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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Die Stadt Korfu hat die Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks. Auf der nördlichen ans Meer grenzenden Seite liegt der Hafen, seitwärts überragt von den mit dunklen Zypressen bepflanzten Wällen der „Fortezza nuova“, der „neuen Befestigung“. Auch die östliche Seite der Stadt, in welcher die beiden genannten Gasthöfe und die besuchtesten Kaffeehäuser liegen, ist dem Meere zugekehrt, aber von demselben getrennt durch einen ausgedehnten freien Platz, die „Spianata“ (Esplanade). Jenseit derselben führt eine Zugbrücke über einen schmalen Kanal zur alten Festung, der „Fortezza vecchia“, welche, auf steilem Felsen weit ins Meer hinausragend, Stadt und Umgebung beherrscht (siehe das Bild S. 201). Die dritte dem Lande zugekehrte Seite bildet die längere Grundlinie des Dreiecks. Die Vorstadt S. Rocco schließt sich unmittelbar an dieselbe an. Den Hauptzugang zur Stadt bildet von dort die „Porta Reale“, ein massiver alter Thorbau. Während wir auf der Spianata meist Erholung suchenden Spaziergängern und Kaffeehausgästen begegnen und auf der Hafenseite der Schiffsverkehr die Hauptrolle spielt, herrscht in der Umgebung der Porta Reale zu jeder Tageszeit, besonders in den Vormittagsstunden, ein buntes malerisches Treiben von Landleuten, welche in den mannigfaltigsten Trachten ihre Erzeugnisse zu Markte bringen oder Einkäufe machen und dort mit ihren Pferden und Eseln – die wenigsten kommen zu Fuße – Rast zu halten pflegen.

Der Reisende, dem nur die kurze Zeit zwischen Ankunft und Abfahrt des Schiffes zur Verfügung steht, verwendet dieselbe am besten zu einem Besuch der Fortezza vecchia, indem er vom Landungsplatze aus die Dogana (Zollstelle) durchschreitet und an der Markthalle vorüber der Nikephorosstraße folgt. Diese und die parallel laufende Nikiasstraße bilden die Hauptverkehrsadern und gewähren mit ihren Buden und Garküchen, mit der Farbenpracht der in reicher Fülle ausgestellten Früchte und mit den auf engem Raum sich drängenden Menschen und Thieren ein charakteristisches Bild südlichen Lebens. Die Nikephorosstraße mündet auf die Spianata gegenüber der Zugbrücke, welche zur Zitadelle führt.

Im Judenviertel von Korfu.

Korfu dient seit dem Abzug der Engländer nicht mehr als Festung. Die alten Werke stehen theils verlassen, theils werden sie als Kasernen und Magazine benutzt, und man bedarf keiner besonderen Erlaubniß, um die Höhe des Forts zu besteigen. Schon auf dem Wege dorthin entschädigt manch reizender Blick für die Mühe, oben aber eröffnet sich eine herrliche Rundsicht. Vor uns liegt die Stadt Korfu; jenseit derselben umspannt die Küste in weitem Bogen eine Meeresbucht; auf ihrer linken Seite nach West und Nordwest hin sanft ansteigendes Hügelland, mit Olivenwäldern bedeckt, aus deren mattem Grün da und dort die weißen Häuser einer Ortschaft herausleuchten, im Norden als Abschluß der langgestreckte felsige Bergrücken des 914 Meter hohen Monte Salvatore oder Pantokrator. Sein östliches Ende scheint mit der nur durch einen schmalen Meeresarm von ihm getrennten albanesischen Küste zusammenzuhängen, welche von da ungefähr parallel mit der Ostküste von Korfu nach Süden verläuft und dort im blauen Duft mit dem fernsten uns sichtbaren Punkt der Insel, dem Kap Levkimo, verschwimmt. Zwischen diesem und unserem Standpunkt erhebt sich breit hingelagert der „Santi Deca“ („Hagioi Deka“ d. h. die zehn Heiligen). Sein Gipfel ist von der Stadt ungefähr drei Wegstunden entfernt und unter den zahlreichen Aussichtspunkten der Insel besonders berühmt. Eine Strecke abwärts von seinem Gipfel sehen wir ein größeres Dorf und dicht bei demselben ein stattliches, weiß schimmerndes Gebäude: Gasturi mit dem Palast der Kaiserin von Oesterreich. Am Fuße des Santi Deca liegt der ziemlich ausgedehnte, durch einen schmalen Zugang mit dem offenen Meer verbundene See Kalikiopulo, der Kriegshafen des alten Kerkyra. Von dort zieht sich ein Hügelrücken am Meere hin nach der Stadt zu; auf seinem uns zugewandten Ende fällt ein ausgedehnter bis zum Meere hinabreichender Park in die Augen, die „Villa Reale“, berühmt durch ihre schöne Lage und ihren Reichthum an südlichen Bäumen und Pflanzen der verschiedensten Art. Sie ist an bestimmten Nachmittagen dem allgemeinem Besuch geöffnet, dem Fremden jedoch jederzeit zugänglich. Eine breite schön angelegte Straße, die „Strada marina“, führt sodann dicht am Meere hin an der Vorstadt Kastrades vorbei zur Esplanade. Viel besucht ist auch das jenseitige Ende des erwähnten Hügelrückens, wo ein Rondell, „Il Canone“ genannt, einen schönen Blick auf den See Kalikiopulo, die offene See und den gegenüberliegenden Santi Deca gewährt. Eine noch schönere Aussicht genießt man auf der Höhe zwischen Canone und Villa Reale bei dem Dorfe Analipsis. Ich schwärme nicht für Fernsichten, wenn ihr Werth vorwiegend in dem mehr geographischen als malerischen Genuß besteht, eine sehr große Anzahl von Bergspitzen oder Kirchtürmen überblicken zu können, deren Form gewöhnlich von unten gesehen viel schöner zur Geltung kommt. Aber in Korfu war ich stets aufs neue überrascht und entzückt von der Pracht der Bilder, welche das Auge auf hoch und frei gelegenen Punkten vor sich sieht. Nicht wenig trägt zu ihrer künstlerischen Wirkung der Meeresgürtel bei, der in seiner wunderbaren Färbung das Land umschließt und ihm als Rahmen dient.

Das Innere der Stadt Korfu besteht aus einem Labyrinth von engen auf und ab steigenden Gäßchen und hohen, vier- bis sechsstöckigen, in ihrem Aussehen wenig voneinander verschiedenen Häusern. Auch die Nikephoros- und Nikiasstraße sind kaum so breit, daß zwei Fuhrwerke einander ausweichen können. Nur an einer Stelle erweitert sich die letztere Straße zu einem kleinen Platz, welchen die Abbildung Seite 213 darstellt. Einen Namen hat derselbe nicht, so wenig wie die Mehrzahl der Straßen, oder wenn Namen vorhanden sind, so wird kein Gebrauch davon gemacht; auch Hausnummern sind in Korfu unbekannt. Ein früherer Bürgermeister hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die unleserlich gewordenen Namen an den Straßenecken wiederherzustellen und,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_214.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2020)