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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

annehmen, daß in diesem Wasser der Salpeter in Natriumnitrit zersetzt wurde; es ist ja seit langer Zeit bekannt, daß in schlechtem Wasser neben Nitraten auch Nitrite vorkommen können.

Welche praktischen Schlüsse für die Verhütung und Bekämpfung der Cholera ließen sich nun aus diesen Aufstellungen Emmerichs ziehen?

Zuvörderst ist hervorzuheben, daß sie die bisherigen Errungenschaften der Bakteriologie nicht aufheben, sondern dieselben erweitern. Was Robert Koch über die Verhütung der Cholera gelehrt hat, bleibt zu Recht bestehen. Unser Bestreben muß nach wie vor in erster Linie darauf gerichtet sein, dem Kommabacillus den Eintritt ins Land, und wenn dieser nicht verhütet werden konnte, die weitere Ausbreitung innerhalb der Grenzen zu verwehren. Der Beobachtung Kranker, der zweckmäßigen Desinfektion und der Reinhaltung der Gewässer, der persönlichen Pflege der Gesundheit würden aber auf Grund der Enthüllungen von Emmerich noch andere Maßregeln hinzugefügt werden müssen, die darauf ausgehen, dem Feinde die Mittel zur Giftbildung zu entziehen.

Dies wird erreicht durch Versorgung der Bevölkerung mit nitrat- und nitritfreiem Wasser sowie mit möglichst nitratfreier Nahrung. In letzter Beziehung wird es Aufgabe der Chemie sein, durch sorgfältige Untersuchung der Nahrungsmittel über deren Nitratgehalt Klarheit zu schaffen. Es werden dabei wichtige Thatsachen erörtert werden. Wie gefährlich erscheint z. B. in einer Zeit, da die Cholera in der Nähe ist, die Verwendung des Salpeters zum Fleischpökeln! Gerade in unseren Tagen, wo in Anbetracht der Futternoth so viel Vieh geschlachtet wird und verschiedene Fleischkonserven in großen Mengen bereitet werden, ist es dringend nothwendig, vor der vielfach üblichen Benutzung des Salpeters zu diesem Zwecke zu warnen.

Der Vortheil, den wir durch nitratarme oder nitratfreie Ernährung gewinnen, ist ein sehr großer; denn nach den Ausführungen des Professors Emmerich finden alsdann die Kommabacillen, selbst wenn sie in den Darm eindringen und sich in ihm vermehren sollten, keine Stoffe, aus denen sie Nitrite bilden könnten; sie erzeugen alsdann andere Säuren, namentlich Milchsäure, und die Störungen, die sie verursachen, sind leichterer Art, gleich jenen leichten Durchfällen, der „Cholerine“, die man so oft während der Choleraepidemien beobachtet.

Wir ersehen daraus, daß die Entdeckung Emmerichs, vorausgesetzt, daß sie im Laufe weiterer Prüfungen sich stichhaltig erweist, uns höchst werthvolle Mittel an die Hand giebt, mit deren Hilfe wir wohl imstande sind, während einer Choleraepidemie einen schweren Verlauf der Infektion zu verhüten.

Sehr bedeutungsvoll würde aber die Entdeckung des Münchener Forschers für die Behandlung der Cholera sein. Die Heilung des einmal ausgebrochenen Leidens ist das heiß ersehnte Ziel der Aerzte, aber wir wissen ja, daß gegen die asiatische Seuche keines der bekannten Mittel wirklich hilft. Ist nun die Cholera in der Hauptsache eine durch die Kommabazillen hervorgerufene Nitritvergiftung, so ist dem Arzte der Weg vorgezeichnet, auf welchem er ein Gegenmittel zu suchen hat. In der That arbeiten bereits Emmerich, Tsuboi und Löw gemeinsam, um ein derartiges Mittel zu finden, welches die Nitrite im Darme unschädlich machen würde. Welche der Wissenschaften in diesem Wettstreit den Sieg davontragen wird, läßt sich nicht voraussagen. Vielleicht gelingt es der Chemie, einen derart wirkenden Stoff aufzufinden; vielleicht aber giebt uns die junge und doch so ruhmreiche Bakteriologie Waffen gegen den Kommabacillus.

Sie ist wunderbar, diese Kleinwelt der Spaltpilze, welche Erde und Wasser durchdringt! Es giebt auch Bakterien, welche die Nitrite in die wenig schädlichen Nitrate verwandeln. Sie sind tagtäglich in unzähligen Billionen in Thätigkeit. Auf der Oberfläche der Erde leben zahllose ovale Bakterien, Nitromonaden, welche die Fähigkeit besitzen, uns dem Ammoniak[1] salpetrige Säure zu erzeugen, die sich im Erdboden sofort mit Kalk, Kali und Natron zu Nitriten verbindet. Wären diese Nitromonaden allein da, so würde der Erdboden bald mit diesen giftigen Salzen gesättigt sein; aber neben ihnen leben andere stäbchenförmige Nitrifikationsbakterien, die sich sofort der Nitrite bemächtigen und sie in Nitrate verwandeln. Sollte es nicht möglich sein, daß unter diesen Bakterien sich auch Arten vorfänden, welche im menschlichen Darm fortkommen und hier den Kampf gegen den Kommabacillus aufnehmen könnten, indem sie die Nitrite sofort wieder in Nitrate umbildeten? Das sind Hoffnungen, welche die Brust des Forschers schwellen lassen und ihn zu weiterer Thätigkeit anspornen. Die eine oder andere von ihnen wird sich trügerisch erweisen, aber es hat den Anschein, daß wir am Vorabend eines großen Fortschritts stehen. Hoffen wir, daß der deutschen Wissenschaft, welche den Erreger der Cholera entdeckt, welche Mittel und Wege zur Verhütung der Seuche gewiesen hat, auch der Ruhm zufallen möge, das Werk zu krönen und ein sicheres Heilmittel gegen den Würgengel Cholera zu finden! C. Falkenhorst. 


  1. Das Ammoniak ist aus 1 Atom Stickstoff und 3 Atomen Wasserstoff zusammengesetzt; seine chemische Formel ist darum NH3.

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Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
III.
Die Weiße Stadt.

Welche Wunderwerke des erfinderischen Menschengeistes, welche unermeßlichen, den Ländern und Meeren dieser Erde entnommene Reichthümer die Kolumbische Weltausstellung auch umschließen mag, so liegt ihr Hauptreiz doch in ihrer äußeren Erscheinung selbst. Nie wird man müde, durch die breiten Straßen und Avenuen dieser Märchenstadt zu wandern, deren Paläste, Kuppeln und Thürme sich mit jedem Schritte zu immer neuen entzückenden Ansichten verschieben.

Zwei Eigenschaften sind es, welche der Kolumbischen Weltausstellung einen besonderen Eindruck sichern. In erster Linie ist es die Einheit der Gesamtwirkung. Trotz des Reichthums und der Mannigfaltigkeit der Ideen, die in der Architektonik der einzelnen Bauten frei und ungehindert sich entfalteten, ist das Ganze doch von einer Harmonie, als habe ein einziger Meister es ersonnen. Und doch hat eine ganze Reihe von Architekten beim Entwurf und bei der Leitung mitgewirkt.

Der zweite hervorragende Zug der „Weißen Stadt“ ist das Fehlen alles Jahrmarktsmäßigen. Bei allem Glanz, der auf früheren Weltausstellungen entfaltet wurde, kam man nie über das Bewußtsein hinweg, daß die zumeist aus Holz, Glas und Eisen erbauten, luftigen Ausstellungshallen nur Augenblicksbauten seien, mit der Bestimmung, nach Beendigung der Ausstellung weggerissen zu werden. Die „Weiße Stadt“ hingegen erweckt in dem Beschauer den Eindruck, als sei sie für alle Ewigkeit aufgeführt, um als ein Denkmal für die 400jährige Jubelfeier der Entdeckung Amerikas fort und fort zu bestehen, und nur ungern denkt man an die Thatsache, daß diese ganze Stadt noch im Laufe dieses selbigen Jahres wieder vom Erdboden verschwinden und nichts als die Erinnerung an sie übrig bleiben soll.

Doch lassen wir uns durch solche Gedanken den Genuß an dem heute noch Bestehenden nicht verkümmern und sehen wir uns die „Weiße Stadt“ etwas genauer an! Welchen Weg, welches Verkehrsmittel sollen wir wählen, um hin zu gelangen? Wohnen wir zu weit, um den Weg zu Fuß zurückzulegen, so bleibt uns die Wahl zwischen Wagen, Kabel-Car, Hochbahn, Eisenbahn oder Dampfer. Vertrauen wir uns dem letzteren an, denn das Wetter ist schön und der Michigansee – zeitweise ein so wilder stürmischer Geselle – liegt spiegelglatt zu unseren Füßen und wirft nur leichte, langgezogene, den Falten eines Seidengewandes vergleichbare Wellen ans Ufer. In etwa vierzig Minuten bringt uns der Dampfer aus dem Herzen der geschäftigen Großstadt bis zum Ausstellungsplatz. Von fernher sehen wir schon die glitzernden Dome und Thürme über die blauen Fluten schimmern, und je näher wir kommen, desto mehr lösen sich die Umrisse der einzelnen Gebäude voneinander. Das, was uns früher als eine aufsteigende Wolke am fernen Horizont erschien, schwillt zu einem mächtigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_507.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)