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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

eine der nackten braunen Beine selbstvergessen hoch emporgezogen, als könne ihm das helfen, den an der Angel zappelnden Fisch rascher in die Höhe zu schnellen, die Handhabe der Angel in den gekrümmten Fingern – und diese aufblitzende Freude, diese triumphierende Lust in den dunkeln Augen unter dem Wust von schwarzem Haar: ich hab’ ihn! Man meinte, das beschleunigte Athemholen des Jungen zu hören.

Schön war er nicht, der „kleine Fischer“! Hilt wäre zufrieden gewesen. Ein braunes mageres eckiges Gesicht, eine langaufgeschossene Figur, die gar nicht „Pose machte“, sondern ganz ungeniert und natürlich auf der Mauer lag – aber eben darum!

Andree konnte nicht anders, er hatte seine helle Freude an dem „Pescatore“, und neben ihm stand einer, der theilte diese Freude. „Sehen Sie,“ sagte Herr Grimm, „ich freue mich jedesmal, wenn ich den Schlingel da anschaue, er ist mir die verkörperte Lebenslust, die harmlose, meine ich natürlich. Was ist denn Ihr neuestes Sujet? Darf man es wissen?“

„Sie müssen mir nicht böse sein – nein, ich kann es Ihnen nicht sagen! Ich weiß noch nicht, ob ich die Idee, die ich mit mir herumtrage, werde verwirklichen dürfen, es liegt mir mehr daran, als ich sagen kann; allein gerade deshalb –“

Eben jetzt öffnete sich vorsichtig die Thür der „Bildergalerie“, das faltige Gesicht der Frau Müller sah herein, und sie meldete: „Der Kaffee!“

„Kommen Sie!“ sagte Grimm, und ein nachdenklicher, fast trüber Zug, der eben bei Andrees stockender Rede in seinem Antlitz sichtbar geworden war, verflog wieder. „Liebenswürdig ist meine Alte nicht, wie Sie merken können, aber sie versieht mein Hauswesen ausgezeichnet, versteht einiges von Blumen, respektiert Hafis und respektiert auch mich auf ihre besondere Art, mehr kann man nicht verlangen.“

Herr Grimm schob wieder seinen Arm in den des Gastes und führte ihn ins Wohnzimmer zurück.

Andree ließ immer wieder seine Blicke rundum gehen in dem behaglichen Zimmer mit den schönen, altmodischen Möbeln und sah dann in das feine, sympathische Gesicht seines Wirthes. Gewiß, er würde ihm ein Freund werden! Nicht einer, wie es ihm Werner Troost gewesen war – das kam wohl nie wieder! Diese fast schwärmerische Liebe, dies zärtliche, sorgende Empfinden lag mit dem schönen Jüngling dort unten im sonnigen Süden begraben. Aber es konnte doch eine Freundschaft werden, wie sie Andree noch kaum gekannt und zuweilen sich aufrichtig gewünscht hatte, eine Freundschaft, in der er selbst auch häufig der nehmende, nicht nur immer der gebende Theil sein, in welcher der ältere, gereifte Mann sein Rathgeber, sein Führer werden würde.

Merkte der kluge, weißhaarige Herr neben ihm diese Empfindung heraus? Er plauderte immer offenherziger, und die Mehrzahl seiner Bekannten wäre sehr erstaunt über ihn gewesen, – Senator Brühl an der Spitze.

Andrees schlichtes Wesen, gleich frei von Blasiertheit wie von jedem Gefühlsüberschwang, seine warme Begeisterung für die Kunst, sein ruhiges, sicheres Urtheil, sein gesunder Humor, alles sagte Herrn Grimm zu, außerdem sah er ihn gern an. Er hatte schönere Männer gesehen, ohne Zweifel! Aber Andrees stattliche Gestalt, das ernste männliche Gesicht mit dem schwarzen Bart und den blauen Augen fesselten seinen Blick immer aufs neue. „Wirklich ein prächtiger Mensch!“ dachte er für sich. „Ich hoffe nur das eine, daß er sich nicht in das Götzenbild, diese Stella verliebt. Das wäre geradezu ein Unglück! Er ist ja tausendmal zu gut für sie. Und er wird es auch nicht thun! Aber freilich, – Künstler ist er, und sie ist nun einmal wunderbar schön, das bleibt unbestreitbar!“

Herr Grimm wurde jedesmal unfrei in seiner sonst so fließenden Rede, sobald Andree das Gespräch auf Stella oder den Senator brachte, und natürlich fühlte der Maler das bald heraus. Seinen Fragen nach den jüngeren Kindern und wie es denn komme, daß sie in eine ihrer Natur augenscheinlich ganz fernliegende Richtung gezwungen würden, und wessen Werk das sei, ob des Vaters oder der Mutter, wich der ältere Mann verlegen aus, und vollends ein Gespräch über den Senator selbst und sein eigenes Verhältniß zu demselben in früherer und in jetziger Zeit verursachte Grimm sichtliches Unbehagen; er brach es kurz und unvermittelt ab, sodaß sogar Andree, dessen Natur es sonst sehr fern lag, überall Geheimnisse zu wittern, unwillkürlich denken mußte, hier liege eines verborgen. Und was konnte es zu bedeuten haben, daß jedesmal, wenn Stellas Erwähnung geschah, ein Flor, ein Schatten sich über Herrn Grimms klare Augen senkte und er seinen Gast besorgt und traurig anschaute wie jemand, der wohl sprechen, warnen möchte, aber genau im voraus weiß, es sei unnütz, vielleicht sogar gefährlich? Andree merkte es sehr bald: das Haus Brühl war ein heißer Boden, auf dem sich der ehemalige Compagnon und Freund – er hatte ausdrücklich betont, der Senator sei ihm seit langen Jahren nichts weiter als ein Bekannter, wie er deren ein halbes Hundert habe – offenbar ungern bewegte. Man änderte also das Thema, und beiden Männern war es dabei wohler zu Muthe.

Mitten in einem lebhaften Hin und Her über Hamburg, wie es früher gewesen war, wie es jetzt sei, und welchen Umschwung der Zollanschluß herbeigeführt habe, unterbrach Herr Grimm seine Auseinandersetzungen und rief:

„Nun sehen Sie meinen Hafis! Wie er sich wäscht! Wir bekommen mithin noch Besuch, – ich kann nicht sagen, daß mich dieser Gedanke erfreut!“

Der persische Kater thronte wieder auf der Sofalehne, nahe der Schulter seines Herrn, und führte über Ohr und Nase bedächtig seine feuchte weiße Pfote. Plötzlich ließ er sie mitten in der Luft stehen und bewegte lauschend die Ohren. Es kam ein Geräusch von draußen, rasche Schritte, die den Flur entlang liefen, dann wurde die Thür hastig aufgerissen.




13.

Andree hatte sich von seinem Sitz erhoben und trat unwillkürlich ein paar Schritte hinter einen hohen, dunkeln Schrank zurück. So kam es, daß er die Scene bequem überschauen konnte, ohne fürs erste selbst gesehen zu werden.

Gerda Brühl stürzte ins Zimmer, in der rechten, hoch erhobenen Hand ein weißes, zappelndes Kaninchen tragend, das sie bei den langen Ohren hielt.

„Onkel Grimm, Sie müssen es nehmen, ja, bitte?“ rief sie athemlos statt der Begrüßung. „Bloß so lange, bis wir draußen auf der Uhlenhorst sind, da ist viel mehr Platz, da können wir’s beim Gärtner unterbringen, – aber hier leidet sie es ja nicht und hat gesagt, sie lasse es totmachen. Solch’ ein hübsches Thier, – und Wolf freut sich so darauf, Kaninchen zu haben! Lieber Onkel Grimm, bloß drei oder vier Tage, bis wir draußen sind, ja?“

Sie hatte den freien Arm schmeichelnd um seine Schulter gelegt und sah ihm bittend ins Gesicht, das bedrohte Kaninchen dadurch unbedacht in Hafis’ gefährliche Nähe bringend. Die Perserkatze hatte sich mit gesträubtem Fell aufgerichtet und in ihren Augen funkelte es bedenklich.

„Wir wollen schon sehen!“ begütigte Herr Grimm freundlich und streichelte Gerda über das erregte Gesicht. „Für ein paar Tage allenfalls, Raum ist ja genug, – aber, Kind, geh etwas weiter von Hafis fort, – und überhaupt, – wo ist denn“ –

Weiter kam er nicht, denn jetzt gewahrte Gerda Andrees Gestalt neben dem Schrank, stieß ein entsetztes „Ach!“ aus und ließ die Ohren des Kaninchens los. Das kleine Thier, das sich in seiner Zwangslage sehr unglücklich gefühlt hatte, galoppierte in kurzen Sprüngen durch das Zimmer, Hafis that einen wilden Satz von der Sofalehne herab und jagte fauchend hinter dem Flüchtling her, Gerda, die mit Recht das Leben des Ausreißers für bedroht ansah, riß eine Serviette vom Kaffeetisch und verfolgte den Kater mit lautem Wehgeschrei, Herr Grimm endlich wollte seiner Autorität über den Hausgenossen Geltung verschaffen und rief in warnendem Ton, der sich bis zur Drohung steigerte: „Hafis! Hafis!“ Andree mußte lachen, besann sich aber nicht lange und nahm an der Jagd theil, indem er zuerst den naheliegenden Gedanken, das Terrain zu beschränken, in die That umzusetzen suchte. Leider schon zu spät, denn als er gerade die zum Nebenzimmer führende Thür, die offen stand, erreicht hatte, huschte ihm das Kaninchen zwischen den Füßen durch und flüchtete in das nächste Gemach, Hafis selbstverständlich hinterher. Es gab Getümmel, Geschrei, Rufen und Fragen ohne Ende. „Hier ist es!“ „Nein, hier, hinter dem Vorhang!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_742.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)