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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Jahren vielleicht auch eine Tannhauserin aus dem Fenster schaute; allerlei große und kleine Schränke in der Wand, Erker für die Nähmaschine mit Blick aufs Gebirge –“

„Einen Vorschlag, bester Herr Amtsrichter!“ unterbrach Ida seinen Redefluß. „Wir gehen in den Kurgarten. Wenn mein Mann nachkommt, um so besser, wenn nicht, müssen Sie mit unserer Gesellschaft vorlieb nehmen. O, wir werden uns schon unterhalten!“

„Wir werden uns herrlich unterhalten! Wenn die Damen gern Gefrorenes essen – am Eingang zum Kurgarten hängt ein Riesenzettel: ‚Heute Gefrorenes!‘ Allein die Damen müssen meine Gäste sein!“

„Angenommen beim Gefrorenen, nachher – –“

„Frau Baronin, wer heute früh so leidend war und nachmittags so gesund und vergnügt wird wie ich, ist der Schuldner der Götter und Göttinnen!“

Wenn das keine feine Wendung war! Fort alle Schüchternheit, fort der Zahnschmerz! Und –

„Herr Amtsrichter, wenn’s gefällig ist –“

„Frau Baronin, zu Befehl!“

Während des Ganges von der Burg zum Kurhaus überlegte Tannhauser als ein „Mann von Welt“, wie er sich heute wohlgefällig nannte, ob es schicklich sei, der Baronin den Arm zu reichen, aber man war im Kurgarten, bevor er mit der Frage im Reinen war. In der Sommerlaube hinterm Kurhause war es schattig und, da rings auf den Rasenplätzen Wasserkünste spielten, sehr angenehm und frisch. So gab es denn zahlreiche Gesellschaft, außer den Fremden Hohenwarter Damen die Fülle.

Wie ein Drache aus der Höhle schoß die Majorin auf die Ankömmlinge los, die unschlüssig dastanden. Doch lag ihr feindliche Absicht fern, sie brachte nur Tannhauser ihren Glückwunsch dar. Im Nu war der Würdevolle von mehr als einem Dutzend alter und junger Frauen und Jungfrauen umringt und hörte seinen neuen Titel von Sopran- und Altstimmen wie vieltöniges Festgeläut. Auch Ida und ihre Tochter wurden beglückwünscht; diese Glocken indessen hatten dumpfen Klang; für die Hohenwarter trat die Richterin schon mit einem Fuß ins Grab, binnen kurzem wird sie zu den Toten zählen – Thomas Tannhauser, der Bleibende, er ist der Löwe des Tages!

Nichts lernt man leichter ertragen, als Auszeichnung. Nach einem Stündchen schien es Tannhauser, als sei er zeitlebens ein verhätscheltes Sonntagskind gewesen. Er wurde geschwätzig, wurde von dem Ehrgeiz erfaßt, sich reden zu hören und gehört zu werden. In seinem Uebermuth nahm er die Schmerzensbinde ab und gebrauchte sie als Fächer. Der neue Stadtrichter kam nicht, allein der neue Amtsrichter war deshalb durchaus nicht böse. Sein eigener funkelnagelneuer Glanz würde durch das Erscheinen einer Nebensonne doch verlieren. Und er fühlte sich als Alleinherrscher so wohl! Frau und Fräulein Langbein hatten ihn ganz mit Beschlag belegt und suchten ihn mit hundert Liebenswürdigkeiten zu gewinnen, denn auch der Referendar war vorgerückt und der Nachfolger Tannhausers geworden; den Vorgesetzten unserer Freunde zum Freund zu haben, ist unter allen Umständen staatsklug und ersprießlich.

Je wohler es dem Gefeierten in der lauten Tafelrunde wurde, desto unbehaglicher fühlte sich bei der lärmenden Unterhaltung die Richterin. Wie hatte sie jemals an diesem Klatsch, an diesem Gelächter ohne Grund und Ende Gefallen finden können! Hatten diese Frauen denn keine Sorgen? Ihr unglücklicher Mann saß für sie mit an der Tafel wie Bankos Geist in Makbeths Schloß, saß da mit dem bleichen, kummervollen Gesicht … Ist denn keine Hilfe? Oft kommt die Rede auf Geld. Die Notarin erzählt von der großen Mitgift, die der Einödbauer seiner Tochter in die Ehe giebt; die Apothekerin hat eine reiche Tante beerbt, und Tannhauser sagt, daß der Rabenwirth seiner Höhle überdrüssig sei, alle Nachbarhäuser kaufe und großartige Um- und Neubauten plane. Die Zwanzig-, Fünfzig-, Hunderttausende schwirren durch die Luft. Welche Mienen würden diese Damen machen, wenn sie wüßten, welch geringe Summe die Familie Müller in Sorgen und Verzweiflung gestürzt hat.

Was thut Vitus jetzt? Zum ersten Male möchte Ida aus der Gesellschaft weg in die Einsamkeit, zum ersten Mal empfindet sie Sehnsucht nach dem Alleinsein mit ihrem Mann, brennende unbezwingliche Sehnsucht. Sie brach plötzlich aus und verbat sich jede, vor allem Tannhausers Begleitung. Der war es ganz zufrieden, seinen Festtag fortsetzen zu können, und so traten Mutter und Tochter ihren einsamen Heimweg an.

„Die Frau Baronin war ja heute ganz Baronin,“ flüsterte die Apothekerin der Frau Langbein zu.

„Mein Gott, als ob man nicht wüßte, wie alt diese adelige Würde ist!“ antwortete diese. „Uebrigens können wir mit dem Tausch einverstanden sein!“ setzte sie lauter hinzu.

„Ich hielt ihn bisher für einen Wärwolf,“ zischelte die andere.

Die Majorin wackelte mit dem Kopf, daß die Mohnblumen und Kornähren an ihrem Hute zitternd raschelten. „Meine Liebe, so lang man unter den Scheffel gestellt wird, kann man nicht leuchten! – Herr Amtsrichter, der Major wird sich unendlich freuen – –“

Frau Ida stieg schweigend am Arm ihrer Tochter bergan. Endlich unterbrach Verena die Stille und sagte mit einem ängstlichen Blicke nach den Wolken, die sich drohend am Himmel zusammengezogen hatten:

„Wenn Helmuth ins Gewitter käme –“

„Würde er naß,“ fiel ihr Ida rauh ins Wort. „Weun es sonst kein Unglück gäbe!“

Das Mädchen ging eingeschüchtert neben der Mutter her. Im Schatten der Bäume am Weg erschien Idas Gesicht schreckhaft bleich. Oder war’s nicht vom Zwielicht? Ihre dunklen Brauen waren düster zusammengezogen. Ein böser Tag, und Verena hatte so hohe Erwartungen von ihm gehegt!

Im Schloßhofe ließ Ida den Arm ihrer Tochter jählings los und flog voraus, die Treppe hinan. Die kleine Dienerin, welche, die Ellbogen auf die Kniee, den Kopf auf die Fäuste gestützt, schläfrig auf der obersten Stufe saß, war im Augenblick empor und munter. „Der Herr – ? Der Herr ist zu Hause!“

Stürmisch umarmte Ida den Gatten. „Du kommst zu früh,“ sagte er düster.

„Sprich nicht so!“ schrie sie, Thränen liefen ihr über die Wangen. „Gott sei gedankt, daß ich nicht zu spät komme!“

Als Ida gefaßter war, erzählte ihr der Richter, er habe nach Steinberg telegraphiert, daß er versetzt und befördert worden sei. Wenn der Onkel seine Rückkehr nicht beschleunige, treffe er den Neffen nicht mehr in Hohenwart an.

„O das ist gut!“ rief Ida, „daraufhin muß und wird er sich beeilen.“

„Zu spät.“

Das Wort klang nicht weniger schrecklich, weil er es gelassen aussprach.

Idas Nerven, ihre stählernen Nerven waren erschüttert. Jetzt hatte sie die Furcht vor dem Nachfolger. Wenn Tannhauser doch noch erscheinen würde –

„Mag er kommen,“ versetzte der Richter, „heute ist und bleibt das Amt geschlossen. Aber morgen, morgen Schlag acht Uhr ist er da. Wie ich ihn kenne, wird er sein heutiges Vergnügen morgen betrauern. Wehe dann dem Schuldbewußten! Er wittert ihn wie der Schweißhund das angeschossene Wild. Ich bin verloren!“ – –

Verena war in Sorge um ihren Verlobten. Der Weg vom Zornschen Gut zur Stadt läuft durch Felder nahe am Fluß hin – und sie hatte heute nachmittag soviel von den Schrecken des Hochwassers gehört. Die Düsterkeit der Wohnung machte sie beklommen. Sie eilte nach dem Lugaus, aber der weitere Umblick von dort beruhigte sie nicht. In brütender Stille und fahlem Lichte lag die Landschaft da. Am Himmel wälzten sich auf grauem Grunde schwärzliche und weißschimmernde und rostgelbe Wolken; der Wind hatte sich erhoben und wirbelte stoßweise den Staub empor. Doch kein Tropfen fiel. Ein Schauer überlief das einsame Mädchen, eine unfaßbare Angst beengte ihr den Athem. „Ein böser Tag!“ sagte sie bei sich, „wie wird er zu Ende gehen?“

Mittlerweile war es dunkel geworden, und der Gedanke an ihre Eltern bewog Verena, ins Haus zurückzukehren. Im Wohnzimmer, wo die Hängelampe einen freundlichen Schein verbreitete, traf sie die Gesuchten. Auf dem Tisch, zwischen Büchern und Zeitschriften, prangte ein Blumenstrauß; bequeme Lehnsessel luden zur Rast ein. Allein der traute Anblick gab den Dreien kein

Behagen. Verena las, um abzulenken, aus der Zeitung vor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_519.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)