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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Du strahlst ja förmlich vor Vergnügen. Ist Dir irgend etwas Freudiges begegnet?“

„Wer weiß – vielleicht!“ sagte Oskar mit einem Aufblitzen seiner dunklen Augen. „Und deshalb will ich mich Deiner annehmen, Du siehst auch gar zu verzweifelt aus. Ich habe immerhin noch mehr Macht über mein Fräulein Schwester und werde ihr zu Gemüth führen, wie unverantwortlich es von ihr ist, Dich jetzt schon die Leiden des Ehestandes durchkosten zu lassen – eigentlich hat sie doch erst nach der Hochzeit ein Recht dazu. Gieb acht, sie erscheint bei Tisch ganz heiter und vergnügt, und dann wirst auch Du hoffentlich ein anderes Gesicht machen. Du tiefbekümmerter Bräutigam, der eine Mädchenlaune so ernst nimmt.“

Er lachte übermüthig auf, und einen Gruß zurückwinkend, stieg er die Treppe hinauf. Erich sah ihm kopfschüttelnd nach. Diese strahlende Heiterkeit lag sonst gar nicht im Wesen seines Schwagers, der heute kaum wiederzuerkennen war. Was konnte ihm nur begegnet sein?

Droben im Salon trat dem Freiherrn das Kammermädchen seiner Schwester mit der Erklärung entgegen, das gnädige Fräulein habe streng befohlen, sie unter keiner Bedingung zu stören und jeden ohne Ausnahme abzuweisen auch Herrn Erich Dernburg.

„Für mich gelten solche Befehle nicht, das wissen Sie doch, Nannon,“ schnitt ihr Wildenrod das Wort ab. „Ich wünsche meine Schwester zu sprechen, öffnen Sie die Thür!“

Nannon knixte und gehorchte, sie wußte sehr gut, daß es dem Freiherrn gegenüber keinen Widerspruch gab. Dieser trat ohne weiteres in das Zimmer seiner Schwester.

Cäcilie lag auf dem Ruhebett, das Gesicht in die Polster gedrückt. Sie regte sich nicht, obgleich sie das Oeffnen und Schließen der Thür hören mußte, aber ihren Bruder schien das nicht weiter zu befremden, er trat ruhig näher.

„Bist Du wieder einmal übler Laune, Cilly?“ fragte er, noch in scherzendem Tone. „Du behandelst den armen Erich wirklich in unverantwortlicher Weise, er hat mir eben seine Noth geklagt.“

Cäcilie verharrte stumm und regungslos in ihrer Stellung, und nun verlor Wildenrod die Geduld.

„Willst Du nicht wenigstens die Güte haben, mich anzusehen? Ich möchte Dich überhaupt bitten –“ er verstummte, denn seine Schwester richtete sich plötzlich auf und er blickte in ein so bleiches verstörtes Gesicht, daß er beinahe erschrak.

„Ich habe mit Dir zu sprechen Oskar,“ sagte sie leise. „Mit Dir allein. Nannon ist im Salon – schicke sie fort, damit wir ungestört sind!“

Oskar zog die Stirn kraus, er glaubte noch immer nicht, daß es sich um etwas Ernsthaftes handle, war aber in seiner glücklichen Stimmung geneigt, selbst einer Laune Rechnung zu tragen. Er ging deshalb in den Salon, sandte das Kammermädchen mit einem Auftrage fort und kehrte dann zurück. „Werde ich nun endlich erfahren, was das alles bedeutet?“ fragte er ungeduldig. „Wo bist Du überhaupt gewesen, Cilly, und was soll diese Fahrt in die Berge in aller Morgenfrühe? Dernburg hat sie bereits sehr unliebsam bemerkt! Du solltest doch wissen, daß Odensberg nicht der Ort für solche Abenteuerlichkeiten ist.“

Cäcilie hatte sich erhoben, sie vertheidigte sich mit keinem Wort gegen den Vorwurf, sondern sagte nur finster: „Ich war auf dem Albenstein.“

„Auf dem Albenstein?“ fuhr Oskar auf. „Welche Tollkühnheit! Welche unglaubliche Thorheit!“

„Laß das, es handelt sich um anderes,“ unterbrach sie ihn heftig. „Ich traf dort oben mit – mit dem Jugendfreunde Erichs zusammen, und er hat mir Dinge gesagt – Oskar, was ist zwischen Dir und diesem Runeck bei Eurer ersten Begegnung vorgefallen?“

„Nichts!“ sagte der Freiherr kalt, „Ich mag ihn damals gesehen haben, es ist möglich, man übersieht solche Persönlichkeiten leicht. Jedenfalls sprach ich nicht mit ihm und wußte gar nicht, daß er Zeuge eines peinlichen Vorfalles war, der an jenem Abend stattfand.“

„Was war das für ein Vorfall?“

„Nichts für Deine Ohren, mein Kind, und darum wäre es mir unangenehm, wenn Runeck Dir davon erzählt hätte. Was hat er Dir eigentlich gesagt?“

Die Frage wurde anscheinend gleichgültig hingeworfen, und doch lag die tiefste Spannung in den dunklen Augen des Fragenden.

„Er schien meine Kenntniß der Sache vorauszusetzen und erging sich in Andeutungen, die ich nicht verstand, hinter denen sich aber irgend etwas Furchtbares barg.“

„Wie? Er wagte?“ fuhr Oskar auf.

„Ja, er wagte es, Deine Ehre zu verdächtigen und mich als Deine Mitschuldige zu behandeln. Er sprach davon, daß er mehr aus Deinem Leben wisse, als Dir lieb sei, er nannte uns Abenteurer – hörst Du, Abenteurer! Aber Du wirst ihn zur Rechenschaft ziehen, wirst ihm die Antwort geben, die er verdient, und Dich und mich rächen!“

Wildenrod war bleich geworden, er stand da mit verfinsterter Stirn und geballter Hand, aber er schwieg. Der stürmische Ausbruch des Zorns, der Empörung, den Cäcilie erwartet, auf den sie gehofft hatte, kam nicht.

„Das hat er Dir wirklich gesagt?“ fragte er endlich langsam.

„Wort für Wort! Und Du – Du entgegnest nichts?“

Wildenrod hatte sich gefaßt, er zuckte mit spöttisch überlegener Miene die Achseln. „Was soll ich denn darauf antworten? Verlangst Du etwa, daß ich solche Tollheiten ernst nehme?“

„Ihm war es Ernst damit, und wenn ihm, wie er behauptete, bis zur Stunde noch die Beweise fehlen –“

„Wirklich?“ Oskar lachte höhnisch und triumphierend auf, während ein tiefer Athemzug der Erleichterung seine Brust hob. „Nun, er mag sie suchen, diese Beweise, finden wird er sie nicht!“

Cäcilie stützte sich auf den Sessel, an dem sie stand, ihr war jenes Aufathmen nicht entgangen, und ihre Augen waren wie in Todesangst auf den Bruder gerichtet. „Hast Du keine andere Antwort, wenn man Deine Ehre angreift? Wirst Du Runeck nicht zur Rede stellen?“

„Das ist meine Sache! Ueberlaß es mir, mit diesem Menschen fertig zu werden! Was geht es Dich an?“

„Was es mich angeht, wenn man mich und Dich bis auf den Tod beleidigt?“ rief Cäcilie außer sich. „Uns Abenteurer zu nennen, denen Odensberg zur Beute werden soll, das darf ein Mann ungestraft wagen? Oskar, sieh mir ins Auge! Du scheust Dich, diesen Runeck zu züchtigen. Du fürchtest ihn – O mein Gott, mein Gott!“

Sie brach in ein wildes leidenschaftliches Schluchzen aus. Oskar trat rasch zu ihr, und seine Stimme sank zu einem zornigen Flüstern herab.

„Cäcilie, sei vernünftig! Du benimmst Dich wie eine Unsinnige. Was ist überhaupt mit Dir vorgegangen? Du bist ja wie verwandelt seit heute morgen.“

„Ja, seit heute morgen!“ wiederholte sie leidenschaftlich. „Da bin ich aufgewacht, o, es war ein bitteres Erwachen! Weiche mir nicht aus! Du hast mir gesagt, daß unser Vermögen verloren gegangen ist, und ich war gedankenlos genug, nicht einmal zu fragen, wie es kam, daß wir trotzdem auf großem Fuße lebten. Wann ging es verloren? Wodurch? Ich will es wissen!“

Wildenrod schaute sie finster an, der drohende Ton war ihm so neu an seiner Schwester wie ihr ganzes Benehmen – er mußte es aufgeben, sie noch ferner als Kind zu behandeln.

„Wann unser Vermögen verloren ging, willst Du wissen?“ fragte er herb, „Damals, als der Zusammenbruch unseres Hauses erfolgte und der Vater – Hand an sich legte.“

„Unser Vater?!“ Die Augen des jungen Mädchens öffneten sich weit und schreckensvoll. „Er starb nicht am – Schlagfluß?“

„Das sagte man der Welt, der Nachbarschaft und Dir, dem achtjährigen Kinde – ich weiß es besser. Unser Besitz war überschuldet, der Ruin nur noch eine Frage der Zeit, und als er wirklich kam, da griff der Vater zur Pistole – und ließ uns als Bettler zurück.“

So schonungslos die Worte klangen, es lag ein dumpfer grollender Schmerz darin, man sah, der Mann litt noch jetzt nach zwölf Jahren schwer an der Erinnerung.

Cäcilie schrie nicht auf, weinte nicht, ihre Thränen schienen plötzlich versiegt zu sein, sie fragte nur leise, fast tonlos: „Und dann?“

„Dann wurde die Ehre unseres Namens durch das persönliche Eintreten des Königs gerettet. Er kaufte die Güter und befriedigte die Gläubiger. Deine Mutter erhielt eine Gnadenpension, ein Almosen an der Stelle, wo sie Herrin gewesen war, und ich – nun ich ging in die weite Welt hinaus, um mein Glück zu versuchen.“

Ein minutenlanges Schweigen folgte; Cäcilie war in den Sessel gesunken und hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen. Endlich hob Wildenrod wieder an: „Dich trifft das schwer, ich

glaube es, aber mich hat es damals noch viel schwerer getroffen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_167.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)