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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Stillvergnügt. (Mit Abbildung.) An das hübsche Bildchen, welches uns in der anspruchslosen Gestalt des holländischen Mädchens ein so liebenswürdiges Stück Wirklichkeit schildert, knüpft sich eine kleine Geschichte, die wir den Maler selbst erzählen lassen. „Während ich,“ berichtet er, „in Zandvoort bei Haarlem einen alten Schiffer, der mir seines Kopfes wegen gefiel, in Oel abkonterfeite, sammelte sich viel neugieriges junges Volk um mich herum. Die holländische Jugend hat viel Natursinn, was mir wiederholt aufgefallen ist; man braucht nur einige Striche flüchtig hingeworfen zu haben, so wird sofort laut philosophiert: ‚Aha, das soll unser Dorf, das soll das Meer, das soll der alte Peter sein![‘] und es wird ein kritischer Vergleich zwischen Kunst und Natur angestellt. Ebenso ist die holländische Jugend gleich erbötig, dem Maler Modell zu sitzen, sich „scheldern“ (schildern, malen) zu lassen; man hat es leicht, sich aus einer Reihe fröhlicher Gesichter das passendste zu wählen. Das ‚Zandvoortje meisje‘, ‚das Mädchen aus Zandvoort‘, war auf die Frage, ob sie auch ‚gescheldert‘ sein möchte, sofort bereit.

Am anderen Morgen war sie pünktlich an einer bestimmten Stelle in den Dünen, wo das Dorf im Hintergrund einen willkommenen Abschluß für das Bild geben mußte. So, wie sie sich dort selbst hingestellt hat mit dem großen braunen Strumpf in der Hand, der für den Vater bestimmt war, ist sie von mir gemalt worden. Die Kleine war eine ganz besondere Plaudertasche, auf jede Frage wußte sie lebhaft ihre Antwort zu geben. Hübsch war es, als ich ihr zum Lohn einige Geldstücke in die Hand legte und sie, verstohlen darauf niedersehend, überrascht ausrief: [‚]O, soviel Geld!‘ Sie brachte es ihrer Mutter und bat mich nachher, ob ich dieser das Bild nicht auch zeigen möchte. Natürlich ging ich bereitwillig mit dem kleinen Original und seiner Kopie zu der Fischersfrau, welche sich nicht genug verwundern konnte über das Porträt ihres Töchterleins. Ein Bild an der Wand machte mich stutzig: ein Ostade! Leider war es nur eine gute Kopie[.]

Die Kleine zeigte sich von da an während meines ganzen Aufenthalts in Zandvoort außerordentlich anhänglich und aufmerksam, und als ich endlich Abschied nahm, da bedauerte sie lebhaft, daß ich nun fort müsse, und gar so weit – bis München. [‚]Ist das noch weiter als Haarlem?‘ hat sie gefragt! – Es war ein echtes Kind der Natur.“

Stillvergnügt.
Nach einem Gemälde von J. Müller-Maßdorf.

Das heißeste Bad der Welt. Während die Sommerfrischen eine Erfindung der Neuzeit, eine Folge der Ansammlung von Menschen in Großstädten sind, müssen wir die Bäder unter die ältesten hygieinischen und medizinischen Einrichtungen der Völker rechnen. Kein Wunder! Mineral- oder heiße Quellen fordern ja den Menschen förmlich heraus, die Wirkung ihres eigenartigen Wassers auf den Körper zu versuchen! So finden wir in allen Erdtheilen und bei allen, selbst bei den „wildesten“ Völkern an heißen und warmen Quellen Bäder, die zu Heilzwecken errichtet sind. Selbst in dem dunkelsten Afrika, an Orten wie Kibiro oder Mtagata, kann der Entdeckungsreisende mit Staunen eine Art mehr oder weniger fashionablen Badelebens beobachten, bei welchem auch eine ohrenzerreißende afrikanische Bademusik nicht fehlt.

Kein Volk der Erde aber badet so heiß wie die Japaner. Auf dem letzten Kongreß für Innere Medizin hat Professor Bälz, der nahe an 20 Jahre als Professor der Medizin an der Universität Tokio gewirkt hat, merkwürdige Aufschlüsse über diese Art des Badens gegeben, aus welchen hervorgeht, daß man dort gewöhnlich 40° bis 45° C. heiß badet und daß den daran gewöhnten Japanern diese Prozedur nicht schadet.

Japan, ein an Erdbeben und Vulkanen reiches Land, besitzt auch viele heiße Quellen. Zu den berühmtesten zählt diejenige von Kusatsu, die hoch im Gebirge entspringt und um die das größte japanische Schwefelbad entstanden ist. Die heißeste dieser Quellen liefert Wasser von 70° C. Hitze und darüber, und sie gilt weit und breit als die heilkräftigste. Aus dieser Quelle werden nach Angaben von Bälz Bäder von +54° C. bereitet, in denen man nur 5 Minuten verweilt und die sich gegen den sonst unheilbaren Aussatz heilkräftig erweisen sollen.

Ottfried Nippold, der jahrelang in Japan gelebt hat, giebt in seinen soeben erschienenen „Wanderungen durch Japan“ (Fr. Maukes Verlag, Jena 1893) eine anschauliche Schilderung der Qual, die man in dem heißen Badebassin von Kusatsu zu erdulden hat. Die Badenden nähern sich dem Rande des Beckens, kauern dort nieder und beginnen, sich den Kopf mit heißem Wasser zu begießen. Einige der Badenden wickeln etwas Linnen um besonders empfindliche Stellen des Körpers, um die Haut wenigstens einigermaßen zu schützen. Jetzt naht der Augenblick, wo in das heiße Element gestiegen werden soll. Vielen fehlt der Muth dazu. Es sind im ganzen vielleicht 50 Personen versammelt, von denen die meisten die Sache sicherlich schon mehrmals mitgemacht haben. Trotzdem fällt ihnen der Entschluß jedesmal schwer. Um ihnen denselben zu erleichtern, geschieht das Baden, das Hinein- und Heraussteigen nach dem Kommando eines Bademeisters. Jetzt giebt derselbe das Zeichen zum Einsteigen. Die armen Opfer beantworten dasselbe im Chorus und machen sich an das saure Geschäft. Sie gehen dabei äußerst langsam und behutsam vor, um das heiße Wasser ja nicht mehr als durchaus nöthig, zu bewegen, da es sonst noch mehr brennt. Zoll für Zoll verschwinden die Körper. Endlich sind sie bis an den Hals im Wasser, auch einige Nachzügler sind bis dahin angelangt. Regungslos bleiben sie alle kauern, kaum daß einer mit den Augen zwinkert. Um die Zeit etwas zu vertreiben, verkündet der Bademeister jedesmal, wenn eine Minute vorbei ist. Trotzdem scheint es den Badenden eine Ewigkeit zu dauern. Im Chor wiederholt jedesmal die ganze Schar die Worte des Bademeisters, der übrigens auch mit im Wasser sitzt, augenscheinlich, um zu beweisen, daß dasselbe nichts schadet. „Noch zwei Minuten!“ ruft er, und „noch zwei Minuten!“ wiederholt der ganze Chor. „Noch eine Minute!“ ertönt es von beiden Seiten und diesmal schon bedeutend freudiger. Und jetzt erfolgt das Zeichen, daß die Zeit um ist. Mit einer Hast, die nach der vorherigen Langsamkeit doppelt auffallen muß, entflieht die ganze Gesellschaft der heißen Flüssigkeit. Alle athmen freudig auf, daß die Sache wieder einmal überstanden ist; bis zum folgenden Tage haben sie jetzt wieder Ruhe.

Das Wasser von Kusatsu ist schwefel- und arsenhaltig; seine Wirkung ist äußerst energisch und es greift die Haut an. Bei den Badenden, die länger zur Kur weilen, bilden sich am ganzen Körper Geschwüre, die noch lange an die ausgestandenen Qualen erinnern und eine Nachkur im vollsten Sinne des Wortes erheischen. *

Vom Wermuth. Der gemeine Wermuth (Artemisia Absinthium) enthält in seinen Blättern und Blüthen einen Bitterstoff und ein ätherisches Oel, die schon seit alten Zeiten durch ihre heilkräftigen Eigenschaften bekannt sind. In der Medizin werden ein Extrakt und eine Tinktur derselben als magenstärkendes und wurmwidriges Mittel verwerthet, und auch die Likörfabrikanten haben sich der Pflanze frühzeitig bemächtigt. Was aber in mäßigen Gaben und in bestimmten Fällen heilkräftig wirkt, erweist sich, im Uebermaß und am unrechten Orte genossen, oft als Gift. So verhält es sich auch mit dem Wermuth. Die Franzosen bereiten aus dem Wermuth ihren berüchtigten Absinthschnaps, der den Körper noch rascher als der reine Branntwein zerrüttet. Diese schädlichen Folgen des Absinthtrinkens hat man ursprünglich und mit Recht dem Wermuth zugeschrieben. Wohl sahen sich in neuerer Zeit einige Aerzte veranlaßt, dieselben auf andere Gewürze wie Anis, Koriander u. s. w., die gleichfalls zur Bereitung des Absinthschnapses benutzt werden, abzuwälzen aber die neuen Versuche, welche der französische Arzt Laborde im Auftrag der Akademie der Medizin anstellte, ergaben, daß in der That das Wermuthbitter als der schädliche Stoff zu betrachten sei, indem es epileptische Zufälle und Schwächung des Rückenmarks und des Gehirns verursacht. Schon 20 Centigramm der Absinthessenz riefen bei einem 12 Kilogramm schweren Hunde Vergiftungserscheinungen hervor, und es war dem Versuchenden leicht, mit geringen Gaben bei Kaninchen epileptische Anfälle zu erregen. – Wenn auch die Unsitte des Absinthtrinkens in Deutschland glücklicherweise nicht bekannt ist, so breitet sich dennoch in den Städten der Genuß der Wermuthweine nach südlichem Vorbilde aus. Es dürfte somit in unserem sowieso mit Nervenleiden behafteten Zeitalter am Platze sein, die Wermuthtrinker auf die Gefahren eines häufigen und übermäßigen Genusses dieser „magenstärkenden“ Getränke aufmerksam zu machen. *

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_580.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2019)