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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Die Kallenfels hatte ruhig gesprochen; was sie empfand, darauf durfte es ja nie ankommen. Auch auf die beiden Audienzsuchenden schien ihre Mittheilung – der Gallapfel, den sie freilich erst im eigenen Munde hatte aufbeißen müssen – keine große Wirkung zu thun. Polyxene war viel zu sehr mit ihrem Kummer um Lutz beschäftigt, als daß irgend etwas sonst sie groß hatte berühren können. Und für den Obersten waren die verschiedenen Bewegungen der Puppenspielfiguren am Hofe und welche Puppen gerade die Scene besetzten, wenn er einmal einen Blick darauf warf, immer von sehr geringem Interesse gewesen. So war er denn mit einer Höflichkeitsbezeigung gegen die Obersthofmeisterin im Begriff, sich ruhig mit Polyxenen zu entfernen – als einer, von dem eine Form erfüllt worden und der nun froh ist, daß ihn dies wenigstens nicht mehr Zeit gekostet hat. Aber die Dame hielt ihn zurück.

„Verweilt, wenn es Euch beliebt, noch einige Minuten, Herr Oberst, und Ihr, mein werthes Fräulein!“ sagte sie. „Die Frau Pfalzgräfin läßt Euch durch mich ihren allergnädigsten Antheil an dem Schicksal ausdrücken, welches Euer Haus betroffen hat. Sie bedauert, unpaß zu sein und Euch desselben nicht mit eigenem Munde versichern zu können, zugleich möchte sie Genaueres darüber erfahren, wie die Sache sich zugetragen hat.“

„Das ist es eben, was wir selber gerne wüßten, meine vielwerthe Dame,“ entgegnete der Oberst trocken. „Der Junker, mein Neffe, hat sich vor neun Tagen aufs dem Hause entfernt, wenigstens nehmen wir dies an, da er in demselben seit dem Morgen jenes Tages nicht mehr erblickt worden ist; und er ist bis dato nicht zurückgekehrt, noch auch hat irgend eine Kunde über seinen Verbleib uns erreicht. Daß ich es an Nachforschungen nicht habe fehlen lassen, ist selbstverständlich, und diese sollen auch fortab keineswegs ruhen. An sämmtliche Aemter dieses pfälzisch-birkenfeldischen Landes ist eine genaue Beschreibung der äußerlichen Person des Junkers gesendet worden, mit der Bitte, von dem Betreffen eines solchen, sei er lebend oder tot, mir, dem betrübten Vormund und Pfleger, alsobalb die hocherwünschte Mittheilung zu machen.“

Polyxene blickte hier in trübem Staunen auf, da von dieser Maßregel des Oheims sie selber jetzt das erste Wort hörte. Daß er aber die Wahrheit sagte und gewiß nicht weniger gethan hatte, als er angab, dafür kannte sie ihn. „Dies alles aber,“ nahm der Oberst noch einmal das Wort, „halte ich noch nicht für genügend, da es sich um den letzten männlichen Sproß eines hochadligen Namens und den Erben ansehnlicher Güter handelt. Wir wollen deshalb auch an die unserer gnädigsten Pfalzgräfin verwandten pfälzischen und sonstigen Fürstenhäuser uns wenden und in ihren Landen forschen lassen und haben vor, ihre Hoheit zu ersuchen, daß sie ihrer Kanzlei verstatte, uns hierin Vorschub zu leisten.“

Die gnädige Frau werde gewiß nicht ermangeln, einem so verdienstlichen Vorhaben sich geneigt zu erweisen, nahm die Obersthofmeisterin auf sich, zu erwidern. „Der Junker war, wie man spricht, dem Walde und Weidwerk sehr zugethan,“ wendete sie sich dann an Polyxenen, deren schweigende Bekümmerniß sie dauerte. „Daß er im Forste zu Schaden gekommen sei, ist aber wohl nicht anzunehmen, da man ihn sonst schon gefunden hätte?“

„Wir haben unseren Wald weit und breit durchsucht, der alte Strieger, unser vielerfahrener Waldwart, und ich selber, und haben nichts entdeckt,“ sagte Polyxene traurig. Und dann, mit einem inneren Schauder: „Die einzige Spur von ihm, die wir fanden, war an einem anderen Orte. Auf der Herrenmühle selber, am Mühlgraben . . . dort fanden wir seine Jagdtasche . . . Und Dietlieb, unser Diener, glaubt fest, Lutz sei beim Ueberschreiten des Grabens verunglückt, indem die Bohle, auf der er hinüberzugehen pflegte, abglitt und ins tiefe Wasser rutschte. Die Männer haben darauf den Graben durchsucht . . .“

„Und nichts gefunden,“ ergänzte die alte Dame mitleidig, da das arme Mädchen abbrach.

Polyxene verneinte, mit ihren trockenen, vom Kummer müden Augen vor sich hinschauend. Aber auch Herr von Gouda schüttelte, und zwar ziemlich energisch, den Kopf. Er verweigerte der Annahme, sein Mündel sei dort ertrunken, den Glauben vollständig, was Polyxene in ihrem Gram zu einer Art Trost gereichte. „Thorheiten“ sagte er jetzt. „Ein gewandter Wagehals wir unser junger Fant kommt aus einem unfreiwilligen Bade im Mühlgraben wohl wieder heraus.“ Die Obersthofmeisterin war im stillen anderer Meinung; ihr schienen jene Anzeigen bedenklich. Doch verschwieg sie dies; wozu das augenscheinlich fast zu Boden gedrückte Mädchen noch mehr quälen!

Unter den gegenseitigen umständlichen Höflichkeiten solcher Standespersonen, wie sie alle drei waren, nahmen dann Herr von Gouda und das Fräulein von Leyen von der Obersthofmeisterin Abschied und verfügten sich zu ihrer Karosse zurück. Frau von Kallenfels aber betrat noch einmal die Gemächer ihrer Pfalzgräfin – hatte sie dieser doch das Ersuchen des Obersten von Gouda in aller Form vorzutragen.




9.

Die Pfalzgräfin war in ihre geblümte seidene robe de chambre gehüllt – ein anderer Name als dieser französische war für das Kleidungsstück nicht gangbar; eine Uebersetzung desselben ins Deutsche hätte kein Mensch verstanden – und so saß sie, über und über Falbeln und Bauschen, ein Spitzentuch über dem breiten Lockenbau, damit beschäftigt, ihre Vapeurs zu pflegen, indem sie dann und wann in ein Fläschchen mit scharfer Essenz roch, und ließ sich außerdem von der stickenden Madame von Méninville unterhalten. Die Obersthofmeisterin fand, als sie nun wieder eintrat, einen nicht ganz so kalten Blick ihrer Herrin auf sich gerichtet, wie sie dessen in der letzten Zeit hatte gewohnt werden müssen. Denn was Frau von Kallenfels jetzt melden sollte, versprach einige Linderung des Leidens der Hoheit, welches zum guten Theil aus Langerweile bestand. Was ihr aber eigentlich fehlte, wußte am besten ihre liebe Méninville, vor deren klugem Auge das innere Getriebe dieser kleinen Pompadur so verständlich dalag, als gehe sie wirklich auf Rollen, werde aufgezogen zu dieser Bewegung und habe eine Vorrichtung, die für den Wißbegierigen ihr inneres Räderwerk bloßlege. Herr von Nievern nämlich war am Tage nach der Hofjagd schriftlich um einen längeren Urlaub eingekommen. Seine Gesundheit, wie er in diesem Gesuche kurz angab, machte es ihm wünschenswerth, einige Zeit der Schonung von Geschäften zu widmen. Er habe vor, diese Zeit hauptsächlich bei seinem Anverwandten, dem Kanonikus von Wildenfels in Malmedy, zuzubringen. Für seine Stellvertretung that er einige bündige Vorschläge; und im übrigen hatte er die gnädige Erlaubniß seiner Gebieterin gar nicht abgewartet; als man ihr sein Schreiben überreichte, war er, wie sie zugleich erfahren mußte, schon abgereist. Das heißt, er war in Begleitung eines Dieners, der den Mantelsack auf dem Pferde hinter sich hatte, in der Morgenfrühe eben jenes Tages gen Norden geritten.

Solche Einzelheiten auszukundschaften, wäre unter der Würde der Pfalzgräfin gewesen; Frau von Méninville hatte das besorgt. Auch sie war überrumpelt durch den selbstwilligen Schritt des Kavaliers, ließ sich das aber natürlich so wenig wie möglich merken. Die Gebieterin dagegen war anfangs fassungslos. Sie gerieth in einen solchen Zorn, daß sie das Urlaubsgesuch ihres Oberjägermeisters mitten durchriß und zur Erde schleuderte; nachher mußte das Schriftstück, um doch gehörig fascikuliert und registriert zu werden, auf fürstlichem Hofmarschallamt von einem Kanzlisten sorgfältig wieder zusammengeklebt werden. Als Folge dieses heftigen Aergers gab dann eine Migräne in bester Form – mit Sprengen der Schnürsenkel am steifen Kleiderleibchen der Fürstin, Essigwaschungen, Fußbädern, Räucherungen und allem sonstigen damaligen Zubehör – zum Glück Beschäftigung und Ablenkung für einige Stunden, bis die Dame ein paar Kammerfrauen, aber zugleich auch sich selber todmüde gemacht hatte und in einen gesunden Schlaf fiel.

Indessen hatte Frau von Méninville sich die Sache einigermaßen zurechtgelegt. Allein mit sich selber, gestattete sie sich zunächst einmal die Empfindung, daß sie eigentlich getroffen werde durch diese fluchtähnliche Entfernung des Mannes, der so häufig in der letzten Zeit mit ihr und der Pfalzgräfin ein vertrauliches Trio gebildet hatte. Und wenn er sich offenbar gut unterhalten hatte während dieser Stunden, war das etwa das Verdienst der albernen Puppe gewesen, die jetzt im Nebengemach da drinnen unter ihrem riesigen kronengeschmückten Betthimmel wie ein Murmelthier schlief? Bei der stahlkräftigen Gesundheit des Herrn von Nievern war der Vorwand, den er gebraucht hatte, von einer dreisten Durchsichtigkeit: Zwar plagte ihn, trotz seines

noch jugendlichen Mannesalters, zuweilen das Gliederreißen, als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_311.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2021)