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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

etwas zu ihr sagen, aber ihm fiel nichts Gescheites ein, und etwas Alltägliches konnte er doch nicht vorbringen! Ehe er sich auf eine passende Anrede besonnen hatte, waren sie bei der Dame des Hauses angelangt.

„Mein liebes Kind,“ begann diese mit einiger Feierlichkeit, „Seine Durchlaucht Prinz Riantzew wünschte, Dich zu begrüßen und sich eines Tanzes zu versichern!“

„Ah so!“ Stella neigte leicht ihr Köpfchen als Erwiderung auf des Prinzen Gruß. „Ich glaubte, eine der älteren Damen verlange nach mir, vielleicht meine Pathe, Frau Senator Heyn. Ich habe gar nicht gewußt, daß Durchlaucht so kurzsichtig ist, ein so hoher Herr – ich meine so hochgewachsen! – muß doch eine Dame immer zu finden wissen!“

„Sie strafen mich hart, gnädiges Fräulein!“ entgegnete der junge Mann in seinem liebenswürdig klingenden österreichischen Dialekt. „Ihre Frau Mutter war so überaus zuvorkommend, es nicht zu dulden, daß ich Sie selbst aufsuchte, wie es meine Pflicht und auch meine Absicht war. Darf ich dennoch den Muth haben, Sie um einen Tanz nach Tisch zu ersuchen?“

„Ich muß bedauern, meine Tänze sind schon alle vergeben!“

„Stella!“ sagte die Senatorin erschrocken, in mahnendem Ton.

„Bitte, sieh doch, Mama! Wollen Sie sich selbst überzeugen, mein Prinz!“ Sie nahm mit großem Ernst die Tanzkarte aus ihrem Bouquet und hielt sie dem Prinzen hin, sodaß ihr dieser nahe in die leuchtenden Augen blicken konnte.

„Sie hätten mich sehr glücklich gemacht, wenn Sie mir einen Tanz aufgehoben hätten!“ stieß er heraus.

„Aber warum hätte ich das sollen?“ gab sie unbefangen zurück und steckte die kleine Karte wieder sorgsam zwischen die Blumen. „Daran bin ich so gar nicht gewöhnt! Die Herren, die lange zuvor einen Tanz von mir zu haben wünschen, müssen auch lange zuvor darum bitten!“

Der Prinz warf hochmüthig den Kopf zurück und biß sich in seinen Schnurrbart. Wollte ihn denn dies schöne Bürgerkind behandeln wie den ersten besten Kaufmannslehrling, der vor ihres Vaters Pult den Comptoirsessel bestieg und Briefe über Getreide und Erbsen schrieb? Es schien in der That so! Oder war dies Koketterie? Kaum! Stella stand so harmlos da, als habe sie soeben die gewöhnlichste Sache von der Welt abgehandelt. Teufel noch eins, der Prinz konnte sich besinnen, solange er wollte, er hatte noch nie ein so tadellos schönes Mädchen gesehen! Er besaß eine Bildergalerie lebender Schönheiten, auf die er sich mit Recht etwas einbildete – aber eine Stella Brühl gab es nicht darin. Es half nichts! Man würde etwas von seinen durchlauchtigsten Allüren nachlassen, Mensch unter Menschen sein müssen – nicht Fürst unter Bürgerlichen!


Notturno.
Nach einer Zeichnung von J. v. Wodzinski.

Wie er sich indessen eben anschickte, so recht gemüthlich zu sein und das Gesicht in die allermenschenfreundlichsten Falten zu legen, da mußte er zu seinem ungeheuren Verdruß gewahr werden, daß die, um derentwillen er diese ungewöhnlichen Anstalten traf, gar nichts davon bemerkte; sie hatte sich abgewandt und blickte ihrem Vater entgegen, der sich ihr näherte mit einem großgewachsenen, brünetten Herrn an der Seite, den er seinen Damen ohne Zweifel vorzustellen gedachte.

Richtig kam es auch so! Der Senator lavierte geschickt um ein paar Schleppen herum und stand nun vor den Gesuchten.

„Ihr gestattet mir wohl, meine Lieben, daß ich Euch, und auch Ihnen, mein Prinz, Herrn Andree vorstelle, einen Künstler von bedeutendem Ruf, denselben Herrn, um dessen liebenswürdigen Besuch uns vor einigen Tagen ein ungünstiger Zufall gebracht hat!“ Hier setzte der Hausherr seiner Rede Schranken und schielte nach Stella hinüber, ob sie wohl zufrieden mit ihm sei. Ja, denn sie lächelte! Papa athmete erleichtert auf.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_677.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)