielten wir auf die Küste zu, und bald kam uns auch das Riff zu Gesicht, an dem die Wellen in langen weißen Linien sich schäumend brechen. Es erstreckt sich, vor der Küste hinlaufend, wohl zwei Stunden breit und bildet den guten Hafen der berühmten brasilianischen Hafenstadt, während es zugleich die Einfahrt bedeutend erschwert. Auf unsere Signale kamen in einem lateinischen braunrothen Segler zwei Lotsen, die uns erst einen langen Weg nach Norden steuerten, und dann erschien vom Riff her eine Dampfbarkasse, die auf uns zufuhr. Sie nahm uns ins Schlepptau, und herein glitten wir in das gelbbraune Wasser, zwischen Felsbank und Stadt in den Hafen, ein riesenhaftes Wasserbecken, wo wir im Osten neben einer Anzahl andrer großer, hauptsächlich italienischer und englischer Segler Anker warfen.

Sobald die Ankunft des Schiffes gemeldet war, fuhr ein Boot mit der Post vom Hafenamt auf uns zu. Es war ein Eilbrief da für die deutsche Brigg „Elisabeth“, Kapitän Aarhus, an die Adresse der Frau Kapitän Elisabeth Aarhus.

Ich sah Frau Elisabeth erbleichen, als sie die Aufschrift des Briefes erblickte. – Sie zitterte und mußte sich einen Augenblick an die Kajütenhauswand lehnen, dann erbrach sie den Brief und las – ihr blasses Gesicht färbte sich rosig, und plötzlich fiel sie dem neben ihr stehenden Kapitän um den Hals und lachte und weinte und weinte und lachte.

Der Brief war von ihrem Vater, ein Dampfer hatte ihn vor vierzehn Tagen schon von Bremen gebracht. Ich hatte Gelegenheit, das Schriftstück später zu lesen – es lautete:

„Obwohl Du Dich von mir getrennt hast, um einen Mann zu heirathen, den ich seiner gesellschaftlichen Stellung nach Deiner nicht würdig glaubte, will ich doch nicht hart sein und Dir Dein Vaterhaus noch ferner verschließen.

Es hat mir wehgethan, daß Du nur schriftlich von mir Abschied nahmst, als Du eine so große Reise, dazu auf einem Segelschiff, antratest. Ich hätte Dich, wenn Du gekommen wärst, wie meine Tochter empfangen und Deinen Mann auch. Ich habe Stunden schwerer Sorge um Dich gehabt und schreibe Dir diese Zeilen, damit Du bei Deiner Ankunft in Pernambuco sofort telegraphieren mögest, ob Du gesund und wohl bist.

Ich will Deinen Mann als meinen Schwiegersohn anerkennen und in alle seine Rechte einsetzen, denn es soll nicht heißen, daß ich den Gatten meiner Tochter in kleinen Verhältnissen gelassen habe; man hat mir von seiner Tüchtigkeit und seinem Muth erzählt, und so wird er wohl seinen Platz behaupten und, wie ich hoffe, uns Ehre machen.

Ich begreife, wenn Du – namentlich in den ersten Jahren – Deinem Manne auf seinen Fahrten folgen willst. Es ist mir jedoch ein peinlicher Gedanke, Dich allen Zufälligkeiten der Segelschiffahrt ausgesetzt zu sehen, und deshalb biete ich Deinem Manne an, die Brigg ‚Elisabeth‘ mir zu überlassen und dafür den Dampfer ‚Bremen‘, der in Pernambuco liegt und dies Schreiben überbracht hat, zu übernehmen, als selbständiges Eigenthum, als Dein Vatergut. Er ist ein vortrefflich ausgestatteter Kauffahrteidampfer von dreitausend Tonnen und besitzt eine Kajüte, in welcher Du bequem wohnen kannst. – Gerhardt, der mit dem ‚Bremen‘ in Pernambuco liegt, ist von allem verständigt und wird die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_419.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)