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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wie das gekommen war? Ganz einfach so. Einige Tage nach jenem Heimwege der bescheidenen Witwe vom Schlosse, bei welchem sie der Leyenschen Karosse hatte Platz machen müssen, war die Méninville einmal wieder bei der Pfalzgräfin. Diese hielt kleinen Damenzirkel; Frau von Méninville, die im pfalzgräflichen Gemache an ihrem Deckenzipfel gearbeitet halle, wollte sich entfernen, als die andern Damen sich einfanden, wurde aber durch ein paar Worte ihrer Herrin zurückgehalten, wie das jetzt Zuweilen geschah. Die Unterhaltung in diesen Zirkeln war der Pfalzgräfin, die neuerdings nach einem bestimmten Reize des Gesprächs verlangte, zu einförmig ohne die Méninville. Die brachte gleich etwas Belebung hinein; und schon daß die andern Damen sich ärgerten, wenn sie da blieb und von der Fürstin soviel Duldung erfuhr, war ein kleines Amusement mehr.

An jenem Tage nun hatte Frau von Méninville, um der Unterhaltung aufzuhelfen, sich selbst ein wenig preisgegeben, indem sie sehr lächerlich erzählte, wie sie neulich von dem Wagen der Leyens an die Wand gedrückt und gezwungen worden war, auf einen Kothhaufen sich zu retten. Es gehörte der Méninville ganze christliche Selbstverleugnung hierzu, denn einige der Damen enthielten sich nicht, schadenfroh zu lächeln bei der Schilderung. „Ja, ich muß eine drollige Figur abgegeben haben,“ sagte die liebe Frau, selber in besonderer Weise lächelnd. „Die Leyensche Kutsche ist ja wohl eine von den breitesten; es muß die ältere Façon sein, die man früher baute und die sich nur noch in vereinzelten Exemplaren findet. Benutzen Sie nicht auch noch eine solche, aus Liebhaberei, Frau von Biberen – ehrwürdig wie die Arche Noah, wie?“

Frau von Biberen, die rothblonde Dame mit dem feinen, etwas zu früh verblühten Gesicht, war selber scharfzüngig genug. Sie wurde zwar jetzt roth vor Aerger, sagte aber unverweilt: „Die Geräumigkeit meiner Karosse hat mich noch nie gestört; ich weiß nicht, wie sie denen vorkommt, die zu Fuße zu gehen genöthigt sind.“

„Karossen kenne ich, wie Frau von Biberen eben bemerklich machte, allerdings nur noch von außen seit den Jahren meines entbehrungsreichen Witwenstandes,“ erwiderte Frau von Méninville sanft, mit Ergebung die Augen niederschlagend. „Ich kann deshalb dem Herrn nur danken für die angeborene Zufriedenheit eines Gemüthes, das all diesen Prunk wenig entbehrt.“

„Das sind sehr tugendhafte Empfindungen ... Sie sind ... Sie sind eine vortreffliche Frau, liebe Méninville.“ Die Pfalzgräfin war es, welche gesprochen hatte, etwas holprig, wie das eine fürstliche Eigenheit von ihr war.

„Pfalzgräfliche Hoheit überschätzen mich ,“ sagte Frau von Méninville bescheiden. „Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Während ich in meiner Bedrängniß dastand, dicht an die Mauer gedrückt, deren Kalk ich nachher an meinem Mantel mit nach Hause brachte, und auf das Piedestal des Schmutzhaufens erhöht, eine beiqueme Zielscheibe zur Belustigung der jungen Herrschaften im Wagen – der junge Herr hat sich weidlich amüsiert, er wird es bezeugen – da waren Fleisch und Blut doch nicht ohne Verdruß; ich hatte eine recht unfreundliche Regung gegen diese übermüthige Jugend, deren ich mich jetzt selber als einer Thorheit anklage ... Was sagten Sie, Fräulein von Motz? Sie halten Ihre vortreffliche Freundin Polyxene für unfähig, mich ausgelacht zu haben in jener fatalen Lage? Sie kennen die junge Dame genau: sie sah mich gar nicht ... ihre Augen erniedrigten sich nicht so weit, einen Gegenstand wie mich auch nur zu streifen ... ich bin viel zu gering, um von ihr überhaupt bemerkt zu werden.“

Da hatte die gute Motz, das Fräulein mit dem ein wenig lächerlichen dicken Apfelgesicht und der zu kleinen Nase, ihrer Polyxene, der sie treulich anhing, einen schlechten Dienst erwiesen. Sie saß ziemlich weit von der Pfalzgräfin entfernt und hatte sich nicht enthalten können, ihrer Nachbarin jene Bemerkung zuzuraunen, welche die Méninville also doch gehört hatte, obwohl die Worte nur halblaut gesprochen worden waren. Jetzt schwieg Fräulein von Motz betreten. Hatte sie zuweilen, sogar im Beisein der Pfalzgräfin, jene glückliche Dreistigkeit, die man ihr halb aus Mitleid hingehen ließ, weil sie für ein junges Mädchen doch gar so unschön war, so war sie der liebenswürdigen Witwe dennoch nicht gewachsen.

Die Pfalzgräfin sprach jetzt. „Fräulein von Leyen thäte aber sehr wohl, Sie, liebe Méninville, zu beachten,“ sagte sie. „Sie könnte von Ihnen lernen.“ Und nun fuhr sie fort, ihre Sätze kurz abstoßend, wie sie pflegte; „Warum ist die Leyen heute nicht hier? Sie wartet uns sehr wenig auf. Wenn sie einmal ihre Fortune durch den Hof machen will, sollte sie sich mehr dazu halten.“

„Hoheit belieben zu bedenken, daß die Herrenmühle ein entlegener Ort zum Wohnen ist,“ sagte hier die Obersthofmeisterin Frau von Kallenfels, die – das mußte man ihr lassen – recht gern einmal ein gutes Wort für jemand bei der Fürstin einlegte, wenn sie konnte. „Wünschen Pfalzgräfliche Gnaden das Fräulein zu regelmäßigerem Dienste um sich zu haben, so wäre ihr vielleicht das kleine Appartement zuzuweisen, welches Fräulein von Ochsenstein innehatte ...“

Sie kam nicht weiter. „Jetzt keine derartigen Vorschläge, Frau von Kallenfels, wenn ich bitten darf,“ sagte Sabine Eleonore beinahe ungnädig. „man plagt mich stets mit Geschäften – man überrumpelt mich ... Ist mein Hofstaat nicht vollzählig, so hätte ich das längst wissen sollen.“ Sie war mit einem Male ganz roth geworden, sie ärgerte sich augenscheinlich. Die Obersthofmeisterin, die diese Anzeichen kannte, war jetzt des Winkes gewärtig, der auch alsbald erfolgte. „Ich bin etwas ermüdet ...“ Sogleich erhoben sich sämtliche Damen. „A revoir, mes dames!“

Den üblichen Handkuß beim Zurückziehen ließ sie dann wieder huldvoll geschehen. Auch der Obersthofmeisterin, die sie nicht entbehren konnte, zeigte sie zuletzt keine üble Laune mehr; sie war eben froh, den Damenschwarm los zu werden. Frau von Méninville kam natürlich zuletzt an die Reihe der Verabschiedung, ihrem bescheidenen Rang nach, und wollte sich eben tief zum Handkuß neigen, als die Fürstin sagte: „Bleiben Sie, liebe Méninville, noch ein wenig an Ihrer Stickerei; es beschwert mich, daß ich selbige heute meiner vapeurs wegen so wenig gefördert habe.“

Wieder eine unerhörte Gunst, und wie bescheiden wurde dieselbe empfangen! Frau von Méninville war sogleich, wie fortgeweht, in der Ecke des Gemaches, und zum Zeichen, daß sie hier nicht mehr Theilnehmerin an einem Hofzirkel, sondern nur noch die Hand sei, welche die Goldfäden durch das Gewebe aus- und einführe, sank sie an ihrem Platz in sich zusammen und verschwand fast unter den Sammetfalten der Decke, trotzdem die Pfalzgräfin noch stand.

Als die Thür sich hinter den Damen geschlossen hatte, nahm Gräfin Sabine Eleonore ihren Sessel wieder ein und meinte: „Sie haben dort wenig Licht; kommen Sie näher, liebe Méninville.“ Und bald zeigte sich, wo ihre Gedanken noch waren; sie wiederholte eine schon einmal gemachte Bemerkung: „Die Leyen wartet mir nicht so oft auf wie andere Damen! Sie weiß wohl nicht, wie schwer es sein wird, sie einigermaßen standesgemäß durch eine Heirath zu versorgen.“

„Vielleicht glaubt Fräulein von Leyen dazu die Protektion Euerer Hoheit nicht nöthig zu haben,“ sagte hier Frau von Méninville, über ihre Stickerei geneigt. „Sie verläßt sich, und wie manche meinen, nicht ohne Fug, auf ihre Schönheit.“

„Sie ist eine eingebildete Stange!“ rief darauf die kleine Dame mit überraschender Derbheit. „Wir wollen einmal hören, was sie in zehn Jahren sagt. Weit lieber wäre mir es freilich, wir würden sie beizeiten los. Wissen Sie etwas davon, daß sie schon beachtet worden wäre – von einem unserer Kavaliere oder sonst einem Mann von Stande?“

Frau von Méninville schien nachzusinnen. „Schwerlich würde solches, wenn es der Fall wäre, zu meiner Kenntniß kommen,“ sagte sie dann. „Ich lebe in einer zu bescheidenen Sphäre, in deren Dunkel nur die unvergleichliche Gnade Euerer Hoheit zuweilen ein um so helleres Licht wirft. Das einzige Mal freilich, daß ich Fräulein von Leyen durch einen liebenswürdigen Kavalier erwähnen hörte, da geschah es nicht ohne Beifall.“ Die Pfalzgräfin blickte noch ruhig und ahnungslos und daher ausdruckslos vor sich hin; die Méninville fuhr fort: „Entsinnen sich Pfalzgräfliche Gnaden nicht, wie Herr von Nievern neulich rühmte, es habe sich das Fräulein von Leyen der Sache ihres Vetters gegen Euere Hoheit recht wacker angenommen? Mich dünkte, er sprach wärmer von dem Fräulein, als er sonst pflegt.“ Frau von Méninville stickte emsig weiter – es fand sich gerade ein Knötchen in dem Goldfaden, welches ihre besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Als sie endlich wieder aufblickte, sah sie, daß ihre Gabe gewirkt hatte.

„Ganz recht, da ist sie unserem Vortheil auch entgegen gewesen,“ sagte Sabine Eleonore, und man hätte kaum glauben sollen, daß das Puppengesicht eines solchen Ausdruckes von Gehässigkeit fähig wäre, wie es ihn jetzt trug. „Gut, daß Sie mich daran erinnern; ich hatte es vergessen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_262.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)