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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Mütze, auf der zu lesen war: „Ketzerin, Rückfällige, Abtrünnige, Götzendienerin“. Dann ging sie hinaus auf den Schloßhof, wo das Sterbegeleit ihrer wartete. Hier bestieg sie einen Wagen, rechts und links neben ihr nahmen der Gerichtsbote und der Beichtvater Massieu Platz. Achthundert Krieger mit Aexten, Schwertern und Lanzen geleiteten den Zug. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, sprang plötzlich durch die Volksmenge hindurch ein Mönch an den Wagen heran und sank händeringend vor Johanna nieder. Es war jener Loyseleur, der von ihren Bedrängern der arglistigste gewesen war. Die Reue ließ ihm keine Ruhe, er war gekommen, die Jungfrau um Verzeihung zu bitten. Ob sie ihm geworden ist, wissen wir nicht; denn er wurde von den wüthenden Engländern vom Wagen weggerissen und der Graf Warwick erklärte ihm, wenn ihm sein Leben lieb sei, solle er die Stadt schleunigst verlassen. Loyseleur hat die Ruhe seiner Seele nicht wieder erlangt; er ist von Gewissensbissen in der Welt umhergejagt worden und nicht lange nachher in Basel gestorben.

Bald nach neun Uhr kam der Wagen auf dem „Alten Markt“ bei der Erlöserkirche an. Drei Gerüste erhoben sich dort, eins für die geistlichen, eins für die weltlichen Richter und endlich eins für die Prälaten, an deren Spitze der Kardinal von England stand. Auf das Gerüst der geistlichen Richter wurde Johanna geführt. Eine unübersehbare Zuschauermenge hatte sich angesammelt. Tiefes Schweigen herrschte im Volke. Da begann Nicole Midi, ein Mönch, die Totenpredigt über die Stelle: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“ Er endete mit den Worten: „Johanna, gehe in Frieden, die Kirche kann Dich nicht ferner schirmen, sie übergiebt Dich dem weltlichen Arm!“ Bischof Cauchon las alsdann das geistliche Urtheil vor, dessen Schluß lautete: „Wir schneiden Dich von dem Leibe der Kirche ab und übergeben Dich der weltlichen Gewalt mit dem Ersuchen, ein mildes Urtheil über Dich zu sprechen und Dich mit Tod oder Verstümmelung der Glieder zu verschonen.“

Johanna sank auf die Kniee und betete. Im Gebet rief sie aus: „O Rouen, o Rouen, werde ich hier sterben, wirst du mein letztes Haus sein? O Rouen, ich fürchte, du wirst für meinen Tod zu leiden haben!“

Von der Kirche verstoßen, bat sie ihre Begleiter um ein Kruzifix. Schnell machte ein mitleidiger Engländer aus zwei Holzstäbchen ein Kreuz und gab es ihr; sie küßte es und steckte es an ihre Brust. Als dann der getreue Mönch Isambard, selbst bitterlich weinend, mit einem Kruzifix aus der nahen Erlöserkirche kam, umschlang sie es lange und bedeckte es mit Küssen und Thränen.

Einzelne von den Beisitzern erhoben sich und schlichen sich still weg von der Richtstätte, um sich den entsetzlichen Anblick zu ersparen. Die meisten weinten, selbst Soldaten und Offiziere blieben nicht ohne Rührung. Endlich erhielten die Schergen Befehl, vorzugehen. Als Johanna ihrer ansichtig wurde, umfaßte sie noch einmal das Kreuz, grüßte die auf dem Gerüst Stehenden und schritt, begleitet von Ladvenu und Isambard, vom Gerüst herab. Unten nahmen sie die Gerichtsdiener in Empfang und führten sie auf den Scheiterhaufen. An demselben hing eine Tafel mit den Worten: „Johanna, welche sich hat die Jungfrau nennen lassen, Lügnerin, Verderberin, Verführerin des Volkes, Wahrsagerin, abergläubisch, Gotteslästerin, hoffärtig, irrgläubig im Christenglauben, Prahlerin, Götzendienerin, grausam, liederlich, Anruferin von Teufeln, abtrünnig, ketzerisch!“

Sie ließ sich geduldig an den Pfahl binden. Dann zündete der Henker den Holzstoß an. Langsam züngelte die Flamme empor. Bis dahin hatten Ladvenu und Isambard bei ihr ausgehalten, jetzt bat sie dieselben, hinabzugehen und das Kreuz recht hoch zu halten, damit sie es sehen könne. Als schon der Rauch an ihr emporquoll, schrie sie laut auf: „Ich bin keine Ketzerin, bin keine Abtrünnige! Meine Stimmen sind von Gott! Auf Gottes Befehl habe ich gethan, was ich gethan habe.“ Dann rief sie wiederholt den Namen Jesus, bis ihre Stimme schwächer wurde und endlich ihr Haupt auf die Brust sank.

Schweigend zerstreute sich die Menge. Alle hatten den Eindruck, daß hier aus politischen Rücksichten ein Justizmord begangen worden war. Als der Geheimschreiber des Königs von England von dem Richtplatze heimkehrte, rief er aus: „Wir alle sind verloren, denn wir haben eine Heilige verbrannt, deren Seele bei Gott ist.“ Im Landvolke der Normandie begann man zu murren gegen die Mörder. In den Straßen von Rouen wurde auf Cauchon und seine Beisitzer mit Fingern gezeigt. Alle Gewalthandlungen der Engländer waren nicht imstande, den Unwillen niederzudrücken. Eine weiße Taube, das Abbild der Unschuld, so erzählte man sich im Volke, sei aus den Flammen des Scheiterhaufens zum Himmel emporgeflogen.

Die alte Mutter und die Brüder des unglücklichen Mädchens wendeten sich in der Folge an den Papst mit der Bitte, die Wiederaufnahme des Prozesses zu befehlen und die Familie von dem Makel der Ketzerei zu befreien. Im Jahre 1455 wurde endlich, nachdem man sich in Rom aus Rücksicht auf England lange gesträubt hatte, dem Wunsche entsprochen, und im folgenden Jahre waren Cauchons Intriguen entlarvt; wiederum im großen Saale des Schlosses zu Rouen wurde der erste Prozeß im Namen der Kirche als eine Ruchlosigkeit bezeichnet und jeder Makel von Johannas Andenken getilgt.

Auch ohne dieses päpstliche Dekret, das die Jungfrau schließlich doch nur von dem nebensächlichen Vorwurf der Ketzerei lossprach, würde die Nachwelt bald die Größe dieser wunderbaren Gestalt erkannt haben: die Wahrheit der begeisterten That bleibt nicht lange verborgen. Schlimmere Angriffe als die des englischen Hasses hat die Jungfrau siegreich bestanden: der Spott Voltaires ist an ihr zerschellt. Dem deutschen großen Dichter aber war es vorbehalten, dem Mädchen von Domremy poetisch gerecht zu werden. So viel er auch von den Thatsachen der Geschichte abgewichen ist, den Geist der geschichtlichen Erscheinung hat er doch wie kein anderer wiedergegeben in seinem ergreifenden Werke von der „reinen Jungfrau, die jedwedes Herrliche auf Erden vollbringt“.




Hebung gesunkener Schiffe.

In der Tagespresse wird eine neue Erfindung beschrieben, welche „zur Hebung gesunkener Schiffe oder Wracks“ dienen soll. Der Erfinder ist ein Amerikaner, und nach den vorliegenden Angaben besteht der Apparat aus eisernen Hohlkugeln von 20 Fuß Durchmesser, die vollständig luftdicht hergestellt sind. An der einen Seite jeder Kugel sitzt das Eintrittsventil, an der entgegengesetzten ein Ausströmungsventil. Bei Anwendung der Vorrichtung sollen die Kugeln, mit Wasser gefüllt, versenkt und durch Taucher am Wrack befestigt werden. Ist das geschehen, so wird zunächst aus den am Stern und Bug des Schiffes angebrachten Kugeln vermittels einer Luftpumpe das Wasser durch Luft verdrängt. Dadurch soll das Wrack aufgerichtet werden, denn die mit Luft gefüllten Kugeln sollen je 500 bis 700 Tonnen Auftriebskraft besitzen. Dann wird in die einzelnen an den Längsseiten befestigten Hohlkugeln zu gleicher Zeit Luft eingepumpt, und das Schiff steigt sammt den ihre Tragkraft entfaltenden Kugeln an die Oberfläche.

Bei dieser Gelegenheit bestätigt sich wieder die Erfahrung, daß nicht jede „neue“ Erfindung, die uns von jenseit des Oceans gemeldet wird, wirklich neu ist. Das Prinzip, vom Meeresgrund Lasten durch den Auftrieb von Behältern zu heben, die mit Luft gefüllt sind, ist schon lange bekannt und vor etwa 30 Jahren thatsächlich in Deutschland erprobt worden. Der Mann, welcher es zuerst in Anwendung brachte, ist ein Deutscher Namens Wilhelm Bauer. Er war kein studierter Ingenieur, sondern ein Erfinder von Gottes Gnaden, eines jener urwüchsigen Talente, die auch ohne besondere höhere Schulbildung im Leben Großes zu leisten vermögen. Er wurde am 23. Dezember 1822 zu Dillingen in Bayern geboren, erlernte das Drechslerhandwerk und trat später in den Militärdienst seines Heimathlandes. Da man hier seine technische Begabung erkannte, so versetzte man ihn als Unteroffizier zur Artillerie. Im Jahre 1848 marschierte er mit dem bayerischen Armeecorps nach Schleswig-Holstein, und als er hier die Schutzlosigkeit der deutschen Küste sah, verfiel er auf den Plan einer unterseeischen Schiffahrt und ersann seinen „Brandtaucher“, zu dem ihm der Seehund als Modell gedient haben soll. Mit geringfügigen Mitteln, die ihm aus öffentlichen Sammlungen zuflossen, baute er das erste unterseeische Fahrzeug, das aber leider bei einem Versuch am 1. Februar 1851 auf den Grund des Kieler Hafens versank und erst am 5. Juli 1887 wieder gehoben wurde.

Später baute Bauer in Rußland unter dem Schutze des Admirals Großfürsten Konstantin einen neuen Brandtaucher, mit dem er eine große Anzahl gelungener Fahrten ausführte. 1858 kehrte er nach München zurück und beschäftigte sich hier mit der Ausführung einer anderen Erfindung, welche unter dem Namen der „unterseeischen Kamele“" bekannt wurde.

In meiner jüngst erschienenen Schrift „In Meerestiefen“ habe ich diese Erfindung kurz in folgender Weise beschrieben:

„Unter dem sonderbaren Namen sind einfach Luftballons zu verstehen, die einen auf dem Meeresgrund liegenden Gegenstand, z. B. ein gesunkenes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_719.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)