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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

gequakt hatte. Und wir könnten doch für unser Gartenland im Kirchthal so gut ein Paar tüchtiger Arme brauchen.“

Albrecht sah mitleidig auf das jammernde Mädchen.

In die Stille tönte ein rauhes Getute von dem mitternächtlichen Absturz des Berges. Siie fuhr empor. „In den Stockhäusern blasen sie den ersten Storch an! Das ist gewiß Kühnrich!“ Und sie rannte an den Rand des Abhangs, riß unziemlich ihr Kopftüchlein ab und winkte mit aller Kraft.

„O weh über die sittigste Jungfrau von Jechaburg!“ sagte Albrecht lachend für sich. „Aber wer hackt da Holz an meinem Herde?“

In seiner Klause stand an der Feuertätte eine junge Magd von kräftigem Wuchs, starken schwarzen Haaren und ebenso dunklen Augen. Sie hatte Feuer angezündet, und blies in die Flammen. „Ich back’ Euch einen Kuchen aus den neunerlei heilkräftigen Kräutern, den Ihr Gründonnerstag essen müßt,“ sagte sie. „Bachbungen und Brunnenkresse habe ich mitgebracht, Gierenkraut, Lauch, Sauerampfer unterwegs gesammelt, Schlüsselblumen, Frauenmantel und junge Nesseln hier oben gepflückt.“ Sie eilte hinaus und streifte vom Hollunderbaum an der Thür eine Handvoll Blattknospen dazu.

„Und was soll ich für Deinen heilsamen bitteren Kuchen leisten, Elsemuth?“ fragte Albrecht und sah behaglich zu, wie ihre flinken Finger die Pfanne auf das Feuer stellten, aus einem Krüglein Oel hineingossen, Eier dazu schlugen, die Kräuter zerschnitten.

Ohne die Augen von dem sich bräunenden Gebäck zu wenden, fuhr, sie fort: „Macht doch Einmal die Sache Unserer lieben Frau ordentlich klar. Er, ich meine der Müller Hiltebold, kann ein tüchtiges Weib brauchen, das ihm die Mühle stellen hilft. Im Wasser herumsteigen bin ich gewöhnt. Unser Stockhaus steht am tiefsten Sumpf. Und ich vermag auch das Volk im Zaum zu halten, das bei ihm die liebe Feldfrucht und Eicheln mahlen und Oel aus Bucheckern schlagen läßt. Ich will schon ein scharfes Auge haben, daß wir unserer Abgaben nicht verlustig gehen. Und dann treibe ich Handel mit dem feinsten Mehl, dem klarsten Oel, mäste Schweine und Gänse. Wir werden reiche Leute. Aber er ist zitterig wie die Bebra und ihr ganzes Ingesinde an Forellen und Schmerlen, wagt sich nicht in unser Gehege, streicht mit seiner schönen Haube nur von weitem daran vorüber, weil der wilde Kühnrich gesagt hat, er wolle ihm Arme und Beine entzwei schlagen. wenn er unseren Boden betrete. Unsere liebe Frau muß ihm das Herz stärken, daß er ehrlich wirbt. Alsdann will ich schon mit meinen Leuten fertig werden.“ Sie ballte die starken Hände.

Der Kuchen war gar. Sie schob ihn auf eine Schüssel.

Plötzlich ging ihr Blick hinab in das Thal. „Dort schleicht er unter den Bäumen an der Bebra entlang – er sucht mich; ich muß hinab.“ Und heidi! ging’s stracks den steilen Abhang gerade hinunter.

„Wunderbar, daß auf solchen Wegen selten die Hälse gebrochen werden!“ sagte Albrecht. „Aber sind die Dorfsprentzeln nicht wie die Gockel auf ihren Höfen? Aufgeblasen stolzieren sie, wollen allein im Korbe sitzen und hacken auf jedes arme fremde Hühnlein eifersüchtig wüthend ein.“

Und da die Sonne im Mittag stand, zog er die Glocke. Behaglich verzehrte er dann sein Mahl, das der Schaffner des Stiftes durch einen Küchenjungen heraufgeschickt hatte, der Fastenzeit gemäß einen gebratenen Fisch und eine aus süßem Teige gebackene Biene, mit Honig gefüllt.

Nun ging’s wieder an das lustige Versedrechseln.

Wuchtige Schritte näherten sich der Klause. Die rundbogige kleine Thür verdunkelte sich: Cölestin erschien mit Gepuste, den Schweiß von der Stirn trocknend, und bot brüderlichen Grüß. Neugierig überflog sein Blick die Blätter, die auf Bank und Schemel herumlagen und deren schön ausgemalte Zeilen wie Prozessionen erschienen, über welchen purpurrothe und blaue Fähnlein flatterten. Aber plötzlich hielt sein Blick an. Aus einem mächtigen O schaute wie aus einer Grotte ein Mädchenkopf, mit bräunlicher Farbe gemalt.

„Ist das nicht –“

„Eine Wasserholde,“ schnitt Albrecht seine Rede ab.

„Aber soll das ein J sein? Scheint es nicht eine hochgewachsene Jungfrau mit azurblauen Aeuglein? Und wie viel Gold hast Du an die Zöpfe verschwendet!“ nörgelte Cölestin.

„Eine Waldfei ist’s!“ erklärte Albrecht. „So habe ich die Nymphen und Sylvanen übersetzt, die in dem Sange des Ovidius vorkommen. Dahin gehört das alles.“

„Auch das U, welches als Herd einer Kreatur dient, schwarz wie die Heerscharen der Hölle?“

Albrecht schob ungeduldig das Blatt fort, darauf er im Gedankenspiel nach Tische gemalt hatte. „Das wird ein Gezwerg. Denn was wissen die Deutschen von den Faunen und Satyrn, die in den Wäldern des feinen Römers hausen?“

Cölestin schüttelte den Kopf. „Bruder Albrecht, fliehe die Versuchung!“

Der lächelte. „Die Versuchungen banne ich alle auf das Pergament; da können sie mir nichts anhaben, Du aber sage mir, welche Versuchung Dich in der heißen Stunde aus dem lauschigen Klostergang den steilen Berg herauf getrieben hat.“

Der andere legte ein paar Kissen, mit morgenländischer Seide überzogen, auf die steinerne Fensterbank und trug dann in wohlgefügter Rede die bösen Erfahrungen und die Sorge der Chorherren in Bezug auf die immer noch wallende Ostara vor.

Nachdenklich hörte Albrecht zu. Dann sagte er: „In den armen kalten Ländern können sich die Menschen nicht genug thun mit der Freude über den holden Lenz. Ueber den dunklen Harzbergen sahen wir von Halberstadt aus im Frühling rothen Feuerschein. In Eisenach feierten sie am Sonntag Lätare den Sommergewinner, banden eine wüste Strohpuppe, die den Winter vorstellte, an ein Rad und ließen dies brennend vom Metilstein hinablaufen. Mit Juchhei rannten die jungen Mägde und Gesellen nach, hinab zur schön geschmückten Sommerdocke, die in grüner Tanne vor dem Georgenthor saß. Es wurden schwere Strafen auf den Unfug gesetzt.“

Cölestin nickte. „Und das half.“

Albrecht zuckte die Achseln „Das nächste Mal schwärzten sie sich die Gesichter, damit sie niemand erkannte. Das Volk läßt nicht von allen Bräuchen, die aus seiner Art, seinem Bedürfnis herausgewachsen sind. Wie die ersten Bekenner des Kreuzes in deutschen Landen bei dem Namen Ostern die alte Ostara – gestatte, daß ich sage: zu Gevatter baten“ – Cölestin prallte entsetzt zurück – „um das Fest dem Volke vertrauter zu machen, so sollten wir den alten heidnischen Brauch mit neuem christlichen Geiste erfüllen, ihn in den Dienst unserer Kirche nehmen. Sind wir nicht gesandt, um zu versöhnen? Soll das Joch nicht sanft, die Bürde nicht leicht sein?“

„Ich verstehe Dich nicht,“ sprach Cölestin.

Nach kurzem Besinnen erwiderte Albrecht: „Wenn ich heute zum letzten Male geläutet und damit Land und Leute in den Schutz der heiligen Engel befohlen habe, will ich hinabkommen und meine Meinung den Brüdern vortragen. Sage das dem Herrn Propst und überwinde den mühseligen Heimweg in Geduld – in Geduld, lieber Bruder.“

„Ein kühler Trunk wird vonnöthen sein,“ Meinte der wohlbeleibte Chorherr und begab sich auf den Abstieg.

Nun war die große Woche gekommen. Die Hausfrauen schmückten die Stuben mit Weidenzweigen voll silberglänzender Kätzchen, streuten Binsen auf den Fußboden und buken Osterfladen.

Die Glocken schwiegen, und die Kinder erzählten von ihnen, sie seien am Gründonnerstag nach Rom geflogen, um dort Milch und Wecken zu essen.

Die letzte Nacht vor dem Auferstehungsmorgen lag still und dunkel auf dem Gefilde, in dem einst die holde Frühlingsgöttin geherrscht hatte. Nur der starke Quell, der aus dem Felsengeklüft des Berges sprudelte und sich zu einem kleinen Weiher sammelte, murmelte sein uraltes Lied.

Da, als das erste Frühroth aufstieg, knirschte der Kies auf den Feldwegen, raschelte es leise im Gebüsch, kam es von allen Seiten heran.

Unter den hohen Eichen, die den Quell schützten, trat der finstere Kühnrich hervor. Das lange schwarze Haar – nur Hörige trugen es gestutzt – fiel bis auf die kräftigen Schultern herab; am Gürtel, der mit Metall reich beschlagen war, klirrte das kurze Schwert. Er war vom Scheitel bis zum trotzig auftretenden Fuß der freie deutsche Bauer. Langsam schritt er heran. Er wäre nicht gekommen, aber Gotelinde hatte ihn so lieblich angeschaut, so bittend nach der Quelle gewinkt, als er

gestern die Birken zum Festschmuck für das Chorstift brachte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_191.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)