Seite:Die Gartenlaube (1893) 164.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Um so liebenswerther gewiß nicht!“ fuhr mir’s heraus.

„Das ist Selbtäuschung,“ versicherte er mit grausamer Gelassenheit. „Eine Frau, die ihren Mann wahrhaft liebt, mag ihm viel Schwäche verzeihen können, die Schwäche gegen ihre Schwächen schwach zu sein, auf die Dauer am wenigsten. Das ist meine Ueberzeugung. Ich möchte da nicht irren. Wär’s aber so, dann steht mir um so sicherer die andere Ueberzeugung, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebt, der sie zwingt, ihn zu achten. Danach werde ich handeln.“

Ist das nicht ein furchtbarer Egoismus? Denke darüber nach, Toni!




10.

Es sieht so aus, als ob wir wieder ein Herz und eine Seele wären, aber es sieht doch nur so aus. Zwischen uns ist noch etwas – wenn auch nur eine spanische Wand, die jeder so vor sich hinschiebt, daß er zu Zeiten nicht gesehen werden kann, wenn er ein verdrießliches Gesicht zieht. Sie ist sehr dünn, sehr wacklig, aber doch noch nicht niederzureißen.

Es handelt sich um ein Prinzip, Liebste, das ist doch nicht zu leugnen, und die Sache ist nicht zum Austrag gekommen. Daran kranken wir nun. Es ist eine Anstrengung gemacht um nichts, und man ist wieder auf dem alten Flecke. Als ob man sich außer Athem gelaufen hätte, die Station zu erreichen, und dann ist’s gar nicht unser Zug, der da hält. Mitkommen oder verspäten! Aber so genarrt zu werden ... Ich bin nun einmal so.

Freilich habe ich mein Stück durchgesetzt, bin nicht zur Cour gegangen. Für Edwin, der den wahren Grund weiß, bleibt das eine Thatsache. Aber ihn zu kränken, war gar nicht meine Absicht; es schmerzt mich eher, daß es geschehen mußte. Und nun hat es gar nicht geschehen müssen; denn nach außen hin ist die Wirkung aufgehoben. Edwin selbst hat sie aufgehoben. Aber recht froh kann er dessen nicht werden. So hat jeder etwas im Rückhalt und vermag dem anderen nicht ganz frei in die Augen zu sehen. Ich glaube wenigstens, daß auch Edwin so fühlt.

Mit seiner Theorie von Liebe und Achtung kann ich mich übrigens nicht befreunden. Ich theilte Dir ja mit, was er gesagt hat. Die Worte sind mir immer im Kopfe herumgegangen, und sie gaben mir auch einen Sinn. Aber sie schreiben sich mir nicht als eine unverrückbare Wahrheit ein. Ich wehre mich, sie dafür gelten zu lassen. Die Frau ist doch nicht immer schwach und der Mann nicht immer stark. Und warum soll bei der Frau Eigensinn sein, was beim Manne Ueberzeugungstreue? Schließlich kommen seine Sätze doch nur auf den unausgesprochenen Obersatz hinaus: die Frau ist am glücklichsten, wenn sie sich unterwirft.

Ich weiß, daß ich meine Schwächen habe. Sie wollen geschont sein. Sie wollen am meisten von dem geschont sein, dem ich mich mit Herz und Hand zu eigen gegeben habe. Denn das ist für ihn doch nur ein ganz Kleines, womit er vergilt. Und wenn er nicht einmal dieser Nachsicht fähig ist, wie kann er mich lieben? Der Satz ist ja doch völlig widersinnig, daß nur der Mann seine Frau wahrhaft liebe, der sie zwinge, ihn zu achten. Was heißt da achten? Seine Unerschütterlichkeit anerkennen. Aber warum muß er denn immer unerschütterlich sein? Und wie kann man von jemand gezwungen werden, überzeugt zu sein, daß er immer recht habe? Zwang ist überhaupt etwas Häßliches, sittlicher ebenso gut als äußerlicher. So ein Mann, der wirklich immer recht hätte, müßte ja seiner Frau eine Scheu einflößen, die liebende Verehrung gar nicht aufkommen ließe. Ich meine, der Mann liebt seine Frau wahrhaft, der nicht an sich denkt, auch nicht daran, was seine Frau von ihm denkt, sondern dem es innigstes Bedürfniß ist, diesem geliebten Menschen gegenüber jeden Vorzug aufzugeben. Für meinen Mann will ich ein Engel sein. Er liebt mich nicht, wenn er mich kritisiert.

Liebe ist leidenschaftliche Hingabe. Nichts anderes. Das hat Edwin in seinen schönen Gedichten so oft überzeugend und überwältigend ausgesprochen. Ich glaube dem Dichter.

Und er ist kein Dichter, wenn ihm Dichtung und Leben nicht eins ist. Darin habe ich doch gewiß recht! – – – – –

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.


Gesundheitsschädigung durch schlechte Essen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die gewöhnlichen Ziegelsteine außerordentlich porös sind und Luft sowie Gase mit Leichtigkeit durchlassen. Unsere Wohnungen werden zum Theile durch die Mauern ventiliert, da in diesen ein stetiger Luftwechsel stattfindet. Leider werden aber vielfach auch zum Bauen von Essen gewöhnliche Ziegelsteine genommen, und die Folge davon ist, dass von den durch den Schlot streichenden Verbrennungsgasen ein Theil in die Wohnräume entweicht. Im Laufe des letzten Winters wurde dieser Umstand in mehreren Häusern Berlins sehr lästig empfunden. Es verbreitete sich von Zeit zu Zeit in den Zimmern ein übler Geruch, der von der Esse kam und sich dann einzustellen pflegte, wenn der Bewohner des unteren Stockwerkes Braunkohlenbriquetts feuerte, die bekanntlich bei unvollständiger Verbrennung übelriechende Gase erzeugen. Eine nähere Untersuchung der Essen ergab, daß sie keine Risse und Sprünge hatten, wohl aber aus porösen Ziegelsteinen gebaut waren. Man hat dem Uebelstand dadurch abgeholfen, daß man die Tapeten abriß und die Essen mehrmals mit Oelfarbe anstrich; so wurden die Poren undurchlässig.

Dieser Erfahrung ist eine hygieinische Bedeutung beizumessen. Ebenso wie die übelriechenden können auch geruchlose Gase durch derartige Essen in die Wohnungen gelangen, und diese sind zum Theile sehr gesundheitsschädlich, ja, wie z.B. das Kohlenoxydgas (Kohlendunst), im höchsten Grade lebensgefährlich.

Es sind schon Fälle vorgekommen, wo Menschen durch Kohlendunst vergiftet wurden, obwohl sie in Zimmern schliefen, die gar nicht geheizt waren. Man hat angenommen, daß der Kohlendunst, welcher der Feuerung eines anderen Stockwerkes entstammte, sich in den Essen senkte und durch Ofenthüren, Risse in den Ofenröhren u. dergl. in die betreffenden Schlafzimmer gedrungen sei. Wir erfahren aber aus den oben erwähnten Beispielen daß auch poröse Essenwandungen Durchgangspforten für das giftige Gas bilden können. Die Mengen desselben werden schwerlich so groß sein, daß sie Todesfälle oder schwere Vergiftungen verursachen könnten; wohl aber werden auf diesem Wege leichtere Vergiftungen, die der Mensch als ein vorübergehendes Unwohlsein fühlt, herbeigeführt. Mit Recht wird darum die Aufmerksamkeit der Baupolizei auf diesen Mangel gelenkt und die Forderung aufgestellt, man solle zum Bau der Essen in Wohnhäusern nur dichtgebrannte Klinker oder glasierte Steine nehmen, die keine Gase durchlassen *     

Das Affentheater im Eisenbahnwagen. (Zu dem Bilde S. 149.) Man muß sich zu helfen wissen! – In der großen Reichshauptstadt Berlin ist es für arme Italienerknaben, die irgend eine Schicksalsfügung dahin verschlagen hat, nicht immer leicht, sich durchzubringen. Aber hinter den schwarzumlockten Stirnen wohnt ein gutes Stück natürlicher Schlauheit, und so finden die jungen Südländer immer einen Ausweg, um die wenigen Groschen ehrlich zu verdienen, deren sie bedürfen. So hat unser Künstler ein Paar beobachtet, das sich auf eine wirklich eigenartige Weise durchs Leben schlug. Zwei dieser Burschen waren in Geschäftsverbindung getreten und hatten auf der Berliner Stadtbahn ein Affentheater im kleinsten Formate aufgethan. Den ganzen Tag waren sie auf der Fahrt. Setzte sich der Zug in Bewegung, so zog einer von ihnen eine Klarinette hervor, spielte ein Stückchen auf, der andere brachte ein niedliches Aeffchen zum Vorschein, das zu den einfachen Klängen allerlei Kunststücke zum Besten gab. Und das muntere Trio fand ein dankbares Publikum. Manches Kupfer- und Nickelstück fiel in das untergehaltene Tambourin und erzeugte da ein leises Klirren der Messingplättchen, die angenehmste Musik für die Ohren der unternehmenden Italienerknaben.

Unterseeische Beleuchtung. In Toulon wurden neuerdings Versuche mit Beleuchtung der Meerestiefen vermittelst versenkten elektrischen Lichtes gemacht. Es handelte sich dabei um die Lösung einer Frage, welche die für eine ferne Zukunft arbeitenden Techniker besonders beschäftigt. Wir besitzen Fahrzeuge, die unter See schwimmen können, indessen spricht man ihnen vielfach praktische Bedeutung ab, da diese Unterseeboote sozusagen blind sind. Die Taucher berichten zwar von den schönen Ansichten auf dem Meeresgrund, von Korallenbänken und dergl., aber man darf nicht vergessen, daß man unter Wasser nicht weit sehen kann. Fernsichten giebt es schon in geringen Tiefen nicht mehr, und bei sehr günstiger Beleuchtung sieht man in einer Tiefe von 10 m höchstens 8 m weit. Mit solchem Ausblick ist dem Kapitän eines Unterseebootes nicht viel geholfen; er ist immer der Gefahr ausgesetzt, sich zu verirren oder einen Felsen anzurennen. Ob nun das elektrische Licht dem Schmerzenskind der Neuzeit, der unterseeischen Schiffahrt, wird aufhelfen können? In Toulon ist es gelungen, mit dem Aufwand großer Apparate die Tiefe im Umkreis von 30 m Durchmesser durchsichtig zu machen. Das ist schon etwas, aber für die Unterseeboote noch lange nicht genug.


Inhalt: Italienerknaben auf der Berliner Stadtbahn. Bild. S. 149. – Freie Bahn! Roman von E. Werner (9. Fortsetzung). S. 150. – Durch Kansas. Von Rudolf Cronau. S. 152. Mit Abbildungen S. 153, 154 und 156. – Die drei letzten Meistersänger von Straßburg. Von Alfred Klatte. S. 156. Mit Bildnissen S. 157. – „Elsa.“ Eine Ehestandstragödie in Briefen. Von Ernst Wichert. S. 160. – Frühlingsahnung. Bild. S. 161. – Blätter und Blüthen: Gesundheitsschädigung durch schlechte Essen. S. 164. – Das Affentheater im Eisenbahnwagen. S. 164. (Zu dem Bilde S. 149.) – Unterseeische Beleuchtung. S. 164.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil's Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_164.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)