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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

für ein Gedächtniß habe! Reich mir die Biederhand, aber zermalme mir die meinige nicht, sie soll nach einiges leisten! Was führt Dich denn hierher zur freien Hansa? Ja so, ich bin Dir noch hundert oder zweihundert Mark schuldig, die willst Du wohl wieder haben?“

„Warst Du mir wirklich Geld schuldig, Hilt? Das hatte ich ganz vergessen!“

Hilt sah seinen Besuch von der Seite an und schnitt eine höhnische Grimasse.

„Das mach’ weis, wem Du willst, Kunde! So was vergißt kein Mensch!“

„Glaub’ es oder glaub es nicht – das halte, wie Du willst!“ entgegnete Andree kurz. „Ich führe nicht Buch über –“

„Aber ich!“ rief der andere eifrig. „Wart’ mal, oder lieber, komm’ mit mir da herein!“ Er riß die Thür zum Nebenzimmer vollends auf und lief an einen hohen Schrank, der im Hintergrunde dieses anscheinend als Wohn- und Speisezimmer dienenden Raumes stand.

„Hier drinen muß es stehen – Jahrgang 1879 – das ist’s nicht – 1882 – da haben wir’s! München – hier – komm’ her – von Andree 200 Mark! Leider sind es 200! Was sagst Du nun?“

Er hob sich auf die Fußspitzen, um seinem Gast genau ins Gesicht sehen zu können, und setzte eine so triumphierende Miene auf, als habe er ihm die 200 Mark soeben bei Heller und Pfennig auf den Tisch gezählt!

„Nichts!“ erwiderte Andree trocken. „Es mag so sein, wenn es da steht. Weshalb ich Dich aufsuche? Ich bin ganz fremd hier in Hamburg, will ein paar Monate, ein halbes Jahr oder so herum, dableiben, und da ich niemand in der ganzen großen Stadt kenne als Dich, so kam ich, Dich um Rath zu fragen. Wie richtet man sich’s am besten hier ein? Wo wohnt man – natürlich mit Atelier! – wo speist man, wo besorgt man sich Leinwand u. s. w.? Möchtest Du mir das sagen?“

„Setz’ Dich zuerst!“ Hilt nöthigte ihn auf eine mit dunkeln Wollstoffen überhangene Ruhebank und setzte sich dicht neben ihn. „Du siehst gut aus, Waldemar Andree! Ich hatte Dich gar nicht so stolz und stattlich in meinem sonst vortrefflichen Gedächtniß! Diese Figur! Steh’ noch einmal auf! Fabelhaft! Dich hätte der große Soldatenkönig ganz unfehlbar unter die Potsdamer Riesengarde gesteckt! Neben Dir seh’ ich aus wie’n Schwefelhölzchen! Was schaust Du mich so durchbohrend an? Du bist wohl bloß zu mir gekommen, weil Du sonst keine Seele hier kennst?“

„Laß das,“ sagte Andree und rückte etwas unbehaglich auf seinem Sitz umher, „wir wollen die Dinge nicht auf das persönliche Gebiet hinüberspielen. Wenn ich Dir irgendwie ungelegen komme –“

„Mir ungelegen? Mir?“ Hilt lachte mit einer Selbstgefälligkeit, die ihm komisch genug zu Gesicht stand. „Schöne Begriffe machst Du Dir von meinem Verkehr und Leben! Leute von meinem Schlag sind überall gesattelt, die kennen kein ‚Gelegen‘ und ‚Ungelegen‘. – Also Wohnung mit Atelier! Hier herum, wie?“

„Ja!“, kam es etwas zögernd heraus.

„Nicht zu nahe bei mir, wie?“

„Nein!“ klang es jetzt kurz und bündig.

Hilt lachte wieder und schrieb eine Bemerkung in sein Taschenbuch. „Leinwand und alles sonstige hier ganz in der Nähe, ich schreib’ Dir die Adresse auf, sehr gute Quelle, aber theuer, theuer, wie alles in dieser edlen freien Reichsstadt! Mittagstisch – wenn die Wirthin, die ich im Auge habe, Dich annimmt, dann bist Du wohl geborgen. Eine Hamburger Aalsuppe bereitet Dir dies Weib, und gebackene Seezungen und ein Roastbeef, es ist einfach –“

„Schön! Wo wohnt sie?“

„Fürs erste noch mein Geheimniß! Laß Dir nur vorläufig meine Führerschaft gefallen, ich weiß ja noch nicht, ob sie Dich aufnimmt! Ein paar Tage bleibst Du doch noch im Gasthof. Wo bist Du denn abgestiegen? ‚Hamburger Hof‘? So feudal? Na, da besuch’ ich Dich einmal, man bekommt dort großartige Austern! Eine Liebe ist der andern werth! Ich bin ja mütterlich besorgt um Dich! Ja, wenn ich Dir nicht noch diese 200 Mark schuldig wäre! Und nicht zu sehr in meiner Nähe will er wohnen! Kostbar! Der Duckmäuser! Will nicht, daß man ihm in die Karten sieht! Na, das hält bei mir heillos schwer!“

Andree nickte nur so vor sich hin; Hilts Auffassung war ihm ganz lieb, und er ließ ihn dabei, denn er konnte doch nicht sagen, wie wenig angenehm ihm dessen Persönlichkeit sei und wie er aus diesem Grunde einen näheren Verkehr nicht wünsche.

Hilt unterbrach das Schweigen. „Du kommst geradeswegs von Rom?“

„Geradeswegs!“

„Wie lange hast Du da gelebt?“

„Vier Jahre, vorher reiste ich!“

„Ja, ja, ich weiß! Bin ganz auf dem Laufenden! Habe ein paar von Deinen Bildern gesehen! Du hast sehr viel Begabung, ’s ist schade um Dich! Ihr alle da unten in der ewigen Stadt richtet Euch selbst zu Grunde mit Eurem himmelblauen Idealismus und abgedroschenen Schönheitskultus!“

„Ah so!“ machte Andree gelassen. „Du bist einer von den ‚Neuen‘?“

„Und ob ich es bin! Und bin stolz darauf! Stolz, sag’ ich Dir!“

„Ich will Dir’s gern glauben, Hilt! Aber wechseln wir lieber das Thema, oder laß mich nach meinem ‚Hamburger Hof‘ zurückgehen. Eher kommen Feuer und Wasser zusammen als die überzeugten Anhänger zweier Schulen. Wir hatten bei uns in Rom auch so ein paar übereifrige Neuerer, es war nicht mit ihnen zu reden –“

„In Rom! Guter Gott! Die paar armen versprengten Schäflein inmitten einer Rotte von Rafaelanbetern. Hierher müßt Ihr kommen, hierher!“ Und Hilt schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, daß es dröhnte. „Hierher nach Norddeutschland, wenn Ihr wissen wollt, was die neue Richtung will und kann! München, das ist zu international, die Amerikaner kaufen da zu viel und machen ihren Yankee-Geschmack geltend, aber wir in Hamburg, und namentlich in Berlin – o Berlin! Nie im Leben wär’ ich von dort fort, wenn ich nicht hier einige sehr vortheilhafte Aufträge bekommen hätte; allein mich hält’s in Hamburg nicht auf die Dauer und ich bin drüben, so oft ich nur kann. Berlin ist die wahre Welt, der Sitz aller Intelligenz – aller, auf was sie sich immer beziehen mag! Jede andere Stadt, wenn sie etwas leistet, ist doch nichts als eine Filiale von Berlin! Das ist der Sitz, das Centrum, der Ausgangspunkt! Wer das nicht kennt, kann überhaupt den Mund nicht aufthun!“

„Erlaube, daß ich den meinigen dennoch aufthue! Erstens habe ich viel gesehen, was von dorther gekommen ist –“

„Nichts hast Du gesehen! Rom hat keine Ahnung, keinen blauen Dunst von Berlin!“

„Ich bin mehrere Tage in Berlin gewesen –“

„Die Ausstellung besucht? Eingehend?“

„Natürlich! Meinst Du, ich weiß nicht, was ich lobe oder verwerfe und weshalb?“

„Und weiter! Was hast Du dort gesehen?“

„Nun … die peinlich genau gemalte Innenansicht von Spitälern und Sezierstuben, halb entkleidete Lungenschwindsüchtige, Morphiumkranke mit stieren Blicken und Amputierte auf dem Operationstisch – das habe ich gesehen!“

„Aber wie gemalt, wie gemalt – was?“

„Ja, bei einigen war’s wirklich schade um die fleißig geübte, virtuose Technik, die an solche Motive verschwendet wurde, bei andern, bei den meisten sogar, war es ein stumpfer kalter Ton, der auf mich häßlich und unnatürlich gewirkt hat“ –

„Aha! Du bist in Deinem Rom in den ewigen Farbenrausch, in den Koloristendusel gerathen, der nichts anderes anerkennt als satte Goldtöne und glühende Tinten!“

Andree erhob sich.

„Ich bitte Dich noch einmal, Hilt: endigen wir doch dies Gespräch! Ich möchte wirklich gehen – wo hast Du denn meinen Hut gelassen? Ich will Dir durchaus den alleinseligmachenden Kultus Deiner neuen Lehre nicht rauben, aber laß’ Du mir dafür meine Ueberzeugungen!“

„Die will ich Dir aber nicht lassen, zum Teufel, nein!“ schrie Hilt, sprang ebenfalls auf und reckte seine kleine Gestalt empor, so hoch er konnte. „Das ist’s ja eben! Soll es einem nicht das Blut empören, wenn man einen begabten Menschen vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_631.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2023)