Seite:Die Gartenlaube (1893) 515.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Emma nickte. „Ich hab’ es mir gleich gedacht und werde mir morgen, oder noch heute, wenn Du es wünschest, einen neuen kaufen – auch einen neuen Mantel,“ setzte sie zögernd hinzu.

„Vorläufig genügt eine Pelerine,“ versetzte er mit honigsüßer Stimme und blickte auf den Mantel, „aber nicht von Plüsch.“

Sie nahm seinen Arm und sah liebevoll zu ihm auf. „Du wirst mich noch in vielem bilden müssen.“

Er lächelte geschmeichelt. Sie mag recht haben, dachte er; in Wörde fiel mir das nicht auf. Wie schade! Welche Gestalt! Wie lieb das Gesicht! – Soll ich einen Nebenweg einschlagen oder nicht? – –

Leisewitz hatte für die Seinen einige Zimmer in einem Gasthaus gemiethet. Das Haus gehörte zu dem Dutzend Miethskasernen, die den Schillerplatz einschlossen. Bei Tage war es innerhalb des ungeheuren Steinwalles verhältnißmäßig still; man konnte sich auf dem Hofe einer gewaltigen Festung glauben. Doch nachts wurde das Gefängniß festlich beleuchtet und lustig, denn in jedem Hause war unten oder oben eine Bier- oder Wein- oder Kaffeeschenke. Der Platz hieß Schillerplatz, weil das Hoftheater in der Nähe lag, und die vielen Wirthe hatten sich dort angesiedelt, auch weil das Theater in der Nähe lag. Im Herzen der Neustadt, mit großem Aufwand von Cement und Stuck erbaut, war dieses Häuserviertel nur ein Wohnort für Wohlhabende, also ein vornehmes Viertel.

Purzel, der mit dem Gepäck längst eingetroffen war, sprang den Ankommenden entgegen. „Im Hafen!“ sprach Leisewitz mit einem tiefen Athemzug.

Hagemann blieb stehen und blickte umher. Auf ihn machte der Platz einen günstigen Eindruck. Er hielt seinen Hut fest und sah am höchsten Hause empor. „Sechs Stock hoch!“

„Ja“ sagte Purzel, „mich wundert’s, daß bei der heutigen Frische das Dach nicht angeschneit ist.“

„Siegfried!“ rief Hagemann erfreut und zeigte auf ein Schild mit der Aufschrift „C. W. Schreihubers Kaffeehaus“ – „C. W. Schreihuber ist einer meiner ältesten Kunden.“

Die bestellten Zimmer waren nach der übereinstimmenden Meinung des Wirthes und seines Tapezierers prachtvoll eingerichtet. In der Empfangsstube waren die Möbelbezüge von rother Seide bei blauen Tapeten. Den Hut auf dem Kopf und noch die Reisetasche in der Hand, musterte Hagemann die Zimmer und nickte befriedigt. Seine Tochter trat an ein Fenster. Wie daheim hatte sie auch hier ein Gasthaus gegenüber, doch kein alterthümliches Giebelhaus wie die „Sonne“, sondern einen rechteckigen Neubau mit dichtgereihten Fenstern, mit Söllern, auf denen ein Wohlbeleibter niemals, ein Magerer auch nur unter sehr günstigen Verhältnissen stehen konnte; es war der „Artushof“, der den größten Saal der Stadt enthielt, ein denkwürdiges Haus für alle Freunde von Musik und Tanz, denkwürdig dereinst auch für die schöne Emma.

„Hungern und dursten werden wir, scheint’s, auf dem Schillerplatz nicht“ meinte Hagemann, der jetzt auch einen Blick aus dem Fenster warf. „Du hast es gut gemacht, Siegfried. Die Wohnung ist theuer, aber anständig.“

„Fünfzig Schritte von meiner Wohnung.“

„Desto besser! Und jetzt, Kinder, wo essen wir?“

Auf diese Frage war Leisewitz vorbereitet. Morgen sei Begrüßungsmahl in seinem Daheim, für heute empfehle er die feine Speisewirthschaft im Hause, mit ausgezeichneter italienischer Küche.

„Die italienische Küche ist mir nicht so bekannt wie die französische,“ sagte Hagemann, „aber eben darum laßt uns sofort hinunter gehen!“

Emma bat, vorher das Theater sehen zu dürfen, wurde jedoch vom Vater ausgelacht, von Siegfried vertröstet. „Wir bleiben ein Stündchen bei Tisch, dann ist es zu den Einkäufen immer noch hell genug und dabei können wir ja am Theater vorüberfahren.“

„Na, und wie steht’s mit Deinem Hauskauf?“ begann jetzt Hagemann.

„Lieber Papa, ich dachte: abwarten! Falls es Krieg giebt, bekomm’ ich das Haus um die Hälfte.“

„Siehst Du, Junge, das gefällt mir! Wir wollen deshalb nicht wünschen, daß Krieg kommt, um Gotteswillen nicht! Aber daß Du warten, rechnen, kalkulieren kannst, das gefällt mir!“

Leisewitz sah brütend vor sich nieder. „Weiß nicht, ob ich Dein Lob verdiene. Ist es klug, an Kriegsfall sich zu binden? Und wer weiß den Ausgang! Könnte das Haus nicht auch für die Hälfte zu theuer sein?“ Er schüttelte den Kopf. „Ueber das und anderes wollen wir mit Muße reden!“

„Ja, nur erst die Beine unter einen ordentlich besetzten Tisch. Auch von der Prinzessin mußt Du uns dann Genaueres erzähten. Wie geht’s ihr? Wie stehst Du mit ihr? Hast uns nie davon geschrieben!“

„Recht gut – das heißt – was liegt daran! Am Donnerstag singe ich den ‚Tannhäuser‘, da sollt Ihr sehen, was die Stadt von mir hält.“

„Erst am Donnerstag?“ klagte Emma.

„Sei doch froh! So kann ich mich heute und morgen ganz Euch widmen!“

Hagemann, die Hände auf dem Rücken, ging auf und ab. „Der Italiener kocht alles mit Oel. Es hat manches für sich. Die Frage ist nur, werden wir Maccaroni oder Risotto essen? Am Ende beides.“

Man begab sich in den ersten Stock, wo die Wirthsräume lagen, und erhielt ein kleines Zimmer für sich. Die Küche war in der That eine echt itatienische. Glücklicherweise kam Hagemann mit tüchtigem Hunger zu den neuen Gerichten; er aß daher mit Behagen und lobte mit Ueberzeugung. Der Valpolicellawein, den Leisewitz weislich mit Wasser mischte, wurde von Hagemann anfangs unterschätzt; bald spürte er aber seine Wirkung, er wurde warm, ausgelassen, kurz, er unterhielt sich königlich, obwohl Siegfried und Emma um keinen Grad unterhaltender waren als andere verlobte und verliebte Paare.

Eben hatten ihm die Brautleute noch ein halbes Stündchen und eine halbe Flasche zugegeben, und er lehnte sich, mit Gott und der Welt zufrieden, im Stuhl zurück. „Daß Du berühmt bist, Siegfried, läßt sich nicht leugnen. Aber auch ich habe hier mehr Kunden als ich dachte. Beim letzten Aufenthalt las ich die Liste meines Geschäftsführers durch ... erstaunlich! Ich werde sie der Reihe nach besuchen und dann“ – er hob die Stimme – „wenn das Geschäftliche erledigt ist, zu Weihnachten oder Neujahr machen wir Hochzeit!“

Die Glücklichen wollten ihm um den Hals fallen, da wurde stark an die Thür geklopft. Der Störenfried war Purzel. Der Herr Kammersänger, lasse der Hoffourier der Prinzessin sagen, werde in Solitude erwartet; der Hofwagen halte vor seiner Wohnung.

Mit einem Blick auf Emma verweigerte Leisewitz rundweg den Gehorsam. Allein – sein künftiger Schwiegervater war damit nicht einverstanden. In seiner rosigen Laune sah er die Prinzessin von einem Strahlenkranz umgeben. Alle Achtung vor Männerstolz an Königsthronen, doch der liebenswürdigen leidenden hohen Frau gegenüber zieme sich Ritterlichkeit!

„Sie leidet an Launen,“ sagte der Sänger ärgerlich.

Purzel zog die Brauen hoch. „Der Fall sei wichtig, meint der Herr Hoffourier.“

Da fielen dem Sänger die Andeutungen des Intendanten ein – die Ueberraschung, der hohe Orden! Er stand auf und sagte, nicht ohne Verlegenheit, doch schon fest entschlossen, dem Rufe zu folgen: „Lieber Papa Hagenann, Du hast ja recht – ich verdanke dem fürstlichen Hause manches, und man beabsichtigt zudem, mir einen neuen Beweis der Hochachtung, ich darf sagen, Verehrung zu geben, die mir der Fürst und die Seinen zollen.“

„Sie schenken Dir ein Haus!“ rief Hagemann.

„Nein, so materiell sind die hohen Ueberraschungen nicht, indes – mein Gott ich kann nichts Bestimmtes sagen, denn da ich selbst überrascht werden soll –“ Er blickte auf seine Braut.

Diese sagte mit ruhiger Güte: „Geh!“

Und er ging, nicht mit blutendem Herzen, sondern in freudiger Aufregung. Es war ja keine Reise, sondern eine Spazierfahrt; eine Trennung auf Stunden, für die sie obendrein glänzend entschädigt werden sollte!

Als Vater und Tochter sich allein gegenüber saßen, er nicht im geringsten empfindlich über Siegfrieds Weggang, sie still in sich versunken, begann jener: „Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir an Siegfried noch große Freude erleben. Aus dem wird etwas!“

„Ist er nicht schon berühmt genug? Was kann er mehr werden als ein großer Künstler? Ich wünsche fast, er wäre weniger berühmt.“

„Aber, Du liebe Einfalt, Dein Bräutigam wird zu Gott weiß welchen Ehren und Auszeichnungen abgeholt, in einem Hofwagen abgeholt, und Du grämst Dich darüber!“

Am ersten Abend!“ sagte sie leise.

(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_515.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2022)