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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Ich spreche ja nicht von mir, sondern von den Gründen, welche das Urtheil der Oberbehörde leiten könnten, und es lag mir nichts ferner, als Sie beleidigen zu wollen. Aber ich merke, der Herr Kollege ist von den Ereignissen nicht weniger angegriffen als ich; ich will Sie nicht länger stören.“

Im Bogengang drüben trat Ida wie eine jener Feen in alten Zauberstücken hinter Blumenbüschen hervor und legte den Finger auf den Mund.

„Helmuth ist da.“

Die Gatten reichten sich die Hände.

„Helmuth erzählte uns alles,“ sagte sie leise. „Die Kasse –?“

„Sie stand während Deiner Vernehmung auf dem Tisch.“

„Ich sah nur Dich. Nun ist alles gut!“

„Gut? Wenn sie den Dieb ergreifen, kommt die Wahrheit ans Licht. Weißt Du, warum er auf Helmuth schoß? Aus Wuth über die Enttäuschung.“

„Aber Vitus! Wer traut denn einem Einbrecher zu, daß er die Wahrheit sagt? Niemand, selbst Tannhauser nicht, wird zwischen Dir und ‚Pfannen-Gide‘ schwanken.“

Vitus stöhnte. „Ich habe eine Bitte an Dich.“

„Endlich einmal!“

„Bewege Helmuth, daß er bei Tische von der Sache nicht spricht! Bedenke, was ich schon litt! Ich bin krank und wund.“

Sie drückte ihm aufs neue die Hand.

Als die Herren beim Kaffee saßen, wurde ein Brief Tannhausers an Vitus abgegeben. Der neue Amtsrichter bat um Nachsicht, er könne heute nachmittag nicht in die Kanzlei kommen. Zu seinem rheumatischen Uebel habe sich noch Schüttelfrost gesellt; er sei nicht imstande, die Feder, geschweige denn die Gedanken festzuhalten; der Bezirksarzt schreibe für ihn diese Zeilen. Vom Flüchtling habe er noch keine Kunde, aber er vertraue auf die Hochfluth und die Gendarmen. –

„Verehrter Herr und Freund!“ lautete eine Nachschrift, „unser Tannhauser ist jetzt ernstlich krank, hohes Fieber!“

„Ich fahre zum Onkel,“ sagte Vitus, indem er seiner Frau den Brief hinreichte. Sie las, sah ihren Gemahl an und gab ihm recht. Der Lieutenant wandte ein, daß wahrscheinlich sein Vater heute abend ankomme, doch Vitus versicherte, daß er bis dahin zurück sein werde.


Die Fahrt nach Steinberg war für einen Sorgenlosen herrlich. Die Luft wehte kühl, Wiese und Wald waren nach dem nächtlichen Bade von sattem Grün. Und es ging den Bergen entgegen, man glaubte sie höher und höher in den Himmel wachsen zu sehen. Aber Vitus war nicht sorgenlos. Sein Blick suchte immer nur den Fluß, der, das einzig Düstere im Bilde, schmutzig gelb dahin schoß. Die Auen bildeten einen spiegelglatten, blauen See, der anmuthig herüberwinkte; nur die schwanken Baumkronen, die aus dem Gewässer emporragten, verriethen seine Tücke …

„Meinen ergebensten Glückwunsch, Herr Stadtrichter!“ rief der Bahnbeamte zur Begrüßung dem Reisenden zu, der als einziger beim Halteplatz Steinberg den Zug verließ. „Ich habe mich über Ihre Depesche ebenso gefreut wie der Herr Onkel. Wie geht’s der Frau Baronin und dem Fräulein Braut? Das sind Neuigkeiten über Neuigkeiten!“

„Mein Onkel ist also noch da?“

„Ja freilich, dem schmeckt’s bei uns! Entschuldigen Sie –“ Und der Freundliche wurde im Nu feierlich stramm. „Abläuten!“

„Fertig!“ schnarrte der Zugführer.

Vitus hielt sich nicht auf. Im kühlen Flur des „Rappen“ lag Azor, er rührte sich nicht, aber er knurrte. „Jesus! der Herr Stadtrichter!“ rief die Kellnerin, die aus der Schenkstube trat. So schnell verbreitet sich jede Nachricht, dachte Vitus, als er auch hier schon mit dem neuen Titel empfangen wurde. Sein Onkel, der sein Mittagsschläfchen im Sommerhause des Wirthsgartens hielt, war durch den Bahnlärm wach geworden. Er rieb sich die Augen und sprang auf.

„Neffe Stadtrichter, schön, daß Du kommst! Soeben wollte ich Dir schreiben!“ Furtenbacher wurde von einer Lüge nicht roth. „Mich freut’s namentlich wegen der Frau Baronin, die gehört in eine Großstadt. Dir wird der Abschied von den Spieß- und Pfahlbürgern dort auch nicht schwer werden. Doch? Ist es zu glauben! Was hattest Du denn in Hohenwart? Arbeit und Undank und zuguterletzt einen Einbruch. Der Bahninspektor brachte die Nachricht, die ihm telegraphisch zugegangen war, an den Mittagstisch. Du kannst von Glück sagen, daß die Spitzbuben nicht auch bei Dir einbrachen.“

„Sie würden bei mir nichts gefunden haben.“

Furtenbacher kraute sich hinterm Ohr. „Ach so,“ versetzte er zögernd, „Du kommst deswegen?“

„Ja, ich komme deswegen. Am Abend Deiner Ankunft –“

„Erinnere mich nicht an den! Mit dem Lieutenant fing’s an, und womit der Tag aufhörte, wirst Du von der Kathi gehört haben. Die läßt mir den Garten verwüsten und verliebt sich hinter meinem Rücken in den Burschen des witzigen Lieutenants. Sieht sie ihren Undank und ihre bodenlose Falschheit noch nicht ein? Natürlich nicht. So kann man wie ein Engel kochen und doch eine Schlange sein. Aber es giebt noch andere Küchenengel. Hier –“

„Lieder Onkel, verzeih’! Ich möchte um fünf Uhr wieder heimfahren.“

„Was fällt Dir ein? Heute abend kommt der Fischer-Sepp mit Krebsen.“

„Ich kann nicht bleiben, wenn Du also die Güte hättest –“

Doch da zwängte sich die kugelrunde Rappenwirthin durch die Thür, klatschte in die Hände und rief: „Gehorsame Dienerin, Herr Stadtgerichtsrath! Auch mal wieder die Ehre? Wünsch’ Ihnen halt recht schön Glück. Warum sind denn die Gnädigen nicht mitgekommen? Aber ich kann mir’s denken, der Schreck um dem Diebstahl! Mein Mann meint, für den Schaden müsse der Aerar aufkommen, und dem Aerar, meint er, schadet das nichts.“

Und jetzt erschien er selbst, der kluge Wirth, und dann die Schwiegertochter, und zuletzt holte die Hausherrin ihre Enkel herbei. Vitus litt unter dieser gutmüthigen Zudringlichkeit unsäglich, und Onkel Anton kam ihm nicht zu Hilfe, denn diesem war an einem Selbander wenig gelegen.

Im Sommerhause war auf kein Alleinsein mehr zu hoffen, so schlug Vitus dem Alten einen Spaziergang vor.

„Hm, meinetwegen!“ erwiderte Furtenbacher zaudernd, „dem Azorl thut Bewegung noth.“

Zwischen dem Dorf und der westlichen Gebirgswand erhob sich ein vereinzelter, mäßig hoher Hügel mit einem „Leidensweg“, einigen kleinen Kapellen hüben und drüben und drei Kreuzen auf dem Gipfel. Dahinauf stiegen die beiden. Droben setzte sich Onkel Anton auf eine Bank, blickte in die Landschaft hinaus und tätschelte den Hund, der ebenso schnaufte wie sein Herr. Müller trug stehend seine Bitte vor.

Der Onkel antwortete mit einer langen Geschichte von Vertrauensbrüchen und Geldverlusten. aber Vitus sei ein sicherer Mann und sein Schwestersohn, da müsse das älteste Glied der Familie ein Einsehen haben. Also nach der Rückkehr in ein paar Tagen!

„Nein, Onkel, Du mußt mir sogleich helfen: Nicht mehr Verenas Heirath ist meine nächste und schwerste Sorge, sondern der Ersatz der Mündelgelder. Ein Makel hat sich rasch an einen guten Namen geheftet. Du mußt selbst sagen, daß ich Hohenwart unter diesem Eindruck nicht verlassen, meine fünfzehnjährige Thätigkeit nicht damit beschließen kann!“

„Womit? Was geht Dich die Sache an? Du warst Amtsrichter, nicht Hauswart. Warum verlegt der Staat das Amtsgericht in einen baufälligen Ritterkasten, anstatt irgend einen steuerzahlenden Hausbesitzer etwas verdienen zu lassen! Du bist aufgeregt, morgen wirst Du über Deinen Großmuthsdusel lachen. Seit wann schenkt der Arme dem Reichen?“

„Das ist Gefühlssache, Onkel. Bevor sich der Staat zur Zahlung entschließt, giebt es eine endlose Untersuchung, man wird dies und das an meiner Amtsführung bemäkeln, und ich komme, wenn’s gut geht, mit blauem Auge davon. Wenn ich jemals wieder des Lebens froh werden soll, muß ich, ich das Geld ersetzen.“

Furtenbacher stand auf und steckte die Hände in die Taschen. „Mein lieber Neffe, ein letztes Wort! Ich mache mir nichts, gar nichts aus der Excellenz und dem thierquälenden Lieutenant;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_535.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)