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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)



Blätter und Blüthen.


In der Garnfärberei. (Zu dem Bilde S. 593.) Wir befinden uns in den vom Dampf der Farbenbrühe erfüllten Räumen einer Garnfärberei, durch deren Fenster die Sonne freundlich hereinscheint. Große, aus Holz gezimmerte Bütten dienen zur Aufnahme der heißen Farbstofflösungen oder Beizen, durch deren Einwirkung auf die Strähne deren Farben hervorgebracht werden. Die Strähne sind auf hölzerne Stangen geschoben, mittels deren sie, eine neben der andern, in die Bütten getaucht werden. Im Vordergrund des Bildes sind zwei Färber im Begriff, diese Arbeit zu vollziehen. Ist’s der Meister oder der Altgeselle, der mit seinem jüngeren Gegenüber hantiert? Denn daß wir eine Färberei alten Schlages vor uns haben, ist beim ersten Blicke ersichtlich – ein Bild aus der Zeit, wo Indigo, Galläpfel, Eisenvitriol, Brasilienholz, Krapp, Waid, Cochenille und Orseille die Hauptrolle spielten. Da war der Färbermeister noch auf des Urgroßvaters Rezeptbuch angewiesen, das mit geheimnißvollen runenartigen Zeichen und lateinischen Wörtern gespickt war, das von ihm als ein Heiligthum verehrt und vor jedem fremden Blicke ängstlich gehütet wurde. Und wenn’s zur Messe ging nach Frankfurt mit dem ganzen Warenlager, oder auf die Reise zu den Kunden, stolz zu Roß, mit den Pistolen in der Satteltasche, dann färbte sich der Meister vorher die Hände in der irischen Indigoküpe tiefblau, um bei seinen Kunden einen Vertrauen erweckenden „zünftigen“ Eindruck zu machen; denn ohne dergleichen wäre des Meisters Solidität von der Kundschaft bedenklich angezweifelt worden.

In unseren Tagen hat sich die Sache gewaltig geändert; die Großindustrie hat sowohl von der Herstellung der Farben als auch von der Ausfärbung selbst den Löwenantheil an sich gerissen. Nachdem die Chemie ihre Aufmerksamkeit auf die Färberei gerichtet hatte, wurden zunächst die bis dahin gebräuchlichen Färbeverfahren wissenschaftlich erklärt und von den unwesentlichen Zuthaten befreit. Dann folgten die großartigen Fortschritte, die sich auf die Verwendung der Metallsalze und insbesondere der Chromverbindungen gründeten, sowie die Färbungen mit Pikrin, Alizarin und andern Chemikalien. Aber eine vollständige Umwälzung in der Färberei wurde durch die in den fünfziger Jahren erfolgte Entdeckung des kürzlich verstorbenen A. W. Hofmann eingeleitet, nach welcher aus dem bisher unbeachteten und lästigen Nebenprodukte der Gasfabriken, dem Steinkohlentheer, die glänzendsten Farbstoffe hergestellt wurden; es sind dies die Anilinfarben.

Eine unabsehbare Reihe der zartesten Farben und Farbentöne in allen Abstufungen wurde der Färberei in den Anilinfarben zur Verfügung gestellt, die heute, dank den Anstregungen der Chemiker, nicht nur giftfrei (ohne Arsenik), sondern auch luft- und lichtecht dargestellt werden, so daß allgemach die früher mit Recht erhobenen Einwände gegen die Anilinfarben verstummen. Wohl keine Erfindung hat mit so raschem Siegeslauf die Welt erobert, als die Anilinfarben es vermochten; und wenn der Wollzüchter in den entlegensten Theilen Australiens seine Herden zur Weide treibt, so kann man sicher sein, daß die Schafe mit Anilinfarbe gezeichnet sind.

Auch alle Hilfsmittel der neueren Technik haben sich die riesengroßen Farbenfabriken und Färbereien dienstbar gemacht. Die alten Holzbütten sind durch Bottiche aus solchen Metallen ersetzt, die dem Farbstoff gegenüber keine schädliche Wirkung ausüben. Das Vorwaschen, Eintauchen, Beizen, Anwärmen, Auswaschen und Trocknen geschieht alles mit großen Maschinen, mit Dampf, mit Schleudermaschinen und dergleichen Hilfsmitteln. Nur noch in kleineren Betrieben von mehr örtlicher Bedeutung hat sich das alte Verfahren erhalten, allerdings stark beeinflußt von den Fortschritten der neueren Technik.

Es wird das Bestreben der Färber sein müssen, sich die Errungenschaften der Farbenchemie und der Färbereitechnik anzueignen, damit sie sich – die auch im kleinen vollkommen lelstungsfähig sind – ihr ferneres Bestehen sichern. Dann mag die Sonne fröhlich weiter in ihre regsame Werkstatt scheinen! H.     

Hat er Talent? (Zu dem Bilde S. 585.) Hat er Talent ... oder gehört er zu jenen Unglücklichen, welche durch falschen Trieb und allzu eifrige Familienbewunderung auf den Irrweg der Kunst verlockt werden, um dann statt der geträumten glänzenden Laufbahn Noth und Bitterkeit einer verfehlteu Existenz zu finden? Wir wollen das nicht hoffen. Zwar die Mutter im Trauerkleid, deren leidgewohnte Züge die Spuren früherer Schönheit zeigen sie wird nicht unparteiischer als andere Witwen über ihren „Einzigen“ urtheilen. Aber sie sieht aus wie eine verständige Frau, und deshalb hängen ihre Augen voll Spannung an dem Gesicht des Meisters, der mit gewissenhafter Sorgfalt die vorgelegten Blätter prüft. Sein bescheidenes Atelier vermöchte sie wohl zu belehren, wie es mit dem durch Kunst zu erwerbenden Reichthum oft genug aussieht, aber soweit denkt sie nicht, für sie handelt es sich jetzt einzig darum, ob ihr geliebter August seinen Herzenswunsch verwirklichen, ob sie sorgen und entbehren darf, um dies möglich zu machen? Sehr künstlerisch veranlagt sieht er allerdings nicht aus, der frische Junge mit den der Mutter so ähnlichen Zügen, wie er in bescheidenem Selbstgefühl die Wirkung seines jüngsten und besten Werkes, das die gesamte Hausgenossenschaft hoch bewundert hat, auf den Künstler erwartet. Es ist die Kopie nach einem Kupferstich, etwas Hervorragendes, wie August im stillen denkt – aber der sie in der Hand hält, bleibt lange, lange still. Endlich richtet er den Kopf in die Höhe und sagt: „Mein lieber Junge, das ist alles brav und ordentlich gemacht. Aber zur Kunst, zur wirklichen und echten, gehört noch weit mehr. Da darf einer nicht erst fragen: habe ich Talent? Da muß er gewiß wissen, daß er gar nicht anders könne, als fortwährend zeichnen, den ganzen Tag, und daß er steinunglücklich wäre, wenn er’s nicht dürfte. Und was er macht, muß anders aussehen als Dein zahmer Jüngling hier, selbst wenn es viel weniger geschickt aufgefaßt wäre. Du hast Talent, mein Junge – zum Sonntagsnachmittags-Zeichnen. Dabei bleibe, und im übrigen ergreife einen Beruf, der Dich ernährt und die Sorgen Deiner Mutter vermindert, statt sie ins Ungemessene zu vermehren! Viel besser ein einfacher Handwerker als ein mißrathener Künstler. Das sagt Dir einer, der schon viele am Talent-Wahn hinsiechen und zuletzt traurig untergehen sah.“ Ob wohl Mutter und Sohn diesen bitter klingenden, aber guten Rath beherzigen werden? Bn.     


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

K. P. in Berlin. Das System Mayrhofer für Normaluhren besteht darin, daß verschiedene räumlich von einander getrennte Uhren mit selbständigen Gehwerken auf elektrischem Wege von einem Mittelpunkt aus in kurzen Zwischenräumen in ihrem Gange selbstthätig kontroliert und richtig gestellt werden, so daß dieselben stets die richtige Zeit mit Abweichungen von höchstens einer halben Minute angeben. Derartige Normaluhren sind in Berlin und anderen größeren Städten mit mehreren Bahnhöfen aufgestellt und, namentlich wenn die Bahnuhren mit einbezogen werden, von hervorragender Wichtigkeit.

E. S. in Trebbin. Wir bedauern, von Ihrem Manuskript keinen Gebrauch machen zu können.


Inhalt: „Um meinetwillen!“ Novelle von Marie Bernhard (2. Fortsetzung). S. 581. – Seerosen. Bild. S. 581. – Hat er Talent? Bild. S. 585. – Hut und Halsbinde. Von Dr. J. Herm. Baas. S. 586. – Runen. Gedicht von Richard Zoozmann. Mit Bild. S. 589. – „Wenn du noch eine Heimath hast ...“. Eine Erinnerung von P. K. Rosegger. S. 589. – Paolo Saviello. Novellette von Wilhelm Berger. S. 591. – In der Garnfärberei. Bild. S. 593. – Blätter und Blüthen: In der Garnfärberei. S. 596. (Zu dem Bilde S. 593.) – Hat er Talent? S. 596. (Zu dem Bilde S. 585.) – Kleiner Briefkasten. S. 596.



Soeben ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:
Gartenlaube-Kalender.
für das Jahr 1894.
Neunter Jahrgang. Mit zahlreichen Illustrationen.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

In neuem, dem modernen Geschmack Rechnung tragenden Gewande erscheint diesmal der „Gartenlaube-Kalender“ und weist wiederum eine Fülle vortrefflicher Beiträge in Wort und Bild auf. Derselbe bringt u. a. die neueste Erzählung von W. Heimburg: „Das Raupenhäuschen“ mit Illustrationen von W. Claudius, eine reizende illustrierte Humoreske von Hans Arnold: „Der Waschtag“, unterhaltende und belehrende Beiträge von Hermann Weger, H. Ferschke, Dr. A. Kühner u. a., ferner zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern, Humoristisches in Wort und Bild und viele praktische und wertvolle Kalender-Notizen und Tabellen zum Nachschlagen bei Fragen des täglichen Lebens.

Bestellungen auf den Gartenlaube–Kalender 1894 nimmt die Buchhandlung entgegen, welche die „Gartenlaube“ liefert. Post-Abonnenten können den Kalender durch jede Buchhandlung beziehen oder gegen Einsendung von 1 Mark und 20 Pf. (für Porto) in Briefmarken direkt franko von der Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_596.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)