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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

besorgt wurde und meiner Schwägerin ein Zeichen gab, sie möge die Sache auf sich beruhen lassen. „Es geht ja auch so,“ fügte ich mit einem leisen Seufzer hinzu.

Der Zündstoff mußte wohl aber in meiner Seele gewesen sein, das erste Fünkchen war hineingefallen, und wenn die Flamme der Rebellion auch noch nicht offen aufschlug, so glimmte sie doch schon.

Eines Morgens – es war ein abscheulich schmutziger Tag, Ende November – war ich früh auf dem Markte gewesen und hatte allerlei besorgt. Wie man das für den Markt und schlechtes Wetter zu thun pflegt, hatte ich meine ältesten Sachen angezogen, trug große Gummistiefel, gefütterte Wollhandschuhe und einen Wintermantel, den ich schon zur Konfirmation bekommen hatte und aus dem ich mittlerweile arg herausgewachsen war.

An einer Straßenecke begegnete ich meiner Schwägerin, die, den Diener mit mehreren Paketen hinter sich, auch Einkäufe gemacht zu haben schien. Sie kam eilig auf mich zu.

„Lisa – thu’ mir einen Gefallen, gehe mit mir in den Blumenladen! Eben ist die Einladung vom Oberpräsidenten zu seinem großen Balle gekommen – ich habe noch eine Bestellung zu machen, und Du doch jedenfalls auch? Ihr habt doch die Einladung gleichzeitig mit uns erhalten?“

Ich zuckte die Achseln. „Wir?“ sagte ich etwas bitter, „was denkst Du, Alma? Robert will ja diesen Winter gar keine Besuche machen – kaum bei den Kollegen – er sitzt bis über beide Ohren in seiner Arbeit über das Pfandrecht.“

„Was, Pfandrecht?“ rief meine Schwägerin empört, „da laß Du ihn Pfandrecht treiben und treibe Du Hausrecht! Du wirst es erleben – nimm’s nicht übel, Lisa! – daß Du Dir an Deinem Manne einen Egoisten erziehst, der bei der nächsten Ausstellung für dergleichen den ersten Preis bekommt. Dann hast Du auch ’was Rechtes!“

Ich wurde nachdenklich – es war etwas daran!

„Willst Du mir etwa einreden, daß Du nicht gern hingingest?“ fuhr Anna ärgerlich fort, „dann sag’s – und ich gebe Dich auf!“

„Nein!“ sagte ich ehrlich, „sehr gern thäte ich’s – schrecklich gern. Aber ich kann es doch nicht erzwingen! Wie soll ich Robert zu einer Staatsvisite beim Oberpräsidenten bewegen – Du kennst ihn nicht, Anna!“

Meine Schwägerin sah einen Augenblick überlegend vor sich nieder, dann hob sie den Kopf. „Lisa, hast Du Muth?“ frug sie.

Ich zögerte. „Gewiß weiß ich’s nicht,“ sagte ich.

„Nun, ich habe ihn – schlimmstenfalls für uns beide,“ rief sie entschlossen, „ich habe mir etwas ausgedacht, und Du wirst es thun! Hast Du Visitenkarten bei Dir?“

Ich zog ein Täschchen heraus. „Jawohl,“ sagte ich verwundert, „von mir und von Robert.“

„Vorzüglich,“ erwiderte meine Schwägerin befriedigt und winkte einer langsam daherfahrenden Droschke. „Jetzt vorwärts mit frischem Muth!“

Und ehe ich wußte, wie mir geschah, saßen wir beide im Wagen, der Diener auf dem Bocke. „Zum Oberpräsidenten!“ rief Anna, und da fuhren wir hin.

„Aber Anna, aber Anna!“ rief ich. „So höre doch! Was willst Du denn machen? Ich kann doch in diesem Aufzug nicht zu Oberpräsidents gehen, und noch dazu ohne Robert!“

„Sollst Du auch gar nicht!“ erwiderte meine Schwägerin mit großer Ruhe. „Wir halten – schicken Deine und Deines Mannes Karten hinauf – die Oberpräsidentin nimmt keine Visiten an, und heute in acht Tagen tanzen wir beide in blaßrosa Seide und Heckenrosen bei Excellenzens um die Wette und Robert schreibt ’mal drei Seiten Pfandrecht weniger, das wird ihm sehr gesund sein – und die Nachwelt wird’s auch überstehen, wie ich sie kenne.“

Ich war so verblüfft über diesen kecken Gedanken und seine noch keckere Ausführung, daß ich nur schweigend dasaß und die Hände rang, nicht zum Vortheil meiner Handschuhe, deren einer diese Behandlung sehr übel nahm und platzte, was mich nicht eleganter erscheinen ließ. Jeder Einwand, den ich hätte machen können – vielleicht machen sollen – verstummte vor der Gewalt der Thatsachen, denn die Droschke hielt vor dem palastartigen Hause, in das der neuernannte Oberpräsident eben eingezogen war und in dem er sich mit jenem großartigen Fest einführen wollte.

Der Diener nahm die Karten in Empfang, gebührendermaßen ohne eine Miene darüber zu verziehen, daß der von ihm anzumeldende Herr Professor gar nicht im Wagen saß, und verschwand im Hausflur. Meine Schwägerin fiel mir jubelnd um den Hals. „Famos!“ rief sie und lachte ausgelassen, „Robert macht eben ahnungslos seinen Knix vor Excellenz, und wir überfallen ihn mit der vollendeten Thatsache und der Schneiderrechnung.“

Ich war nun, wo es sich nicht mehr ändern ließ, auch ganz lustig geworden. Der Diener kam zurück, und wir wollten dem Kutscher schon das Zeichen zum Weiterfahren geben, als Johann, den Hut in der Hand, näher trat und den Schlag öffnete.

„Excellenz lassen bitten!“ sagte er mit feierlichem Ernste.

Anna und ich starrten uns einen Augenblick sprachlos vor Entsetzen an – ich faßte krampfhaft ihre Hand. „Anna!“ flüsterte ich erbleichend. Meine Schwägerin warf hilfesuchende Blicke um sich her, ihr war augenscheinlich auch nicht wohl zu Muth.

„Gieb mir wenigstens Deine Handschuhe!“ rief ich in Todesangst und riß meine geplatzten Markthandschuhe von den Händen.

Der Diener stand währenddessen immer noch unbeweglich wie ein ausgestopfter Diplomat am Wagenschlag und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Plötzlich schien Anna zu einem Entschluß zu gelangen. „Gehen Sie sofort noch einmal hinauf,“ befahl sie mit großer Würde, „und sagen Sie, die Herrschaften ließen tausendmal um Entschuldigung bitten – die Frau Professor hätte einen plötzlichen Ohnmachtsanfall und wäre augenblicklich außer stande, den Wagen zu verlassen.“ Der Diener, über dessen tadellose Maske nun doch ein leises Grinsen flog, verbeugte sich und verschwand zum zweiten Male im Hausflur. In derselben Sekunde rief Anna dem Kutscher hinauf: „Zufahren!“

Der unselige Mann hatte aber irgend eine Unordnung am Zaumzeug seines Gaules bemerkt, und mit einem lakonischen „Gleich!“ kroch er vom Bocke herunter und schnallte mit entsetzlicher Ruhe und Gewissenhaftigkeit an dem Pferde herum.

Wir saßen, vor Ungeduld und Angst zitternd, dabei – zu Fuß wegzugehen, war ja ausgeschlossen. Jetzt – jetzt war er fertig und machte Miene, wieder auf seinen Bock zu klettern.

Da – o Entsetzen! – öffnet sich die Hausthür und, einen großen Pelzmantel übergeworfen, erscheint, von unserem Diener begleitet, eine kleine, sehr gutmüthig aussehende Dame und kommt eilenden Schrittes auf unsere Droschke zu – Ihre Excellenz in eigenster theilnehmender Person!

Anna, die mit Blitzesschnelle die Lage erfaßte und beherrschte, flüsterte mir nur zu: „Ich bin Du und Du bist meine Kammerjungfer!“ und sank, das Tuch vor den Augen, in die Wagenecke, während ich, im Hinblick auf meinen uneleganten Anzug beglückt, daß mir eine so untergeordnete Rolle zufiel, mich mit einem imaginären Riechfläschchen um sie bemühte.

Die freundliche Excellenz, der schon der Ruf großer Gutmüthigkeit und Neugier vorangegangen war, hatte inzwischen unserem Diener gewinkt, der sich, wie ich zu meinem größten Unwillen sah, hinter ihr her vor Lachen ganz respektwidrig krümmte. Die Excellenz nöthigte meine Schwägerin, die sie für mich hielt, in freundlichster Weise, auszusteigen.

„Nein, meine liebe Frau Professor,“ sagte sie mit wirklich gewinnender Herzensgüte, die wir in jeder andern Lage gewiß unendlich mehr geschätzt hätten, „ich lasse Sie in dem Zustand unter keiner Bedingung fahren – Sie kommen einen Augenblick zu mir herauf und erholen sich – wo ist denn Ihr Herr Gemahl?“

Mir zitterten die Knie – es wurde immer hübscher!

„Mein Mann holt mir die Tropfen, die ich bei solchen Anfällen nehme, aus der Apotheke,“ hauchte Anna mit erlöschender Stimme, „meine Jungfer ist deshalb bei mir geblieben.“

„Nun, dann muß er ja bald zurück sein,“ sagte die Oberpräsidentin, „die Jungfer“ das nahm die würdige Dame zu meiner stillen Entrüstung sofort für bare Münze – „bleibt im Wagen und benachrichtigt den Herrn Gemahl – nein, keine Umstände, meine liebe Frau Professor, ich gebe Ihnen ein Glas Wein – ich lasse Sie nicht fort!“

Und alles Komplimentieren und Protestieren half nichts – Anna mußte aus dem Wagen und wankte, in tödlichster Verlegenheit und völligem Wohlbefinden, auf die Arme des grinsenden Dieners und der guten Exeellenz gestützt, die Treppe hinauf. Zum Glück sah sie nicht mehr zurück – denn ich hätte, trotz aller Noth, lachen müssen, und wenn Todesstrafe darauf gestanden hätte.

Aber als der seltsame Zug im Hause verschwunden war, fiel mir meine Lage schwer aufs Herz. Ich wartete auf den „Herrn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_210.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2020)