Seite:Die Gartenlaube (1893) 490.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Er ordnete sorgfältig die sofortige Ueberlieferung seiner Briefe an die Pfalzgräfin an und begab sich darauf hinüber in die Amtsstuben der Forstkämmerei. Wenn er etwa bald seine Charge niederzulegen haben würde, so schien es angezeigt, hier erst Ordnung zu machen, soweit es nöthig war. Er blieb hier bis zur Abenddämmerung, nahm Einsicht in die Akten, in die Rechnungsbücher, wies noch einige Ausgaben an für die pfalzgräfliche Meute, beziehungsweise für Ausbau des Zwingers hochdieser Bestien, da er denselben in schlechtem Stande wußte, und lachte ein wenig ingrimmig in sich hinein, wenn er dachte, daß im Falle seines Abganges die Hunde wenigstens, wenn sie’s verständen, ihm zu danken haben würden.

Aber wohl nicht sie allein würden ihn alsdann vermissen, die Schreiber der Kanzlei und der alte Kammerrath waren ganz betreten bei diesen sonderbaren Anzeichen. Der glänzende Kavalier war niemals als ihr Schrecken hierher gekommen, nicht gehaßt oder gefürchtet. Im Gegentheil, sie wußten, daß er es trotz seiner spöttischen Art nicht schlecht mit ihnen allen meine; seine trockenen Scherze entzückten sie, seine schöne vornehme Gegenwart ließ, wenn er einmal hier geweilt hatte, gleichsam einen Glanz in den dumpfen Amtsstuben zurück. Und sie hatten es als einen Vorzug betrachten gelernt, gerade des Herrn von Nievern Untergebene zu sein. So bedrohlich für ihrer aller Existenz erschien ihnen daher die Ahnung seines Scheidens, die ihnen sein Wesen heute gegeben hatte, daß sie sich nicht enthielten, ihre Besorgniß laut werden zu lassen, daheim bei ihren Weibern und auch sonst unter guten Bekannten. Das Gerücht gerieth unter die niedere Hofdienerschaft, an die Zofen und Kammerfrauen, durch welche es die Obersthofmeisterin erfuhr. Und so war dafür gesorgt, daß die überraschende Kunde der kleinen Hoheit selber früher oder später gebührend kredenzt werden mußte. –

An der Stelle, die der alte Strieger dem Oberjägermeister zum Stelldichein genannt hatte, waren die beiden in der Abenddämmerung zusammengetroffen; sie hatten sich in das Waldgebüsch zurückgezogen und dort, doppelt und dreifach gedeckt durch die völlige Oede dieser Strecken, durch das gelbe Laub des Eichengestrüpps und durch die Abenddunkelheit, schon eine ganze Weile ernstlich verhandelt.

Der Strieger hatte sich genau den Weg bezeichnen lassen nach Malmedy. Dorthin sollte er dem Kanonikus von Wildenfels einen Brief des Oberjägermeisters bringen, in keine anderen Hände zu legen als in die des geistlichen Herrn in Person; und es war ihm angedeutet worden, daß der Brief jedenfalls soviel werth sei als seine, des Waldwarts, eigene alte Haut, die demnach unbedenklich daran zu setzen sei, um dies Blatt gegen etwaige Fährniß aus dem Wege und besonders gegen unberufene Augen zu vertheidigen. Der Alte hatte hohl in sich hinein gelacht. „Seid unbesorgt, Herr! So lange ich lebe, kriegt keiner das Blatt, dem ich’s nicht gebe, und wenn ich tot bin, erst recht nicht ... da fress’ ich’s lieber vorher.“

„Lieber ist mir’s aber, der Brief wird nicht geschluckt, sondern abgeliefert, Alter, darum gehe Euch Vorsicht vor Tapferkeit,“ hatte Herr von Nievern gemahnt. Das Anerbieten eines Pferdes, um seinen alten Knochen den Weg zu erleichtern, hatte der Waldwart sehr entschieden abgelehnt. Auf seinen drei Beinen, den zwei ihm leiblich angehörigen und seinem Hagebuchenstock, werde er weit rascher vom Flecke kommen als auf vieren, denn einmal sei er des Reitens nicht gewohnt und dann getraue er sich, Schleichwege zu finden, auf denen ihn ein Gaul nur hindern würde.

Der zweite Theil seines Auftrages war minder einfach als die Ueberbringung des Briefes und je nachdem später oder schon vorher auszuführen. Es galt, die Gärten von St. Menehould zu umschleichen und im glücklichen Falle die Zöglinge der frommen Väter während ihres Spazierganges zu beobachten, wenn möglich recht aus der Nähe. Der Strieger hatte nichts hören lassen als einen langgezogenen unterdrückten Pfiff, da er in aller Kürze vernommen, was den Oberjägermeister zu diesem sonderbaren Auftrag veranlaßte. Aber irgendwie mußte er sich doch Luft machen! Schade, oder vielleicht ganz gut, daß Herr von Nievern das kleine verwitterte Greisenantlitz jetzt nicht deutlich sehen konnte! Wie die Augen in ihren tiefen Höhlen funkelten und wie bösartig das Gesicht wurde! Gleich einem schlimmen Waldteufel grinste der Alte in die Dunkelheit hinein; war er doch auch aller Welt feind, nun die Magdalena tot war, außer denen vom Namen Leyen und was mit dieser Familie jetzt zusammenhing.

„Es ist vielleicht nur ein Hirngespinst von mir, daß ich glaube, den Junker Ludwig gesehen zu haben,“ sagte Nievern jetzt. „Wollt Ihr es trotzdem daraufhin dort wagen, Strieger? Schreckt Euch der Auftrag nicht? Ihr selber glaubt ja aber nicht an des Junkers Tod. Und – halt – hat nicht in Euerem schlauen Hirne schon der Gedanke gespukt, die Geistlichkeit könnte mit seinem Verschwinden zu thun gehabt haben?“

„Fällt Euch das jetzt erst ein?“ sagte der Strieger ein weniges verächtlich, „Eins weiß ich. Wenn ich gesehen hätte, was Ihr da sagt von einem, der Euch zugewinkt hat hinter dem Gitter – ich hätte nicht so lange gebraucht wie Ihr, um mir einen Vers darauf zu machen, Also wie war’s ? Von hier zunächst auf Ehrach, dann auf Reuland und St. Wit.“ Er murmelte vor sich hin die Namen der Ortschaften am Wege, die ihm Nievern genannt hatte; dann fuhr er laut fort: „Mein Wald mag sich indessen selber hegen ... und ich lasse ja auch einen zurück an meiner Statt, denselbigen schwarzen Kumpan, der abends, mit einem feurigen Schweife geziert, den Klößefressern von Keula, den dummen Tölpeln, des öfteren hier am Heidenkopf erschienen sein soll. Da werden sie das Holzmausen schon bleiben lassen.“

„Wenn er Euch statt dessen dorthin begleitet und Euch in Euerem Geschäft bei den Vätern in St. Menehould hilft, so habe ich auch nichts dagegen,“ erwiderte Herr von Nievern mit einem finsteren Lächeln auf diesen grimmigen Scherz. „Denn ich glaube, einen viel Geringeren braucht es nicht, um gegen die etwas auszurichten.“

Noch einige letzte Anweisungen gab der Oberjägermeister, denen er aber vorsichtshalber die Worte vorausschickte: „Wollt Ihr mich nun etwa wieder hier in der Dunkelheit stehen lassen gleich einem Narren wie neulich beim Kloster, so verzieht damit wenigstens, bis Ihr das Nothwendigste wißt.“ Der Strieger brummte einiges dagegen, schien es übrigens diesmal nicht so eilig zu haben, denn er heischte von Nievern immer noch einmal Auskunft über dessen Besuch im Kloster, von dem der Oberjägermeister ihm berichtet hatte. Dabei war es dem Waldmann aber weniger um Polyxenens innere Verfassung zu thun; vielmehr wollte er vornehmlich wissen, wie und wo das Fräulein bewahrt werde; Lage und Beschaffenheit ihrer Zelle ließ er sich beschreiben, so gut das der Oberjägermeister vermochte. Dann geleitete er den Herrn von Nievern einen kurzen Pfad durch das Gehölz, den nur ein Luchs- oder Eulenauge wie seines zu finden vermochte. Erst als sie die Landstraße dicht unter sich hatten, hielt er an; im letzten Augenblick fuhr er in sein Gewand und brachte etwas zum Vorschein, das er dem Oberjägermeister hinreichte.

„Ich wollte, Ihr nähmet mir dies ab, Herr. Es ist beschriebenes Papier, wie Ihr bei Tage sehen werdet“ – in der That fühlte Nievern, da er verwundert zugriff, eine dünne Rolle Papier in der Hand – „ich kann nicht verrathen, was drinnen steht, für mich ist alle Schrift Latein, bis zum Lesen habe ich’s selbst in meinen jungen Tagen nicht gebracht, Dieses hier fand ich bei der Magdalena, die das Fräulein auch besucht hat – und nicht zu eigenem Heile, fürcht’ ich – im Bett, als ich die Tote aufhob, um sie in die Erde zu legen. Sie muß es mit sich aus den Niederlanden gebracht haben. Und da sie, wie hieraus zu ersehen, dies Kauderwälsch auf dem vergilbten Papier gehegt hat, so hegte ich’s auch. Jetzt lege ich’s in Euere Hände, damit es nicht vergeht, ehe ein Kundiger es gesehen hat. Thut damit, was Euch gut dünkt!“

Der Oberjägermeister versenkte das Papier in seine Tasche, um es alsbald zu vergessen, und dann trennten sich die Männer.

Wahrlich, es war ein hinreichendes Tagewerk, das Nievern nun hinter sich hatte: am Morgen sich ein Weib gefreit, am Mittag mit der Pfalzgräfin gebrochen und am Abend begonnen, sich die mächtigste Kongregation der Christenheit zum Todfeind zu machen! Furcht, für sich, für Leib und Leben beschlich ihn dennoch nicht, als er jetzt, dies alles überdenkend, seinen Weg zurück zur Stadt nahm. Aber ruhelos war sein Herz freilich: das Verlangen wühlte darin nach den Lippen, die er heute geküßt hatte, und folternde Pein, wenn er an die dreifach verriegelte Thür dachte und das rohe geschwärzte Mauergestein, das soviel süßen Reiz umschloß. Der Schlaf, der ihm sonst treu war, floh in dieser Nacht sein Kissen fast ganz. Recht so! Er hätte sich geschämt, zu schlafen, während das unselige holde Geschöpf gewiß sich ängstlich wachend durch die langen Stunden quälte.

(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_490.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)