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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

es hier, denn seit vielen Menschenaltern war dieser Wald sich selber überlassen – vielleicht war er’s von Anbeginn gewesen. Im Dunkel der Tannen, im Bereiche ihrer abgestorbenen, mit bösartigem Gezack nach allen Seiten starrenden Aeste war es eintönig und fast beklemmend. Oben in den Wipfeln mochte die Sonne weben und der freie Lufthauch hindurchziehen, hier unten merkte man nichts davon, und kein fröhliches Kraut gedieh am Boden, nur schattenliebende Unheilspender wie die Tollkirsche. Endlich lichtete sich der Tann. Ein scharfer Flügelschlag war vor ihnen hergestrichen zu der Stelle, die sie nun erreichten. Die eng verfilzten Tannen wichen hier rings zurück vor der freien, mit edelsteingrünem Moos überdeckten Stelle, auf der in der Mitte eine der gewaltigsten des Geschlechtes, eine uralte Edeltanne, sich erhob.

Die gewaltige Breite ihres in offenliegende Riesenwurzeln auslaufenden Stammes zog sich nach aufwärts alsbald zusammen, und an der nun schlank aufstrebenden himmelhohen Säule zweigten sich erst weit oben die Aeste ab, so daß das Sonnenlicht ungehindert ihren Fuß und den ganzen Boden ringsumher erreichen konnte. Daher hob sich der Kreis hier wonnig grün ab von dem Düster ringsum. Das Moos schimmerte, die Farrenwedel nickten – es war ein Waldbild wie ein Märchen so schön und jetzt gerade wunderherrlich durch den Silberschleier von Thau, der darüber lag, der zum Vorschein gekommen war, nachdem die Geister den dicht wallenden Nebel vor der ansteigenden Sonne in die Höhe gezogen und aufgewickelt hatten. Ja, aufgewickelt und dann, zu flockigen Ballen gezaust, in die Luft geschleudert, wo sie nun noch eine Weile weiß in den höchsten Tannenspitzen hingen und dann sich allgemach in die Breite zogen, feine Streifen wurden und vergingen.

„Kaiserin Augusta“ und „Seeadler“,
die für die Flottenschau im Hafen von New-York bestimmten deutschen Kriegsschiffe.
Zeichnung von Hans Bohrdt.

Aber nicht nach dem geisterhaften Flöckchen, welches die Edeltanne hoch oben festgehalten hatte, blickte Lutz jetzt so scharf, sondern nach einem grauen Punkte etwas tiefer. Polyxene sah ihn die Büchse an die Wange reißen, und noch ehe sie hätte sprechen können, krachte der Schuß. Es knackte durch die Tannenäste, weißliche Federn stoben umher, und dann schlug hart und fühllos auf den Boden nieder, was sich eben noch da oben als warmes Leben behaglich gurrend gesonnt hatte. Ludwig sprang hin und hob den Vogel auf, eine schön gezeichnete Holztaube. „Da, besser als nichts!“ rief er fröhlich, die leichte Beute in die Höhe haltend.

„Daß Du die Büchse nicht in Ruhe lassen kannst!“ sagte dagegen Polyxene unzufrieden. „Wer weiß, was Du uns durch den Schuß verscheucht hast!“

„Es ist doch ein Anfang,“ erwiderte er und hing den Vogel an die Jagdtasche. „Meinst Du, ich wollte leer nach Hause kommen?“

Was Lutz verscheucht haben mochte, indem sein Gewehr dem vorsichtigen Wilde ein Warnungszeichen gab, das erfuhren sie natürlich nicht. Wohl aber schien es, als habe umgekehrt der Schuß auch etwas herbeigerufen. Als sie jetzt um die mächtige Tanne herumgingen, knackten in dem Dickicht auf der anderen Seite die Aeste ... es kam heran, war jedoch dann wieder still. Sie horchten, rückten nach Jägerart vorsichtig weiter, fuhren aber dann doch zurück, als mit einem Male das mißfarbig abgestorbene untere Gestrüpp der Tannenwand sich nur wenig auseinander that und ein Antlitz und Oberkörper erschien, auch grau, verwittert, struppig und der Umgebung so ähnlich, wie es etwas Menschliches den Waldbäumen nur zu sein vermag.

„Ach, Ihr seid’s, Strieger?“ sagte Polyxene gleich darauf, halb lachend, halb unwillig über den eigenen Schreck. Und Ludwig, dem es nicht anders ging, rief mit seiner hellen Stimme – was er bei besserem Besinnen wohl nicht gesagt haben würde: „Habt Ihr’s denn vom Schwarzen, daß Ihr durch die Luft fahren könnt? Immer seid Ihr da, wo man sich Euer am wenigsten versieht!“

„Hör’ einer, wie das junge Hähnchen schon kräht!“ meinte darauf der alte Mann, wie grimmig in sich hinein gurgelnd, was bei ihm so viel wie Lachen war. „Wenn hier in des Striegers Revier geschossen wird, dann ist er dabei ... das laßt Euch nicht weiter wundern, Herrlein!“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_229.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2021)