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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

geführt werden, daß ich es für einen Streit hielt, und erst die Lachsalven dazwischen belehrten mich eines Besseren. Haben die wendischen Mägde niemand, mit dem sie sich aussprechen können, so unterhalten sie sich mit ihren Kühen, als wenn es Freundinnen wären. Erfreulich ist es auch, die wendischen Volksgruppen in Dresden zu sehen. Das lacht und kichert und schmeichelt und schüttelt sich die Hände, als gälte es, das Maß der Freundschaft vollzurütteln wie einen Scheffel Getreide. Fänden sie einen Defregger, der sie der gebildeten Welt künstlerisch darstellte, wie sie sind, ganz Deutschland würde das Völkchen liebgewinnen.

Bautzen. 

Die gesammte wendische Sprachinsel umfaßte nach der letzten Volkszählung in der sächsischen Oberlausitz 56 354, in der preußischen Oberlausitz 37 307, in der preußischen Niederlausitz 66 071 Wenden. Verstreut lebten in Sachsen und Preußen 4402, und die Wenden in der Fremde schätzt man auf 3000. Im ganzen sind noch 105 wendische Pfarrbezirke mit 763 Dörfern vorhanden, räumlich umfassen diese Bezirke etwa 65 Quadratmeilen.

Das ist der Rest von den weiten Slavengebieten, die im Laufe der letzten Jahrtausende von der germanischen Völkerbrandung verschlungen worden sind. Wie ein unabweisbares Naturgesetz geht der Absterbeprozeß vor sich. Niemand leitet ihn, niemand beschleunigt ihn, es hat auch niemand einen Vortheil davon, ihn zu beschleunigen – und doch rückt er in immer schnellerem Gange vor. Vor etwa 8 Jahren bezeichnete mir ein Stammtisch von Camenzer Bürgern einmüthig das Dorf Jesau als das erste echte und gerechte Wendendorf. Von dort her kämen die meisten Wenden nach der Camenzer Wendenkirche. Schon andern Tages konnte ich dieselben Herren mit der Mittheilung überraschen, daß ihr Nachbardorf sozusagen über Nacht deutsch geworden sei. Die Jesauer verstanden zwar noch wendisch, aber sie sprachen es nicht mehr, und als ich einige ältere Leute fragte, warum sie nun nicht auch in den deutschen Gottesdienst gingen, gaben sie die etwas praktisch nüchterne Antwort: „Wir wollen uns nicht erst deutsche Gesangbücher kaufen.“ Also eine Geldfrage! Uebrigens waren auch einige der Meinung, die wendische Predigt höre sich doch erbaulicher an – jedenfalls spielt da Gewohnheit und Erinnerung eine wesentliche Rolle. Ein Jesauer Gutsbesitzer von etwa vierzig Jahren versicherte mich, er habe bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr das Deutsche nicht verstanden, auch im Gehöft unter dem Gesinde sei niemand gewesen, der anders als wendisch gesprochen habe; jetzt sei niemand mehr da, der anders als deutsch rede, und doch seien sie alle als Wenden geboren. Auf meine Frage, wie denn das so gekommen sei, wußte er mir eigentlich keine Erklärung zu geben; der Wandel hatte sich unbemerkt vollzogen. Ein witziger Knecht meinte, das ganze Gehöft habe sich nach und nach deutsch angeraucht wie des Bauern Meerschaumpfeife. Als ich zwei Matronen des Kuhstalls fragte, warum sie nicht wenigstens unter sich das Wendische in Uebung hielten, wußten sie mir auch keinen Grund anzugeben. „’S ist eben so,“ meinten sie achselzuckend. Ich wies dann später in der Schenke auf die sogenannten „wendischen Päpste“ hin, die mit Gewalt das alte Wendenthum erhalten und das deutschgewordene am liebsten zurückbilden möchten, und erkundigte mich, ob denn das Landvolk gar keine Furcht vor ihnen habe. Da lachte der ganze Tisch, und der witzige Knecht meinte: „Ein Pfeifenkopf läßt sich nicht wieder weiß rauchen.“

Und doch kommen Rückfälle vor, sogar von recht tragischer Natur. Ein Arzt erzählte mir, daß die meisten alten Leute, die sich zum Sterben legen, in ihren letzten Augenblicken ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_865.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)