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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Sie haben die Gefahr nicht gekannt, in Zukunft werden Sie vorsichtiger sein.“

„Wollen Sie auch meine Abbitte nicht annehmen, wie Sie meinen Dank verschmähten?“ fragte Cäcilie vorwurfsvoll, „Sie haben mir das Leben gerettet, mit Gefahr des Ihrigen – in diesem Augenblick freilich sehen Sie aus, als ob Sie das bitter bereuten.“

„Ich?“ fuhr Egbert heftig auf.

„Ja, Sie! Sie stehen da mit einer Miene, als müßten Sie sich gegen irgend einen Feind wehren auf Tod und Leben. Mein Gott, gegen wen denn? Nur ich bin ja da!“

Wieder erhob sich das Rauschen und Brausen in den Wäldern. Gleich einem Wehen von unsichtbaren Riesenschwingen zog es dahin über die Höhen, und voller und mächtiger stieg der Glockenruf empor aus der Tiefe. Die ganze Luft war voll von Klang, er schien auf den Sonnenstrahlen zu schweben und zu schwimmen und sich zu einem seltsamen Lied zu gestalten das anfangs nur in einzelnen abgerissenen Akkorden ertönte und dann allmählich zu einer Melodie wurde, die räthselhaft, aber unendlich süß zu jubeln und zu klagen schien.

Wohl gehörten die beiden da oben auf der einsamen sonnenbeglänzten Bergwiese zwei verschiedenen Welten an, wohl schied sie eine tiefe Kluft in all ihrem Denken und Fühlen, allein das eitle verwöhnte Kind der großen Welt, das bisher nur in einem Wirbel von Zerstreuungen, in der ewigen Jagd nach Vergnügen gelebt hatte, dem sonst Einsamkeit gleichbedeutend mit tödlicher Langweile war – es lauschte jetzt wie traumverloren diesem geheimnißvollen Gesange. Und auch der Mann, dem strenge Arbeit nie Zeit gelassen hatte zum einsamen Sinnen und Träumen, wehrte sich vergeblich gegen den Zauber. Er war gewohnt, fest auf dem Boden der Wirklichkeit, im hellen Tageslicht zu stehen und mit kühlen scharfen Augen ins Leben zu blicken – in ein Leben voll Kampf und Streit, voll harter unversöhnlicher Gegensätze. Dafür war er geschaffen, was sollte ihm das Traumgespinst dieser Märchenwelten? Und doch umfingen sie ihn nun mit ihrem ganzen Zauber, und mitten heraus klang bestrickend eine Menschenstimme: „Gegen wen denn wehrst Du Dich? Nur ich bin ja da!“

Egbert strich mit der Hand über die Stirn, als wollte er sich gewaltsam zum Erwachen aus dem Traume zwingen.

„Verzeihen Sie meine finstere Miene, gnädiges Fräulein,“ sagte er. „Ich dachte an Unannehmlichkeiten, die ich in Radefeld mit meinen Leuten gehabt habe. Wer wie ich immer seine Arbeit im Kopfe hat, der taugt schlecht zur Gesellschaft, wie Sie sehen.“

„Habe ich denn Unterhaltung von Ihnen verlangt?“ fragte Cäcilie mit leiser Ungeduld. „Erich hat recht, Sie sind so hart wie Ihre Felsen, schroff und unzugänglich wie der Albenstein da oben. Wenn man endlich glaubt, das Zauberwort gefunden zu haben, wenn die Tiefe für einen kurzen Augenblick sich öffnet, im nächsten schließt sie sich, und kaltes Gestein starrt dem Suchenden entgegen.“

Runeck antwortete nicht. Er hatte dies Zusammensein nicht umsonst gefürchtet, er wußte, daß er sich in jenem Augenblick der Todesgefahr und Todesangst verrathen hatte!

Und seine Gegnerin, die jetzt ihre Macht kennengelernt hatte, war unerbittlich und wollte ihren Triumph genießen um jeden Preis. Es hatte Mühe genug gekostet, diesem starren trotzigen Manne die Fesseln anzulegen, die alle andern so gern und so willig trugen; nun war er bezwungen, und nun wollte sie ihn auch zu ihren Füßen sehen.

„Erich beklagt sich bitter, daß er Sie jetzt so wenig sieht,“ hob sie wieder an, „Wenn Sie nach Odensberg kommen – kommen müssen, so verkehren Sie ausschließlich im Arbeitszimmer seines Vaters und weichen jeder Einladung in den Familienkreis aus. Ihre Arbeiten in Radefeld liefern Ihnen den Vorwand dazu, aber ich weiß besser, was Sie fern hält – meine und meines Bruders Gegenwart.“

„Mein Fräulein –“

„Versuchen Sie nicht, mir das abzuleugnen, ich habe vom ersten Augenblick an die stumme Feindseligkeit gefühlt, die Sie uns entgegentragen, und mich oft genug gefragt, weshalb – ich habe nie eine Antwort darauf gefunden.“

„So fragen Sie Herrn von Wildenrod, er wird Ihnen die Antwort geben.“ Der Ton hätte Cäcilie warnen sollen, er klang drohend, aber sie beachtete ihn nicht.

„Es liegt also irgend etwas Feindseliges zwischen Ihnen beiden noch von jener ersten Begegnung in Berlin her? Aber seitdem sind Jahre vergangen, Oskar hat die Sache längst vergessen, wie Sie von ihm selbst gehört haben. Wollen Sie allein so unversöhnlich sein? Und darf ich nicht wissen, was damals geschehen ist – wollen Sie es auch mir nicht sagen?“

Ihre Stimme klang noch weicher und süßer als vorhin, die dunklen Augen sahen bittend empor zu dem Manne, der es deutlich fühlte, wie sich das Netz dichter und dichter um ihn zusammenzog, wie ihm Wille und Kraft erlagen unter dem Schmeichellaut dieser Stimme, so deutlich er auch fühlte, daß das schöne seelenlose Geschöpf da an seiner Seite nur ein schmähliches Spiel mit ihm treibe und nichts empfinde als den Triumph der Eitelkeit. Da raffte er sich mit einem letzten gewaltsamen Entschluß auf, um die Fesseln zu zerreißen.

„Sprechen Sie im Auftrag des Herrn von Wildenrod, gnädiges Fräulein?“ fragte er mit einer so furchtbaren Bitterkeit, daß die junge Dame stutzte und ihn befremdet ansah.

„Was meinen Sie?“

„Ich meine, daß dem Freiherrn allerdings viel daran liegen muß, zu erfahren, was ich eigentlich weiß, und seine Schwester mag ihm wohl als das geeignete Werkzeug dazu erscheinen.“

Cäcilie erhob sich bestürzt und entrüstet. Wenn die Worte ihr auch unverständlich waren, soviel begriff sie doch, daß es sich hier um etwas anderes handelte als um den erwarteten Sieg. Das war nicht die Sprache eines Mannes, auf dessen Lippen ein Liebesgeständniß schwebte. Haß und Verachtung flammten ihr aus seinen Augen entgegen.

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Runeck,“ sagte sie mit aufwallender Heftigkeit, „aber ich fühle, daß Sie meinen Bruder und mich beleidigen. Jetzt will ich wissen, was damals zwischen Ihnen beiden geschehen ist, und Sie werden es mir sagen!“

„Sollte das wirklich noch nothwendig sein?“ fragte er schneidend. „Herr von Wildenrod wird Sie wohl hinreichend unterrichtet haben. Nun denn, so sagen Sie ihm, ich wisse mehr von seiner Vergangenheit, als ihm lieb sein dürfte!“

Cäcilie erblaßte, auch ihre Augen blitzten drohend auf, dasselbe unheimliche Feuer loderte darin wie in dem Blick ihres Bruders, wenn er gereizt wurde.

„Was soll das heißen?“ rief sie, bebend vor Entrüstung. „Wem gelten Ihre Worte? Hüten Sie sich, daß Oskar Sie nicht zur Rechenschaft zieht!“

Ihre Mahnung kam zu spät, sie fruchtete nichts mehr bei Egbert, der durch den stummen qualvollen Kampf, den er nun schon wochenlang kämpfte, aufs äußerste gebracht war. Wäre er noch der ruhige kühle Mann von früher gewesen, er hätte wenigstens nicht zu dieser Stunde und an diesem Orte gesprochen, er hätte in Cäcilie die Frau geschont. Jetzt aber gährte in ihm nur die wilde Rachsucht gegen sie, die ihm seine Seele gestohlen hatte, die all sein Denken und Fühlen dämonisch an sich fesselte und die er doch zu hassen glaubte, hassen wollte, weil er sie verachtete. Wenn er sie jetzt bis auf den Tod beleidigte, wenn er eine Kluft zwischen ihr und sich aufriß, so tief, daß kein Wort, kein Blick mehr hinüberreichte – das brachte Rettung, zerbrach den Bann, dann war es zu Ende!

„Mich soll der Freiherr von Wildenrod zur Rechenschaft ziehen?“ rief er mit bitterem Hohne. „Die Sache dürfte sich doch anders gestalten. Ich habe bisher geschwiegen, schweigen müssen, denn meine eigene Ueberzeugung, ob sie noch so fest steht, vermag nichts gegen Erichs Leidenschaft, gegen den strengen Gerechtigkeitssinn seines Vaters. Sie werden Beweise fordern, und die habe ich zur Stunde noch nicht. Aber ich werde sie zu finden wissen, und dann schone ich nicht mehr.“

„Sind Sie von Sinnen?“ unterbrach ihn Cäcilie, aber er fuhr mit steigender Heftigkeit fort:

„Erich verblutet vielleicht an der Wunde, die ich ihm schlagen muß, allein der Schlag trifft ihn doch, früher oder später. Besser, es geschieht jetzt, wo es noch ein Zurück für ihn gibt, wo er noch nicht an eine Frau gefesselt ist, die mit seiner Liebe und seinem Glücke dasselbe verwegene Spiel treiben wird, das sie vorhin mit ihrem eigenen Leben getrieben hat, das sie mit jedem treibt, der in ihre Nähe kommt. Sie sind ja die Schwester Ihres Bruders, Baroneß Wildenrod, und werden es wohl von ihm gelernt haben, wie man die Karten mischt. Er und Sie fühlen sich schon als Herren von Odensberg – triumphieren Sie nicht zu früh! Noch tragen Sie nicht den Namen Dernburg, und ehe es dahin kommt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_135.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)