Seite:Die Gartenlaube (1891) 752.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die drei Vereinsbrüder.

Eine Erzählung von Ernst Lenbach. 0 Illustriert von Fritz Bergen.

In einer mittelgroßen, etwas abgelegenen Stadt Westdeutschlands bestand bis vor wenigen Jahren ein Verein, welcher seines Namens wie seines Wesens halber in seiner Blüthezeit zu den Merkwürdigkeiten des Landes zählte. Die altangesessenen „guten“ Familien gehörten ihm fast ausnahmslos an, und für die nicht eben häufigen Zuzügler galt die Aufnahme in diesen Verein als eine Art zweites Bürgerrecht, nicht minder ehrenvoll denn das erste und jedenfalls schwerer zu erlangen. Seiner Zweckbestimmung nach war es nur ein ganz gewöhnlicher Verein von Bürgern zu geselligen und gemeinnützigen Zwecken, und seine geschriebenen Satzungen hätten in guter Druckschrift kaum einen Bogen gefüllt. Neben diesen aber gab es noch ein ungeschriebenes Gesetz, und nach ihm regelte sich Jahrzehnte lang das gesammte öffentliche und gesellige Leben nicht bloß unter den Vereinsgliedern, sondern in der ganzen Stadt. Die Hüter dieses ungeschriebenen Stadtbuches waren eine Anzahl einsichtiger Männer von gutem Vermögen und heiterer Festigkeit des Gemüthes, und als Hüterinnen standen ihnen ihre Hausfrauen zur Seite, soweit jene Männer nämlich beweibt waren; es gab aber damals noch nicht so viel Junggesellen unter den vollwüchsigen Bürgern. Streitigkeiten des Bekenntnisses und der politischen Parteimeinungen gab es nicht innerhalb des Vereins, weil in beidem jeder dem anderen volle Freiheit ließ, nur nicht die Freiheit der Unduldsamkeit. In schweren Zeiten half man einander nach gewissenhafter Selbsteinschätzung und ohne viel Lärm um etwas zu machen, das für selbstverständlich galt, in guten Jahren und zu festlichen Zeiten gab man sich der Freude und sogar einem landesüblichen derben Wohlleben hin; wenn dabei je nach den Mitteln sogar ein gewisser Luxus entfaltet wurde, so war es immer doch ein behäbiger solider Luxus, der fest auf seiner Grundlage bleibt und nicht über die Kante weggleitet. Alles in allem war es ein recht behagliches Dasein in diesem Vereine, und die Familienfeste, die er an schönen Sommertagen in seinem großen Garten mit dem kleinen, rebenumrankten Wirthshaus und dem weiten luftigen Tanzsaale dahinter abhielt, wurden von den Nachbarstädten aus immer beachtet, zuweilen als altfränkisch verspottet, aber stets sehr gerne besucht.

Der Verein führte den stolzen Namen „Der Königsbund“, und den verdankte er seiner Entstehung, denn er war vom König selber gestiftet worden. Es hatte sich nämlich in den ersten Jahren nach den großen Befreiungskriegen ereignet, daß die ganze Bürgerschaft durch eine geringfügige Ursache in zwei Parteien gespalten wurde, die sich in der politischen Stille des beginnenden Weltfriedens aufs bitterste befehdeten. Da sich beide Parteien in Gemeinderath und Bürgerschaft genau die Wage hielten, so war kein Ende des Streites abzusehen, den man mit ererbter Lebhaftigkeit und eine gute Weile auch nicht ohne Behagen weiter führte. Als der König kam, um auch diese neuerworbene Stadt seines Reiches zum ersten Male das Antlitz des Herrschers sehen zu lassen, fand er statt eines Empfanges ihrer zwei: Triumphbogen, Sängerchor, weißgekleidete Jungfrauen, alles war doppelt vorhanden, und der zweite Bürgermeister hatte sich eine Rede einstudiert, welche diejenige des ersten noch an Länge und rednerischem Schmuck übertraf. Der gütige Landesvater ließ sich den Fall erklären, und seinem Ansehen und freundlichen Zureden gelang es, den Hader zu schlichten. Er vereinte beide Parteien in einer, friedlichen Zwecken geweihten Gesellschaft und verließ seine treue Stadt als Stifter des „Königsbundes“, in dem berechtigten Bewußtsein, ein gutes Werk gethan zu haben.

Der Verein bestand nun sechs Jahrzehnte fort und überdauerte manche stürmevolle Zeit, ohne in seinen Grundfesten erschüttert zu werden. Aber gefährlicher als die Stürme erwiesen sich allgemach die sanften Winde, welche von der Welt draußen hereinwehten und allerlei neue Entwickelungskeime heimlich mit sich trugen. Die Eisenbahn, die Industrie, der Aufschwung des Handels und des Unterrichts brachten neue Bestandtheile in die Bevölkerung und erweckten neue, ungewohnte Neigungen in den Herzen der Alteingesessenen, sonderlich unter dem jüngeren Geschlecht. Das behäbige Wesen von früher wurde bereits nicht mehr bloß von den Fremden als altfränkisch empfunden, mehr und mehr hörte der „Königsbund“ auf, der begehrte Mittelpunkt und Maßstab geselligen Vollbürgerthums zu sein, man zog sich von ihm zurück, man empfand das Bedürfniß nach „neuen Formen“, und auf dem so bereiteten Nährboden entwickelten sich nun mit einem Male zahlreiche neue Vereinsbacillen. Mit einer wunderbaren Schnelligkeit schoß ein Verein neben dem andern, ja zuweilen schon gegen den andern empor. Es schien, als wäre die gute Stadt von einer wahren Vereinssucht ergriffen, wie man wohl liest, daß im Mittelalter eine ganze Gemeinde von der Tanzsucht befallen wurde, als wollte sie jetzt mit einem Male alles nachholen, was sie auf diesem wichtigen Gebiete der neuzeitlichen Bildung bisher sträflich versäumt hatte.

Da bildeten sich Vereinigungen aller Art und zu allen Zwecken: zum Singen, zum Turnen, zum Kegelschieben; zum Sammeln von Cigarrenabschnitten, von Briefmarken, von Parteigeldern und von Beiträgen für sonstige Zwecke; einige dienten der Wohlthätigkeit, viele dem Vergnügen, und mehrere suchten den einen Zweck durch den anderen zu erreichen. Auch allerlei hübsche Erinnerungen wurden gemeinsam in eigens dazu gestifteten Vereinen erneut; es gab eine solche Menge Vereine von „Ehemaligen“, daß sogar die Findigkeit der Post daran zu scheitern drohte und zuweilen ein Brief an den Präsidenten Müller vom Verein ehemaliger Holzhändler gerieth, während er doch an Herrn Müller, Ehrenpräsidenten der ehemaligen lateinlosen Bürgerschüler, gerichtet war. Kurzum es gab eine Unmenge von Vereinen, von nützlichen und überflüssigen; alle aber hatten das mit einander gemeinsam, daß jeder alsbald für seine Mitglieder zum alleinigen Centrum des geselligen Lebens wurde, während er doch nur den Punkt abgeben sollte, in dem sich die verschiedenen Lebenskreise schnitten.

Abseits von all diesem Treiben bestand der „Königsbund“ noch fort, doch es war nur ein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_752.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)