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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Auf Geben und Nehmen.

Novelle von Johannes Wilda.
(Schluß.)


Als man abends bei herrlichem Mondschein über das stille Meer nach Radegast zurückdampfte, befahl die Prinzessin den jungen Offizier an ihre Seite. Und während sie nun beide außer Hörweite des Gefolges auf dem Verdeck hin und her schritten, legte Herbert eine rückhaltlose Beichte ab.

Aufmerksam hörte die Prinzessin zu. Als ihr Begleiter zum Schlusse ihre einflußreiche Hilfe zur Erlangung des Konsenses erbat, um den er nach Hildes Absage ohne fest verbürgten Erfolg offiziell gar nicht mehr nachsuchen könne, schaute sie einen Augenblick sinnend vor sich hin.

„Offen gestanden, mein junger Freund,“ sagte sie dann freundlich, „ich persönlich hänge nicht an Vorurtheilen. Aber Sie wissen selbst, daß die ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft nicht ungestraft verletzt werden dürfen, Darin sind wir auf der Höhe ebensogut abhängig wie Sie. Auch ist Ihnen ja bekannt, wie peinlich Seine Majestät in solchen Dingen denkt.“

„Ehen deshalb sehe ich ohne die erbetene Hilfe keinen anderen Weg als den des Abschieds.“

„O, das würde mir doch aufrichtig leid thun. Daher also Ihre Schwärmerei für bescheidene Existenzen! Und das junge Mädchen würde des gebrachten Opfers werth sein?“

„Werth? Königliche Hoheit, für mich giebt es nur die Frage, ob ich ihrer werth bin!“

Eine Pause trat ein. Finster schaute Herbert auf die im Mondlicht zauberhaft glitzernde Fluth.

„Herr Lieutenant,“ begann die Prinzessin darauf in ihrer einfachen Art, „warten Sie noch mit der Wiederholung des Abschiedsgesuchs! Nächstens kommt mein Mann, um uns abzuholen. Ich will dann mit ihm darüber reden, ob er glaubt, bei dem König die Bewilligung des Konsenses für Sie erlangen zu können.“

„O, wenn Königliche Hoheit diese Gnade haben wollten, dann wird sich alles noch zum besten wenden!“

„Vielleicht ja, sicher ist es nicht. Die Genehmigung wird wohl sehr wesentlich davon abhängen, ob man annehmen darf, daß dem Fräulein später in der Gesellschaft keine Schwierigkeiten bereitet werden, und das hängt wieder von persönlichen Eigenschaften der Dame ab.“

„Wenn Königliche Hoheit Fräulein Jaspersen sehen würden, könnte in dieser Beziehung kein Zweifel mehr sein.“

„Ich glaube Ihnen, und was an mir liegt, soll geschehen, um meine Vielliebchen-Verpflichtung voll einzulösen – trotz Ihrer Hinterlist! Lassen Sie also die Geschichte ein paar Wochen ruhen und seien Sie inzwischen nicht zu sanguinisch, aber auch nicht zu niedergeschlagen!“

Damit war die vertrauliche Unterredung beendigt, die in Herberts Brust begrabene Hoffnungen neu erweckte. Mit frischem Lebensmuth that er von jetzt an seinen Dienst, zur heimlichen Freude der Prinzessin.




6.

Der „Falke“ kehrte mit der prinzlichen Familie an Bord von Radegast nach dem Kriegshafen zurück; die schönen Tage der Freiheit waren vorüber und die jungen Prinzessinnen zeigten betrübte Gesichter. Namentlich der Abschied von Frettwurst fiel ihnen schwer. Der Brave hatte sein Vielliebchengeschenk, das dreimastige Schiff, noch nicht fertig machen können und mußte versprechen, es später in der Residenz selbst abliefern zu wollen. Davor graute ihm; er wäre den Ehren, die seiner warteten, gern aus dem Wege gegangen. Im übrigen aber lag auf seinem Gesicht wieder der frühere Glanz innerster Befriedigung, seit er den frohen Umschwung in der Stimmung seines Herrn bemerkt und obendrein mit seiner Lena ein glückliches Wiedersehen gefeiert hatte. Sie war einen Nachmittag lang in Radegast gewesen; er hatte sie vollständig ausgesöhnt mit seiner Saumseligkeit in brieflichen Angelegenheiten, auch über Hochzeit und Heimstätte alles Nöthige mit ihr beredet, denn nach seiner bevorstehenden Entlassung aus der Marine sollte sofort der neue Hausstand gegründet werden.

Im Kriegshafen traf Prinz August mit den Seinigen zusammen. Den Herren, welche seiner Familie während der letzten Wochen so vertraut geworden waren, kam er nach seiner heiteren Art offen und frisch entgegen, und nicht zuletzt erfreute sich Herbert seines Wohlwollens. Dabei fragte sich der junge Offizier mit einer gewissen Ungeduld, ob die Prinzessin wohl mit ihrem Gatten von seiner Angelegenheit und dem kühnen Vielliebchen gesprochen habe – aber nichts deutete darauf hin.

Doch als die Abschiedsstunde kam und die fürstlichen Gäste bereits im Boote saßen, während die Offiziere, sich tief verneigend, im Fallreep standen, wandte sich der Prinz noch einmal an Herbert, und ihn mit einem vielsagenden Blick aus seinen freundlichen blauen Augen anschauend, rief er lächelnd: „Ich denke dran!“

Nun wußte Herbert, daß seine Sache in guten Händen sei. – 0000000000

Schade, daß der Lieutenant Gebhardt nicht ein klein wenig Allwissenheit besaß, sonst würde ihm am nächsten Morgen noch weit froher als ohnehin schon ums Herz gewesen sein.

Zu dieser Zeit nämlich rollte eine offene Hofequipage in flottem Trab aus der Stadt um das Horn des Binnenhafens herum, immer weiter und weiter die Landstraße hinaus, welche an dem Stranddorf vorüberführte. In dem Wagen saß die Prinzessin mit ihrer ältesten Tochter.

Im Wirthshaus des Stranddorfes, dem auch Herbert einst seinen Besuch abgestattet hatte, wurde Halt gemacht, und nach kurzer Rast unternahmen Mutter und Tochter einen Spaziergang durch das Dorf, um sich dann, genau wie jener, von einem hoffnungsvollen kleinen Kerl den Weg nach dem Schulhaus zeigen zu lassen.

Durch die geöffneten Fenster des Schulzimmers schallten den Ankömmlingen aus fast hundert Kinderkehlen in dröhnendem Zusammenklang die Sätze eines Bibelspruchs entgegen, der auf diese Weise dem jugendlichen Gedächtniß eingeprägt werden sollte. Die Prinzessin konnte es sich nicht versagen, durch die niedrigen Fenster einen Blick über die blond- und braunköpfige Schar und zu dem sympathischen alten Herrn auf dem Katheder zu werfen, um jedoch keine Störung zu erregen, zog sie sich rasch zurück, als sich einer der kleinen Burschen, der sich ins Freie sehnen mochte, umdrehte und mit maßlosem Erstaunen die ungewohnte Erscheinung musterte. Sie begab sich in den Garten, wo Trina eben mit dem Pflücken von Aepfeln beschäftigt war.

Frau Jaspersen gerieth in die höchste Aufregung, als die Magd athemlos meldete, eine ganz feine Dame nebst einem ebenso feinen Fräulein sei drunten und lasse fragen, ob man vielleicht von den Gravensteiner Aepfeln kaufen könne.

Da die Hausfrau sich nicht in geeigneter Toilette glaubte, um vom Herde weg solchem Besuch entgegenzutreten, so wurde Hilde hinuntergeschickt, die mit ernster, in sich gekehrter Miene im Wohnzimmer an einer Handarbeit gesessen hatte.

Als das Mädchen, etwas verlegen, im Garten erschien, wiederholte die Prinzessin mit einer Entschuldigung ihre Frage. „Sie haben hier so wunderschönes Obst, daß ich und meine Tochter der Versuchung nicht widerstehen können, wenn irgend möglich ein Pröbchen davon zu erwerben. Doch Sie verkaufen wohl nichts?“

„Nein,“ entgegnete Hilde, „aber Sie machen uns eine Freude, wenn Sie trotzdem einige Aepfel annehmen wollen) Bitte, treten Sie doch näher!“

Im Bewußtsein ihrer Stellung und ihrer Absichten machte die hohe Frau ohne weitere Umstände von dem liebenswürdig vorgetragenen Anerbieten Gebrauch, so daß Hilde einen Augenblick dachte: „Nun, viel Komplimente scheint die nicht gewohnt zu sein. Und wie sie mich anguckt, freundlich und doch schrecklich vornehm!“

Sie bat die Fremden, sich unter der schon falb und durchsichtig werdenden Linde niederzulassen, woraus bereitwillig Platz genommen wurde.

„Sind Sie die Tochter des Herrn Lehrers?“

„Jawohl, gnädige Frau.“

„Also Fräulein Hilde Jaspersen?“

Hilde bejahte, betrachtete aber die Fragende sehr erstaunt. Woher wußte diese denn schon ihren Namen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_126.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2020)