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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


auf die ihrigen. Und Hilde – schlang ihre Arme um seinen Hals und überließ sich willenlos dem süßen Taumel, in den er sie hineingerissen hatte.

„Mein, mein, Du heißgeliebtes Mädchen!“

„Geliebter!“

Er leitete sie zur Bank, auf der sie sich niederließ, die Arme noch immer um seinen Hals, den Kopf an seine Brust gelegt. –

Sanft hob er ihr das Kinn in die Höhe. „Schau mich an, Hilde!“ bat er mit seiner tiefen weichen Stimme. „Einen Blick nur, einen einzigen, gönne mir zum Zeichen, daß Du mein sein willst, wie ich Dein bin!“

Langsam lösten sich die dunklen Wimpern von den brennenden Wangen. Ihre feuchtschimmernden Augen sahen ihn an mit einem Blicke noch voll tiefster Beschämung, aber zugleich voll verzehrender Leidenschaft. Und alles um sich vergessend, weder an Vergangenes noch Zukünftiges denkend, suchte sie mit ihren Lippen seinen Mund. „Hast Du mich denn gleich damals lieb gehabt, Herbert?“ flüsterte sie selig.

„Vom ersten Augenblick an, wo ich Dir ins Gesicht sah. Aber Du – Du hast mich wohl anfangs gründlich verabscheut?“

„O nein, Geliebter! Zuerst meinte ich freilich, daß ich Dich hasse und mich vor Dir fürchte. Aber jetzt weiß ich, daß mein Bangen etwas ganz anderes bedeutete, daß es Liebe war, was ich empfand, wenn Deine Gestalt vor mich trat. Ach, ist das sonderbar mit der Liebe! Wie ein Blitz hat sie eingeschlagen, und ich fasse es noch nicht, ob all dies Traum oder Wirklichkeit ist!“

Ein Kuß war die ganze Antwort, die sie erhielt; er sollte sie wohl vergewissern, daß sie nicht träume. Eine Pause entstand, dann fragte Hilde zagend: „Wann mußt Du fort nach Radegast?“

„Ungefähr in drei Wochen, mein Schatz.“

„Schon!“ Sie seufzte tief. „Aber nach einem Monat bist Du dann wieder hier?“

„Unbedingt!“

„Aber wenn Du nachher noch einmal auf die Reise müßtest, auf so eine lange, schreckliche?“

„Daran wollen wir nicht denken, Hilde,. Wahrscheinlich bleibe ich ja den ganzen Winter hier.“

Sie jubelte auf. Doch schon im nächsten Augenblick fragte sie bedenklich: „Kannst Du denn aber im Winter auch mit der ‚Bachstelze‘ herüberkommen?“

„Nein, Schatz, die ‚Bachstelze‘ hält dann ihren Winterschlaf. Allein wozu sind denn die Dampfer da!“

„Und werden Deine Besuche nicht seltner sein als jetzt?“

„So oft es dienstlich möglich sein wird, komme ich – vorausgesetzt, daß Deine Eltern uns keinen Strich durch die Rechnung machen.“

Das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. in Berlin: Gesammtanlage.
Nach dem neuen zur Ausführung bestimmten Entwurf[e von] Professor Reinh. Begas gezeichnet von I. Åkermark.


Die Eltern! Die düstere Frage: „Was nun ?“ stieg in Hilde auf. Sorgenvollen Auges schaute sie auf den Hafen hinaus, durch den eben, wie ein kleiner schwarzer Teufel, ein Torpedoboot mit schier unglaublicher Geschwindigkeit der offenen See entgegen sauste, einen Schaumberg vor sich hertragend. Das gab ihren Gedanken eine neue Richtung.

„Weißt Du, Herbert, ich möchte schrecklich gern einmal in die See hinaus. Ich habe voriges Jahr den Horizont durch ein großes Fernrohr gesehen – das war ein Tanzen der Wellen da draußen, daß ich mir seitdem nichts Schöneres denken kann, als im schnellen Boote über sie hinzufliegen!“

„Das Vergnügen kann ich Dir verschaffen! Wollen wir einmal auf der ‚Bachstelze‘ einen Ausflug unternehmen?“

„Und die Eltern? Sie werden nicht wollen!“

„Dann mit Dir allein, mein Mädchen!“

„Herbert, wie kannst Du so etwas denken!“ rief Hilde vorwurfsvoll. Allein trotz dieser ernsthaften Abweisung setzte sie doch hinzu: „Kann sich die kleine ‚Bachstelze‘ wirklich allein auf das hohe Meer hinauswagen?“

Herbert lachte. „Dazu ist sie ja gebaut. Du solltest nur sehen, wie flink sie über die Wellen wegklettert. Das geht sanfter wie auf den Dampfern mit ihren schlagenden Maschinen. Und dann haben wir ja auch Frettwurst bei uns, der eine ausgezeichnete Hilfskraft und außerdem ein so scharfer Tugendwächter ist, daß ich Dir auf der ganzen Fahrt kaum einmal verstohlen die Hand küssen dürfte.“

Hilde blickte ihn zweifelnd an. „Du,“ sagte sie dann, „hat er Dir garnichts verrathen?“

„Verrathen? Nein! Etwas von Dir?“

„Ja, von mir. Ich hab’ deshalb schon so viel Gewissensbisse gehabt, aber nichts sagen wollen, weil ich mich vor Dir scheute. Sieh’ mal – weißt Du, wem Du die Rückgabe dieses Besitzes zu danken hast?“ Sie tippte an die kleine Nadel.

„Dir etwa?“

„Ja, mir! Ich hab’ sie gefunden, heimlich an Frettwurst gebracht und mir sein Ehrenwort geben lassen, daß er mich nicht verrathen werde.“

Herbert lachte fröhlich auf. „Ei der tausend, das ist mir allerdings ganz neu, daß Ihr schon so alte Bekanntschaft miteinander

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verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1893, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_048.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)