Seite:Die Gartenlaube (1893) 466.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

viel Neues sehen. Die Leistungen sollten so gut sein wie an den subventionierten Hoftheatern, aber eine Subvention fehlte. Gute Kräfte, gute und viele Neuigkeiten waren daher ebenso gefordert wie eine „gute“, d. h. sparsame Geschäftsführung. Wer da mit rücksichtsloser Strenge nur nach idealen Gesichtspunkten hätte vorgehen wollen, hätte den hier gegebenen Bedingungen des Gedeihens kaum entsprechen können. Hier hieß es Eile mit Weile, flotter Betrieb bei klug abwägender Berechnung. Wo Große Oper und Operette, höheres Drama und Posse derselben Leitung unterstehen und das Kasseninteresse gebieterisch heischt, neben der Kunst auch dem Unterhaltungsbedürfniß eines großen Publikums Rechnung zu tragen, da fordert die Bestimmung des Spielplans einen geschulten Meister der diplomatischen Kompromisse.

Claar, von Berlin her an ein freies Verfügen und schnelles Zugreifen im eigenen Hause gewöhnt, fand sich trotzdem schnell in die vorgezeichneten Geleise. Das Berliner Residenztheater, das er als Besitzer die Jahre vorher mit glänzendem Erfolge geleitet hatte, war durch den Wettbewerb der vielen Berliner Bühnen auf die Pflege einer besonderen Spezialität angewiesen gewesen. Gerade dank dieser Beschränkung hatte er es als Pflegstätte des bürgerlichen „Sittenstücks“ deutscher und französischer Abkunft auf jene Höhe gebracht, welche von Berlins ersten Kritikern damals einstimmig seinen Leistungen zuerkannt wurde. In Frankfurt fand nun Claar gerade für diese Gattung von Stücken einen günstigen Boden. Aber wie er seine Thätigkeit gleich mit einem Preisausschreiben für ein gutes deutsches Schauspiel, Trauerspiel und Lustspiel begann – aus welchem Wettstreit Richard Voß mit seiner „Patrizierin“ als Sieger hervorging – so hat er auch sonst immer sowohl unserer anerkannten klassischen Dramenlitteratur wie den neueren Schöpfungen Deutschlands eine lebhafte Aufmerksamkeit zugewendet. Wie Claar durch die erste Aufführung des „Mennoniten“ der feurigen Begabung Wildenbruchs die Pforten der deutschen Bühne geöffnet, wie er die dramatische Muse von Richard Voß in die große Welt eingeführt hat, so hat er, unterstützt von der Kritik, ähnliche Förderung in Berlin einem Wilbrandt, in Frankfurt einem Fitger, Fulda, Siegert zu theil werden lassen und namentlich auch um das dramatische Schaffen Paul Heyses und Wilh. Jordans durch Erstaufführungen neuer Dramen von diesen Dichtern sich große Verdienste erworben. Und auch für Henrik Ibsen ist er bereits zu einer Zeit eingetreten, da es noch nicht Mode war, für ihn zu schwärmen. Auf dem Gebiete des klassischen Dramas hat er namentlich durch Vorstellungscyklen bei herabgesetzten Preisen volksthümlich bildend gewirkt und diese Einrichtung dann auch nachklassischen Dichtern, im besonderen Kleist, Grillparzer, Gutzkow und Hebbel, zugute kommen lassen. In der Oper hat er versucht, möglichst jeder lebensvollen Richtung gerecht zu werden, dem Nibelungenring Richard Wagners wie den Liederspielen Neßlers, den Werken Verdis wie den neufranzösischen Komponisten. Ebenso veranstaltete er, unterstützt von den Kapellmeistern Dessoff und Goltermann, Mozart-, Weber-, Wagnercyklen.

Emil Claar.
Nach einer Photographie von K. Culié, Hofphotographin, Frankfurt am Main.

Claar würde sich der Fülle dieser künstlerischen Aufgaben nicht haben gewachsen zeigen können, wenn ihm nicht eine reiche litterarische Bildung und eine ausgezeichnete Schulung in allen Fächern der Regie von früher her zur Seite gestanden hätte. Emil Claar ist ein Schüler von Laube und von Haus aus nicht nur für die Bühne, sondern auch für das litterarische Wirken, die Dichtkunst, begabt. Als Sohn eines angesehenen Rechtsanwalts in Lemberg am 7. Oktober 1842 geboren, kam er schon früh nach Wien, um nach der Absicht des Vaters sich für den ärztlichen Beruf vorzubereiten. Jedoch von unbezwinglicher Leidenschaft fürs Theater – wie er selbst sagt – ergriffen, wurde er Schauspieler. Sein Geist war damals ganz von poetischem Idealismus beherrscht, wie seine Jugendgedichte und namentlich die Begeisterung für Byron, Shelley und Freiligrath beweisen; in einer seiner schönsten Balladen und in dem Drama „Shelley“ ist dieser Zug seines Wesens später zu künstlerischem Ausdruck gelangt. Heinrich Laube stand damals an der Spitze des Burgtheaters. An ihn wandte sich der junge Kunstnovize, nachdem er bei Ludwig Löwe den ersten Unterricht empfangen hatte. Laube, der so viele noch schlummernde oder knospende Talente rechtzeitig erkannt und zur Entfaltung gebracht hat, nahm sich des jungen Mannes mit besonderem Wohlwollen an und ließ ihn den ersten Schritt auf die weltbedeutenden Bretter im Burgtheater machen. Nach diesem Auftreten und einigen kurzen Anstellungen an österreichischen Provinzbühnen kam er nach Berlin, und zwar an das Hoftheater, wo er sich erfolgreich in das Charakterfach einarbeitete. Dann war es wiederum Laube, der ihm vorwärts half. Derselbe hatte die Direktion des Leipziger Stadttheaters übernommen; unter dem von ihm berufenen Personal befand sich auch Claar, und bald erkannte sein Blick dessen besondere Begabung für die litterarischen und artistischen Geschäfte der Theaterleitung.

Wie aus Laubes Buch über „Das norddeutsche Theater“ bekannt ist, zog er sich in jenen kämpfereichen Jahren den jungen intelligenten Künstler zu einem dramaturgischen Mitarbeiter nach seinem Sinne heran, und als er von Leipzig wegging, war Claar sofort ein gesuchter Regisseur. Am Hoftheater von Weimar erregte er als solcher durch seine Neuinscenierung klassischer Stücke viel Beifall. Als Oberregisseur am Landestheater in Prag, welche Stellung er vier weitere Jahre bekleidete, bekam er infolge andauernder Krankheit des Direktors Wirsing die ganze künstlerische Leitung dieser Bühne in die Hand und begann seine Neigung für die zeitgenössische Dichtung in selbständiger Weise zu entfalten. Hier entstand auch das Drama „Shelley“, das Laube vergeblich in Wien bei der Censur durchzusetzen suchte, hier ließ er dem vielgegebenen kleinen Lustspiel „Simson und Delila“ das liebenswürdig pikante „Auf den Knien“ folgen. Auch ein poetisches Märchendrama „Gute Geister“ schrieb er für die Bühne. In Prag war es auch, wo er sich mit der gefeierten Schauspielerin Hermine Delia verheirathete. Als Claar dann die selbständige Direktion des Berliner Residenztheaters übernahm, verlieh diesem die Mitwirkung seiner Frau eine besondere Anziehungskraft. Als Gattin des Frankfurter Intendanten hat sie sich aber – zum Bedauern der Verehrer ihrer Kunst – nur noch auf Gastspiele eingelassen.

Wer Emil Claar nur in seiner jetzigen zurückgezogenen Lebensweise kennenlernt und dabei die elegant geschmeidigen Formen beobachtet, in die er die Energie seines verantwortungsvollen Handelns kleidet, der ahnt nicht, welch warmblütige Künstlernatur sich hinter dieser scheinbar kühlen Ruhe verbirgt, Durch sein innerstes Wesen, wie es sich auch in seinen neueren Gedichten ausgesprochen, geht ein Zug entsagender Klage über die Unerfüllbarkeit der Ideale, über die Flüchtigkeit auch des höchsten Strebens. Ein Epigramm von ihm lautet:

„Glaube mir, in diesem Leben
Ist die allergrößte Kunst:
Ruhig lächelnd aufzugeben,
Was man hielt für Glück und Gunst.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_466.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2022)