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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihren leichten Hauch auf seiner Wange, er athmete den feinen Duft ihres Haares ein, ihre Hand streifte die seine wieder und wieder. Er schloß beinahe ganz die Augen und blieb regungslos sitzen, wie gelähmt an allen Gliedern. Das weiße Kleid schimmerte vor seinem Blick, von den beiden blassen La France-Rosen, die Stella auf der Brust trug, ging ein betäubendes Duften aus – er hatte das noch nie an einer solchen Rose bemerkt. Die süße Mailuft, die blühenden Apfelbäume, der herbe Hauch des frischen, jungen Laubes, … alles umspann ihn mit einem fremdartigen Zauber.

– – Die Circe! „Den Schaden verbessern!“ hatte sie gesagt! Und sie vergrößerte ihn ins Unendliche, goß Oel in den Brand und schürte ihn auf jede Weise. Sie gab vor, den Knoten lösen zu wollen, und schürzte ihn so fest, daß er sich schwerlich jemals würde entwirren lassen. Dem Prinzen begann der Kopf zu schwirren. Daß er einmal beabsichtigt hatte, dies schöne Mädchen in sich verliebt zu machen, um schließlich in tadelloser vornehmer Haltung vom Schauplatz abzutreten: „Mein gnädiges Fräulein, – ich habe die Ehre!“ das fiel ihm keine Sekunde mehr ein. Er dachte, er rechnete, er plante nicht mehr – es ging ihm alles unter in dem einen brennenden Wunsch: ich muß sie haben – und Bruder, Stellung, Zukunft und Standesvorurtheil waren vergessen.

Fräulein Stella Brühl sah auf ihn nieder und wußte ebenso genau, was in ihm vorging, als er selbst es fühlte. Nun, sie konnte zufrieden sein! Das war ja über Erwarten rasch und gut gegangen! Eigentlich zu rasch! Sie hatte ja noch allerlei andre stille Pläne, die durften ihr nicht durch diesen kopflos verliebten Prinzen zu Wasser werden.

Wenn doch jemand käme! Die Lage mußte rasch geändert werden – so oder so!

Und es kam in der That jemand.

In der Nähe knirschte der Sand unter einem herankommenden Schritt. Das junge Mädchen ließ die rothe Seide los und trat zurück, der Prinz hob den Kopf und blickte verwirrt um sich, – vor seinen Blicken taumelte alles durcheinander.

Unter einer Gruppe junger Birken, deren herzförmige, hellgrüne Blättchen leise im Lenzeshauch bebten, trat Gerda hervor, und an ihrer Seite schritt Kuno, Ritter von Tillenbach, blöder und verlegener denn je einher.

„Es ist Besuch für Dich da, Stella!“ sagte Gerda kurz. „Hier – Kuno ist gekommen.“

Der Prinz nickte dem in röthliches Tuch gekleideten jungen Herrn, der wie ein halbgar gesottener Lachs aussah, einen herablassenden Gruß zu. Aus Gerda in ihrem unscheinbaren Kleide wußte er nichts Rechtes zu machen und grüßte sie daher auch nicht. Da sie Stella duzte, so hielt er sie für eine entfernte junge Verwandte des Brühlschen Hauses, die eine etwas untergeordnete Stellung einnehme. Daß sie die Schwester seiner Angebeteten sein könnte, darauf kam er einfach nicht, – er hatte überhaupt keine Ahnung, daß sie noch Geschwister habe.

Gerda konnte den hochmüthigen Prinzen nicht leiden, und da sie von dem Grundsatz ausging, jeder Herr müsse jede Dame stets zuerst grüßen, gleichviel, wie er heiße und was er sei, so grüßte sie ebenfalls nicht, und als Stella sie strafend ansah, machte sie ein ganz verständnißloses Gesicht.

„Ach Gott, bitte, Gerda, laufen Sie doch nicht fort!“ bat Kuno kläglich, als sie Miene machte, zu gehen. Der Gedanke, mit Stella, die ihm unerreichbar wie eine Göttin erschien, und mit dem Prinzen, der ihm unendlich imponierte, allein zu bleiben, machte den blöden Kuno ganz elend. Eigentlich plauderte er am liebsten mit Gerda, ihre schöne Schwester schüchterte ihn hoffnungslos ein, sein letztes Restchen Verstand flog davon, sobald er mit ihr reden sollte, – – und was sollte er denn auch mit ihr reden?

„Sind Sie heute allein zu uns herausgekommen?“ frug Stella. Sie behandelte Kuno leidlich, weil er ihr so gut zu paß gekommen war.

„Nein! Herr Grimm fuhr mit mir heraus. Er ist bei Ihrem Herrn Papa und redet mit dem. Aber was er mit ihm zu reden hat, das hat er mir nicht gesagt.“

Der Prinz, der neben einem blühenden Weißdorngesträuch stand und mechanisch an den kleinen, halberschlossenen Blüthen herumzupfte, wobei er sich abgewendet hielt, drehte sich plötzlich kurz um und sah Stella nach den Augen, mit einer zornigen und ungeduldigen Frage im Blick.

Das schöne Mädchen zuckte dazu leicht die Achseln, was ein wenig gleichgültig aussah und sich etwa übersetzen ließ: „Thu’, was Du willst! Wenn Du es nicht länger ertragen kannst – ich halte Dich nicht! Ich muß aber ausharren!“

Laut sagte sie dann: „Und Sie sind von den beiden Herren wohl fortgeschickt worden, Kuno? Sie müssen nämlich wissen, Prinz, Kuno und ich, wir sind Jugendgespielen, er ist einige Jahre älter als ich, hat aber immer viel Geduld mit mir gehabt und sogar mir zuliebe mit Wachspuppen gespielt und mit mir gekocht.“

„O ja, – ja!“ fiel Kuno eifrig ein. „Wir haben miteinander Chokoladencreme gemacht und kleine Omeletten gebacken, – wissen Sie noch, Stella, wie Sie sich die Händchen dabei verbrannten und weinten? Ich weinte auch, – ja, wahrhaftig, auf Ehre, ich weinte auch, – was hätte ich sonst thun sollen? Ich spielte immer sehr gern mit Stella, sie war ein so schönes Kind! Sie glauben es gar nicht, Durchlaucht, was für ein schönes Kind damals Stella war.“

„O ja, gewiß, ich glaube es schon,“ pflichtete der Prinz mit starker Betonung bei.

Der arme Kuno behielt den Mund vor Verblüffung offen, was nicht zu seiner Verschönerung beitrug. Hatte er etwas Dummes gesagt? Er drehte seinen niedrigen Sommerhut in den Händen hin und her und fragte endlich mit gänzlich verschüchterter, kleinlauter Stimme:

„Soll ich lieber wieder gehen?“

Darauf sah Gerda ihn mitleidig an und Stella lachte.

„Bewahre, Kuno! Die Herren drinnen können Sie entschieden nicht brauchen. Bleiben Sie nur! Hier – Sie können mir die Seide halten – aber vorsichtig, wenn ich bitten darf! So, – hierher setzen Sie sich! Warum sehen Sie so düster aus, Prinz Riantzew? Alte Jugend- und Spielkameraden haben doch auch ihre Rechte!“

„Zumal, wenn sie Millionenmännchen sind!“ dachte Gerda spöttisch den Mund verziehend.

Der Prinz lächelte ebenfalls spöttisch. Da saß nun dieser „Halb-Idiot“ in der Nähe des schönen Mädchens und nahm seine – des Prinzen – Stelle ein, und er – der Prinz – konnte daneben stehen und sich das ansehen! Unerhört! Was dachte, – was erlaubte sich denn diese Hamburger Bürgerstochter? Wenn auch keine Rede davon sein konnte, daß er – der Prinz – in einem solchen Hanswurst von Mann einen Nebenbuhler sehen durfte, so war doch die Art, wie Stella den einen neben den andern stellte, einfach empörend. Das beste war, er empörte sich wirklich und ging fort.

Einen entrüsteten Blick warf er noch auf die Gruppe – – und blieb halb abgewendet stehen. Denn dieser Blick hatte ihn in Stellas Augen lesen lassen, … was stand darin geschrieben?

„Du wirst doch nicht denken, ich könnte diesen armen Narren ernst nehmen? Du wirst doch nicht so abgeschmackt sein, mir zu zürnen? Ich bitte, ja, ich bitte Dich, thu das nicht! Sieh, es müßte Dir eigentlich an mir gefallen, daß ich ein so weiches Herz habe und Barmherzigkeit übe an dem blöden Jungen, den ich mit einem Wink meiner Hand selig machen kann. Bleib, ich bitte Dich, bleib!“

Das alles stand in den wunderschönen blauen Augen zu lesen, und der Prinz war auf solche Lektüre in hübschen Frauengesichtern sehr eingeschult. Er verstand also und blieb – – blieb ungern und zögernd, drehte der Gruppe fast den Rücken, – aber er ging doch nicht.

Gerda, die sich halb hinter ein Gebüsch zurückgezogen hatte und auf die niemand weiter acht gab, beobachtete das alles mit ihren klugen Augen. Ein halb belustigtes, halb verächtliches Lächeln hob ihre Lippe, – plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen. Sie wühlte in ihrer Kleidertasche und brachte endlich ein ziemlich großes Stück weißes, zerknittertes Papier und einen Bleistift zum Vorschein. Sie zog ihr linkes Knie hoch, stemmte es gegen den nächsten Baumstamm, legte das Papier darauf, und in dieser unbequemen Stellung fuhr sie mit dem Bleistift auf dem weißen Blatt hin und her, fixierte dann wieder mit scharfem Blick die drei stummen Persönlichkeiten in ihrer Nähe und strichelte emsig weiter. Zuletzt lachte sie leise in sich hinein, sah prüfend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_758.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)