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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Endlich mußte der Gefeierte doch selber sprechen. Allein nach einigen kaum vernehmbaren Einleitungs- und Entschuldigungsworten versagte ihm die Stimme. Er stammelte nur noch: „Dank – dank – ich bin nicht –“ Dann ließ er sich auf den blumengeschmückten Sitz zurückfallen und barg sein Gesicht in den Händen.

Die Versammelten begriffen, ehrten, theilten seine Bewegung. Keine noch so schöne Rede würde tieferen Eindruck gemacht haben.

Bald darauf zogen sich die Ehrengäste zurück. Der Gefeierte verbat sich Wagen und Geleit, nur Strobel leuchtete mit einer Laterne voraus. Das Brautpaar ging hinter ihm; am Arm seiner Gemahlin, die ihn stützte, ihm besorgt ins Antlitz sah, schritt Vitus langsam und mühevoll bergan. Die Pechpfannen waren ausgebrannt, doch als die Heimkehrenden den halben Weg zurückgelegt hatten, erglühte die Burg in bengalischem Feuer. Droben verabschiedete sich Helmuth.

„Das Fest war schneidig!“ rief er fröhlich. „Auf Wiedersehen morgen!“

In der Wohnung angelangt, küßte Vitus seine Frau auf die Stirn und bat sie, sich zur Ruhe zu begeben; er komme nach. Seine Nerven bedürften der Beschwichtigung, seine Gedanken der Ordnung.

„Ich bin müde zum Umfallen,“ sagte Ida, „aber selig. Du hast doch jetzt keine Furcht, keine Sorgen mehr?“

„Da mir Onkel Anton morgen das Geld vorschießt, nein.“

Vitus blieb allein im Wohnzimmer zurück. Durch die offenen Fenster hörte er die Musik und, wenn sie eine Pause machte, den Lärm der Gäste, die ihm zu Ehren die Nacht durchjubelten. Doch Vitus wachte länger als alle. Es war am Fuße des Schloßberges und im Städtchen still geworden und der Richter saß noch im Sorgenstuhl, matt, schlaflos, nachdenklich, immer das Rauschen des Flusses im Ohr.

Die ersten Kirchenglocken klangen, das Morgenlicht lag über den Bergen und ließ ferne Schneegipfel erglänzen, als Vitus sich in den Saal Karls des Großen begab. Sein Haar war wirr und zerwühlt; er trug noch den Festrock, aber in heißen Gedanken hatte er Hals und Brust entblößt. So sah er wie ein heimkehrender Nachtschwärmer aus, fahl und matt.

Der Saal lag noch in Dämmerung; Vitus trat vor das gebietende Bild des richtenden Königs. Er sah es nicht deutlich, denn seine Augen schwammen in Thränen, doch kannte er ja die alte Malerei Zug für Zug.

Jetzt hob auch er gleich dem König die Hand zum Schwur empor und sprach feierlich: „So wahr mir Gott helfe!“

(Fortsetzung folgt.)

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Luxemburg.

Geschildert in Wort und Bild von Paul Clemen.

Der Bischof Monulphus von Tongern, so erzählt ein alter Schriftsteller, hatte sich einmal in den Wäldern von Stavelot auf den Ulflinger Berg verirrt. Als er in der schmalen Schuttriese die felsige Halde erklommen hatte, hielt er den frommen Grauschimmel an, ungefähr dort, wo jetzt der Ulflinger Einödbauer seinen sauren Krätzer verschenkt, und schaute erstaunt nach Süden aus. Hinter ihm nur steinige Schrunden und unfruchtbare Bergtriften, vor ihm über den Wipfeln der dunklen Baumriesen, die ein flüchtiger Windstoß kräuselte, Höhenzug an Höhenzug, smaragdgrüne Wiesen und dichte Waldungen, bis dahin, wo in der dämmernden Ferne die weichen Linien der Bergrücken verschwammen.

Mitten in das grüne Sammetlager hatte sich ein Felsriese gebettet; sein Haupt trug als Krone den grauen Mauerreif des Römerkastells zu Clerf, um die braunen Schultern schlang sich ein dunker Waldsaum wie ein breites Ordensband. Die Landschaft hielt ihre Abendruhe: unter dem schweren Purpurvorhang der Wolken lugte nur noch scheu die Sonne aus, unter der Gluth ihrer Abschiedsküsse errötheten verschämt die Bergspitzen und hüllten sich in ein rosiges Dämmerlicht. Der Bischof setzte sich im Sattel zurecht. „Eia!“ rief er aus, „das ist ein Land, das der Herr zur Gesundung vieler Gläubigen ausersehen, und das aufs herrlichste ausgebaut, den berühmtesten Staaten gleichkommen soll.“

Was der streitbare Kirchenfürst von seinem Felsenerker aus überschaute, war der nördlichste Theil des heutigen Großherzogthums Luxemburg. Die Römer hatten abgewirthschaftet und waren aus dem Lande verschwunden, die Treverer, die Ureinwohner, hatten sich in die Wälder geflüchtet, um dort den alten Heidengott Taranis neben dem neuen Christengotte zu verehren, und von den Ardennen aus waren nur spärlich die Franken in die Luxemburger Thäler hinabgestiegen. Auf dem „Bock“–Plateau zwischen Petrusbach und Alzette standen noch die Trümmer eines römischen Vorwerks; ein fränkischer Häuptling hatte sich später in der sicheren Befestigung niedergelassen, seine Lehmzelle wie ein schmutziges Schwalbennest an die Römermauer geklebt und eine offene Holzlaube für seine Sippe errichtet.

Die neue Burg schenkte Karl Martell mit der Herrschaft Weimerskirch 738 an die Abtei St. Maximin zu Trier. Nach stark 200 Jahren erwarb dann der Ardennergraf Siegfried das alte Kastell, die Quadermauer ward wieder hergestellt. Während auf dem Berg der Graf mit seinen Ministerialen hauste, siedelten sich an den Wassern des Petrusbaches die niederen Leute an, die Muttergottes erhielt eine Kapelle vor den Thoren und ein halbes Dutzend Klosterbrüder Unterschlupf und Atzung in den Mauern der Siedelung. Das war der Anfang der Stadt Luxemburg.

Von Grundmauern römischer Bauten ist heute an Ort und Stelle nichts mehr zu erspähen; dafür birgt die Sammlung im Stadthaus am Krautmarkt römische Fibeln, Ohrlöffel und Toilettenspiegel, wie sie noch alljährlich beim Brunnenbaggern gefunden werden. Aber die enge Ringmauer des Grafen Siegfried läßt sich noch jetzt nachweisen, sie umschloß etwa den heutigen Fischmarkt; doch schon der Urenkel Siegfrieds, Graf Giselbert, brach sie ab und ersetzte sie durch eine neue, die durch die jetzige Grabenstraße am Wilhelmsplatz lief.

König Wenzel (1378 bis 1400) ummauerte die ganze Oberstadt; dann sorgte Karl V. am Anfang des 16. Jahrhunderts für die Ausdehnung und Verstärkung der Festungswerke, die von Konrad I. gestiftete Münsterabtei und das alte Stammschloß der Ardennergrafen wurden abgebrochen und in die Umwallung hineingezogen. Endlich umgab Vauban, der Vater der neueren Befestigungskunst, die Stadt mit Parallelen, nachdem der Prinz von Chimay im Jahre 1684 hatte kapitulieren müssen. Diese Werke von 8 Jahrhunderten, aufgeführt durch die heiße Arbeit von fast 30 Generationen, an wunderbarer Stärke nur dem meerumspülten Gibraltar vergleichbar, wurden durch einen einzigen Federstrich der Vernichtung geweiht: am 11. Mai 1867 wurde auf der Londoner Konferenz der Vertrag unterzeichnet, der das Großherzogthum Luxemburg zu einem unabhängigen neutralen Staat unter der Herrschaft des Hauses Oranien-Nassau erklärte. Artikel V des Vertrags enthielt die Bestimmung, der Großherzog sei gehalten, die nöthigen Maßregeln zu ergreifen, den festen Platz Luxemburg in eine offene Stadt zu verwandeln. So sind denn heute die in den Stein gehauenen Kasematten zerstört, die Riesenmauern gesprengt; unverhüllt und ungeschirmt zeigt der Felskoloß seine narbige Stirne.

Die breiten Glacis sind in Parkanlagen verwandelt, die Gräben aufgeschüttet und mit den Straßen der Oberstadt zu umfangreichen Vorplätzen verbunden. Von dem „Verfassungsplatze“ aus, der über dem scharf eingeschnittenen Thal des Petrusbaches als mächtiger Mauerpfeiler vorspringt, überschaut das Auge den Aufbau des ganzen Felsgefüges. Ein einziger abgeplatteter Höhenrücken, wie die Moselberge aus Silur, Devon und Granit bestehend, an den Rändern ausgehöhlt und von den Wassern der Quartärzeit glatt gescheuert, fällt nach drei Seiten über 70 Meter tief steil ab, hinunter zu den engen Thälern der Alzette und ihrer Nebenflüsse.

Aber wenn auch die Befestigungswerke gebrochen sind, die Aufmauerungen des wunderbaren Bergschlosses mußten bleiben – wäre doch sonst die halbe Stadt in die Tiefe gestürzt, So bietet Luxemburg dem Fremdling von drei Seiten zuerst das Bild einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_555.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)