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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


habt! Und schau ’mal einer den Frettwurst an! Erzählt mir der abgefeimte Schwindler, er habe die Nadel im Boot gefunden. Wer hätte das von ihm gedacht!“

„Du wirst ihn doch nicht schelten, Herbert?“

„I wo! Im Gegentheil! Nun sag’ aber, wo hast denn Du die Nadel gefunden?“

Hilde sah halb schelmisch, halb verschämt zu ihm empor. „Rathe einmal!“

„An Dir selbst etwa?“

Sie nickte, „Am Kleid. Ich fand sie abends und war schrecklich böse auf Dich.“

„Weshalb? Du wirst doch nicht gar geglaubt haben, es sei Absicht von mir gewesen?“


WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


„Na, weißt Du! Ich konnte doch einen Zufall kaum annehmen. Bei näherem Besinnen aber dachte ich besser von Dir, weil Du trotz Deines schlimmen Ueberfalls so gute Augen hattest. Und dann machte ich mich an den Matrosen, Hinter dem ich Deinen Burschen vermuthete, und wie der Dich so lobte, da verschwand auch der letzte Verdacht und Zorn. Sein Verdienst ist’s, wenn ich Mama auch nachher nichts gesagt habe.“

„Der gute Frettwurst! – Willst Du mir einen großen, großen Gefallen thun, Hilde?“

„Von Herzen gern!“

„Dann behalte die Nadel als Andenken! Siehst Du, durch diesen Anker hat das Schicksal mein Herz, das ein sehr unruhiges Fahrzeug war, an das Deine als an sicheren Grund festlegen wollen. Da mußt Du diesen kleinen Handlanger des Schicksals doch als Dein Eigenthum ansehen!“

Sie zögerte. Das Schmuckstück erschien ihr wie eine große Kostbarkeit, und das machte ihr die Annahme unbehaglich. Und doch hätte sie sich kein lieberes Andenken von ihm gewünscht als dies.

Herbert legte die Nadel in ihre Hand. Hilde betrachtete sie eine Weile mit leuchtenden Augen, drückte sie dann plötzlich an die Lippen und rief leidenschaftlich aus: „Kleiner Anker, halte ihn fest – fest auf immer!“

„Auf immer!“ wiederholte Herbert.

In die Seligkeit dieses Augenblicks fuhr vom Walde her ein Husten mißtönig hinein. Im Nu saß Herbert in der einen und Hilde in der anderen Ecke der Bank.

Als der Lieutenant den Kopf zu wenden wagte, sah er eine derbe Frauengestalt sich unter häufigem Bücken nach Kräutern oder Blumen auf die Buche zu bewegen.

„Da kommt jemand, Hilde!“

Voll Bangen lugte diese ein wenig über die Schulter zurück. Heiliger Himmel, Trina! Wie in aller Welt kam die gerade jetzt hierher! Wenn sie nun etwas gesehen hatte! Hilde hätte bei diesem Gedanken vor Scham in die Erde sinken mögen.

Indessen plänkelte sich Trina, scheinbar ganz in ihre liebliche Beschäftigung vertieft, bis dicht in die Nähe der Bank, und erst jetzt nahm sie, die Augenbrauen in die Höhe ziehend, eine angenehm überraschte Haltung an. „Süh, süh!“ rief sie gutmüthig, „lütt’ Hilde, büst Du hier? Un ok de Herr Leutenant? Dat dröppt sick ja wunnerschön! Ick wull mi man ’n beten Mösch plöcken.“[1]

„Mösch?“ entgegnete Hilde entrüstet, „um diese Zeit giebt’s doch keinen Waldmeister mehr!“

„Na, denn wull ick wull anner lüttje Blöm söken. Rük mal an!“ Dabei hielt sie Hilde ein paar wahllos ausgeraufte Waldblumen dicht unter die Nase, und sich nun an den Marineoffizier wendend, fuhr sie fort: „Wullen Sie auch mal an rüken, Herr Leutenant?“

Herbert schnitt ein deutlich ablehnendes Gesicht.

„Nich? Sie mögen doch kleine Blöm gern leiden, wie mich scheint. Wenn man ihr in sein Haus tragen und uphegen will, is das auch gans schön, sonßen aber is es schad um ihr. Da soll man ihr in ihren Wald nich stören und ihr tot machen. – Hilde ihren Papa und Mama sünd zu Haus, wenn Herr Leutenant ihr heut’ besuchen wollten!“

Hilde bekam einen richtigen kleinen Vorgeschmack der Hölle. Verzweifelt wand sie ihr Taschentuch um den Daumen. Herbert drehte an seinem Schnurrbart, vergeblich bemüht, den vierschrötigen Schutzengel durch ein erzwungenes Lächeln über seine Gefühle zu täuschen. In möglichst ruhigem Tone erwiderte er: „Ich danke Ihnen für Ihre gütige Aufforderung, verehrte Trina, aber leider kann ich den Besuch nicht mehr ausführen. Uebrigens habe ich Fräulein Jaspersen hier ganz zufällig getroffen, also werden Sie hoffentlich keine Geschichten machen, die Ihrem Fräulein unangenehm sein könnten!“

Ich mach’ kein’ Geschichen, Herr Leutenant! Wenn anner Lüd das blots nich thun!“

„Trina!“ flehte das Mädchen, einen thränenfeuchten beschwörenden Blick auf die Herzlose werfend, die sich gemüthlich neben ihr an die Bank lehnte.


  1. pflücken.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1893, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_049.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)