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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 4.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(3. Fortsetzung.)


Die Wohnräume der Familie Dernburg lagen im unteren Stock des Herrenhauses; die große Eingangshalle war zu Ehren der erwarteten Gäste mit hochstämmigen Lorbeer- und Orangenbäumen und dem ganzen Flore der Treibhäuser geschmückt. Dort stand ein junger Mann, der auf jemand zu warten schien und beim Anblick der Tochter des Hauses eine sehr tiefe und ehrfurchtsvolle Verbeugung machte. Maja nickte ihm flüchtig zu. „Guten Tag, Herr Hagenbach. Ist der Herr Doktor auch hier?“

„Zu Befehl, gnädiges Fräulein,“ versetzte der Gefragte mit einer zweiten ebenso tiefen Verneigung. „Mein Onkel ist bei Herrn Dernburg, um ihm den Wochenbericht des Krankenhauses vorzulegen, und ich – ich warte hier auf ihn – wenn Sie es gütigst erlauben “

„Ja, das erlaube ich Ihnen.“ sagte Maja, während Puck mit kritischen Blicken den Fremden betrachtete, dessen karrierte Beinkleider sein Mißfallen zu erregen schienen.

Herr Hagenbach war ein noch sehr junger Mann mit sehr hellblonden Haaren und sehr hellblauen Augen, schüchtern und unbeholfen. Die Begegnung setzte ihn augenscheinlich in Verlegenheit, denn er wurde roth und stotterte bedeutend. Trotzdem schien er die Nothwendigkeit zu fühlen, sich als Mann von Welt zu zeigen, er setzte einige Male vergeblich zum Reden an und brachte endlich glücklich die Worte hervor:

„Dürfte – dürfte ich es wagen, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen gnädiges Fräulein?“

„Ich danke, mein Befinden ist ganz ausgezeichnet,“ antwortete Maja, deren Mundwinkel bedenklich zu zucken begannen.

„Das freut mich außerordentlich,“ – versicherte der junge Mann, Er hatte eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen, irgend etwas Geistreiches, Bedeutendes, aber es fiel ihm leider gar nichts ein, und so fuhr er denn fort:

„Ich kann gar nicht ausdrücken, wie es mich freut. Ich darf wohl hoffen, daß auch Frau von Ringstedt sich wohl befindet?“

Maja unterdrückte kaum noch das Lachen, während sie die Frage bejahte. Herr Hagenbach aber, noch immer auf vergeblicher Jagd nach der geistreichen Bemerkung, beharrte krampfhaft darauf, sich nach dem Befinden sämmtlicher Familienglieder zu erkundigen, und fragte zum dritten Male:

„Und der junge Herr Dernburg –?“

„Ist nach der Bahnstation gefahren,“ ergänzte Maja, die ihre Heiterkeit nicht länger zurückhalten konnte „Sie dürfen aber auch auf das Wohlbefinden meines Bruders hoffen und auf das meines Vaters gleichfalls – die ganze Familie dankt Ihnen für Ihre außerordentliche Freude über dero Gesundheit.“

Herrn Hagenbachs Verlegenheit steigerte sich beträchtlich. In seiner Verwirrung beugte er sich zu Puck nieder, der noch immer den karrierten Beinkleidern seine Aufmerksamkeit widmete, und versuchte ihn zu streicheln, indem er bemerkte: „Welch ein reizendes Thierchen!“

Der Patronatsherr.
Nach einem Aquarell von A. Greil.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_053.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)