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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

dient. Sie war offen und leer, offenbar durch Anwendung eines Stemmeisens gewaltsam erbrochen. Darüber, wie sie in seinen Besitz gelangt ist, gab Herr von Imhof folgendes zu Protokoll:

‚Ich war gestern mit Kameraden auf dem Gute des Landraths von Zorn zu Besuch. Als sich ein fürchterliches Unwetter entlud, wollte unser Wirth seine Gäste nicht ziehen lassen. Da ich aber aus besonderen Gründen am nächsten Morgen in Hohenwart zu sein wünschte, so bat ich gegen Mitternacht um ein Pferd und ritt davon. Der Weg war schauerlich, und das endlose Blitzen und Gepolter machte das Thier dumm und wild wie eine Hummel, so daß ich seelenvergnügt war, als mit dem erwachenden Morgen die Burg Hohenwart in Sicht kam. In diesem Augenblick, wo ich abgezogen war durch die erfreuliche Aussicht, bald daheim zu sein, und auf die Dinge um mich her weniger achtete, sprang ein kräftiger Kerl vor mir auf und warf einen schweren Gegenstand von sich. Im Nu war er jenseit der Straße verschwunden. Ohne mich zu besinnen, schwang ich mich auf den Boden, band den Gaul an einen Baumast und verfolgte den Mann, der offenbar kein gutes Gewissen hatte, über den Damm zum Flusse hin. Der Boden war glitschiger Lehm; vor mir tauchte ein Rücken über dem niedrigen Strauchwerk auf; geduckt bewegte sich die Gestalt vorwärts, schnell, doch auf so eigene Art, daß ich vermuthete, der Fliehende hinke. Schon hatte ich ihn fast erreicht, da richtete er sich gerade auf und ein Schuß krachte. Dann hatte der Nebel den Mann verschluckt, und wie ich vorwärts drängte, gerieth ich an eine breite Kluft, mit einem schmutzigen raschen Gewässer in der Tiefe; ein schmaler, halb von der Fluth überströmter Steg führte hinüber. Ich gab die nutzlose Verfolgung auf, da der Bursche das Gelände jedenfalls besser kannte als ich. Oben auf der Straße sah ich mich nach dem Ding um, das der Strolch weggeworfen hatte, und fand eine leere Kasse. Als mir gleich darauf der Gendarm von Jöching mit der Nachricht entgegenkam, daß ich wegen Hochwassers nicht hundert Meter weiter könne, schickte ich ihn dem Gauner auf die Fährte.‘“

„Soweit die amtliche Aufnahme,“ ergriff wieder Tannhauser das Wort. „Der Lieutenant ritt nach der nächsten Bahnhaltestelle zurück, gab das Pferd ab und fuhr mit dem Frühzug hierher, sammt der gefundenen Kasse. Er ging zunächst nach der Polizeiwache, wo er von mir empfangen und vernommen wurde. Das ist vorläufig das ganze Ergebniß, ich hoffe aber –“ Tannhauser rieb sich vergnügt die Hände – „ich hoffe, wir werden bald weiter sein.“

Der neue Beherrscher des Amtsgerichts von Hohenwart wandte sich mit einer triumphierenden Gebärde an den Gerichtsschreiber Huber und rief: „Man führe mir den Gefangenen von heute nacht vor!“

Dieser wurde hereingebracht und blickte Tannhauser trotzig an. „Ich möchte wissen, Herr Assessor, warum Sie mich gestern verhaften ließen; ich erhebe Beschwerde bei dem Herrn Amtsrichter,“ begann er, ohne eine Frage abzuwarten.

Tannhauser nahm diese Frechheit gelassen hin. „Schweig’, bis Du gefragt wirst!“ entgegnete er ruhig, „und damit Du’s weißt, ich habe jetzt hier zu befehlen, ich bin seit gestern der oberste Richter in Hohenwart. Warum ich Dich verhaften ließ? Sieh Dir einmal diese Kasse an! Ist sie Dir nicht bekannt? Ja, nun hast Du Deinen Lohn. Der ‚Pfannen-Gide‘ ist mit dem Heidengeld entkommen und jetzt irgendwo in Sicherheit und lacht sich ins Fäustchen über Dich ungeschickten Neuling.“

Was Tannhauser vorausgesehen hatte, traf ein. Der Schreiber Franz kam in solche Wuth über das Glück seines Genossen, daß er sich selbst verrieth, nur um den Kameraden womöglich mit zu verderben. So gestand er denn.

Die Kenntniß vom Inhalt der Kasse und die Vertrautheit mit den Gewohnheiten der Burginsassen hatten folgenden Plan in ihm gereift. Er hatte sich am gestrigen heißen Nachmittag abermals in den Lugaus gestohlen. Unter den Blumen lag er verborgen, während Verena sich dort aufhielt. Als Strobel erschien, um alsbald ins Dickicht hinabzutauchen und seinen gewohnten Weg zum Schloßkeller einzuschlagen, wußte Franz, daß die Richterfamilie daheim und der Thorweg verriegelt sei. Ein Dietrich öffnete ihm die Hinterthür, die aus dem Gärtchen ins Haus führt. Er horchte im Hof, am Thor; drinnen und draußen alles still! Nun schob er die Riegel zurück, ließ den harrenden „Pfannen-Gide“ ein und schlüpfte hinaus, um Wache zu stehen. Nach Verabredung sollte „Pfannen-Gide“ im Gerichte einbrechen und die Kasse stehlen. Dann wollten sie gemeinschaftlich fliehen, zunächst an den Fluß, wo wegen der Schutzarbeiten immer Kähne lagen. „Pfannen-Gide“, stark und im Rudern erfahren, fürchtete die Hochfluth nicht. Das Ufer auf der andern Seite war öde, er kannte die Schmugglerpfade in die Berge und über die Grenze. Jenseit der Grenze glaubten sie sich jenseit der Gefahr. Den Umsatz der Staatspapiere stellten sie sich nicht schwierig vor, Hehler finde man überall.

Als der „Pfannen-Gide“ auffallend lange nicht erschien, wurde Franz unruhig und wollte in die Burg, um nach dem Säumigen zu sehen, entdeckte jedoch zu seinem Schrecken, daß das Thor geschlossen war. Er fürchtete, die Sache sei verrathen, und war im Begriff, sich davonzumachen, als der Amtsrichter vor ihm stand.

„Es ist gut,“ beendete Tannhauser nach diesem Geständniß das Verhör. „Und Du kannst Dir also nicht denken, wie es zuging, daß die Riegel am Burgthor plötzlich wieder vorgelegt waren? Dann will ich Dir’s erklären: der ‚Pfannen-Gide‘ ist ein wenig schlauer als Du, sicherlich hat er selbst Dich hinausgesperrt, damit er in Ruhe auf der Hinterseite mit seiner Beute entwischen könne und sie nicht mit Dir theilen müsse. Begreifst Du jetzt? Ja, werde nur wüthend, Du wirst Zeit bekommen, Deinen Zorn an den Gefängnißmauern auszutoben. Und nun kannst Du abtreten.“

(Fortsetzung folgt.)



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Wo eines Kaisersohnes Wiege stand und ein Kurhut vergessen ward.

Von Hugo Arnold.0 Mit Zeichnungen von R. Püttner.

Eine klappernde Mühle am murmelnden Bach und eine gebrochene Burg auf steiler Höhe, fern abgelegen vom geräuschvollen Verkehre des Tages und für das Gedächtniß der Menschen verschollen! Mit ihren Mauern verknüpft die Erinnerung keine welterschütternden Ereignisse – und doch flüstert sie leise von Vorgängen, welche nicht ohne Einfluß auf die deutschen Geschicke blieben und in ihren späteren Folgen auf die Lose der europäischen Völker nachwirkten.

Die grüne Isar, das wilde Bergkind, ist der großen Menge gar wohl bekannt, weil in ihren eilenden Wellen die Paläste des neuen Athen, der Kunst- und Biermetropole, sich spiegeln und weil, den Lockungen der blauduftigen Berge folgend, Jahr um Jahr Tausende von Naturfreunden flußaufwärts in das Hochthal wandern, in welchem ihre Quelle rieselt. Doch die wenigsten kennen den untern Theil des Flußlaufes von München abwärts durch die bayerische Hochebene, wo die Fluthen sich ein breitsohliges Thal eingewühlt haben. Und doch fehlt es auch dort nicht an Strecken von hoher landschaftlicher Schönheit, über welchen die Schatten reicher geschichtlicher Vergangenheit schweben und welche der Reiz denkwürdiger Erinnerungen verklärt. Schon des Flusses Name weckt dergleichen aus mehrtausendjährigem Schlummer; denn er reicht weit zurück über die Tage, in welchen für uns die Morgenröthe historischer Kunde jene Gegend zu erhellen beginnt. Nicht die deutsche Zunge hat ihn zuerst gebraucht, sondern die Lippen der Kelten sprachen ihn vorher schon aus, jenes gewaltigen Volkes, dessen Stämme ganz Mitteleuropa innehatten, bis sie von den Germanen zurückgedrängt und von den Römern unterjocht wurden. Der Name der Isar wiederholt sich darum dort, wo gleichfalls Kelten saßen, im savoyischen Hochlande als Isere und im böhmischen Riesengebirge als Iser. Und hier im Bayerlande, auf dem hohen Thalrande der Isar, kommen unter den Wurzeln uralter Bäume oder unter den Schollen des Feldes allerlei Geräthe und Geschirre zu Tage, welche die Sachkundigen niemand anderem zuschreiben als den einstigen Einwohnern keltischen Stammes. Dem

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