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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

für sie – da steckt das Geheimniß! Meiner Ansicht nach wäre der Lehrerinnenberuf das Beste für sie – red’ Du ihr nur auch noch tüchtig zu!“

„Ich?“

„Du, gewiß! Du machst ein Gesicht, als hätt’ ich Dir gerathen, sie umzubringen. Ist denn ein Beruf wie der meine etwa eine Herabwürdigung für irgend einen Menschen, sei er, wer er wolle?“

„Aber, alter Kerl, sei doch nicht so empfindlich! Wer spricht denn davon? Es ist ja nett von Dir, Dich so um die Zukunft des Mädchens zu kümmern, aber –“

„Aber – was: aber? Willst Du sie vielleicht heirathen?“

„Ich?“

„Schon wieder dies Gesicht des blassen Schreckens! Ist denn das so unerhört? Könntest Du nicht eine Frau ganz gut ernähren?“

„Ernähren schon! Ob aber auch ganz gut kleiden –“

„Ach, hör’ mit den schlechten Witzen auf! Wenn Du keinen Mann für sie weißt, dann bleibt doch schließlich wieder bloß die Hoffnung mit den Lilien des Feldes –“

„Ganz recht!“

„Und das scheint mir eine heillos unsichere Karte zu sein – sieh da, ich glaube, es rückt eine Deputation gegen uns vor!“


8.

Wirklich kamen zwei kleine Mädchen und Claassens ältester Junge Kurt als Abgesandte der übrigen Gesellschaft: es sollten Pfänderspiele vorgenommen werden, ob die Herren nicht mit dabei sein wollten. „Nämlich, Papa hat sonst immer mitgespielt,“ erklärte Kurt dem Onkel, für den er sofort eine große Freundschaft gefaßt hatte, „und jetzt sagt Annaliese, wir müßten uns abkühlen, denn beim Thalerwandern haben wir uns natürlich alle ganz furchtbar gebalgt. Prachtvoll ist das gewesen, Onkel – denk’ Dir bloß, Annaliese kannte kein einziges Spiel, alles mußten wir ihr zeigen!“

„Habt Ihr sie lieb?“

„Die? Aber ja! Am liebsten von allen! Du kennst sie doch, Onkel Paul? Du hast sie doch selbst lieb?“

Onkel Paul nickte und strich dem harmlosen Fragesteller über das kurzgeschorene harte Blondhaar. Dann folgte er mit seinem Freund den Kindern ins Wohnzimmer, wohin sich die Gesellschaft zurückgezogen hatte.

„Jetzt giebt sich jedes einen Blumennamen –“

„Nein – Gott, es sind doch Herren dabei! Die können doch keine Blumen sein!“

„Also Küchengeräthschaften –“

„Nein, Speisen! Allerlei zu essen!“

Der Streit war in vollem Gang. Und währenddessen fand Gregory Zeit, Annaliese von Guttenberg endlich regelrecht zu begrüßen. Sie standen ein wenig abseits von den anderen, und der Professor schüttelte warm die schmale Hand, die sich ihm hastig entzog.

„Also doch böse?“ fragte er leise.

Sie schüttelte mit gesenkten Wimpern den Kopf. „Nein, böse nicht!“

„Also was sonst? Warum sehen Sie mich nicht an?“

Einen Augenblick schaute sie in das männliche treuherzige Gesicht mit den zärtlich bittenden Augen; sie war ärgerlich auf sich selbst, aber ableugnen konnte sie sich’s nicht: sie fühlte sich verlegen.

„Ich habe Ihnen so viel zu sagen.“

„Und ich Ihnen.“

„Aber jetzt wird das schwerlich gehen.“

„Doch, doch, es muß! Kinder, fangt ohne uns beide an, Herr Professor soll mir etwas von zuhause erzählen!“

Das gab einen großen Sturm der Entrüstung. Ohne Annaliese ginge es nicht – und sie wollten dann lieber warten, und eines von den jungen Mädchen erklärte trotzig, dann spiele sie auch nicht mit. Sie alle umringten Annaliese, und wenn diese gleich in der ersten halben Stunde ihrem Gevatter einen Beweis ihrer Beliebtheit hätte geben wollen, so würde sie das nicht günstiger haben treffen können. Kleine derbe Händchen klammerten sich an ihr Kleid, zärtliche Arme umschlangen ihre Taille, bittende Gesichter wandten sich zu ihr empor – sie wurde geküßt, gedrückt, gestreichelt und gequält – und über die hellen und dunklen Kinderköpfe weg flog ein halb lachender, halb gerührter Blick zu Gregory hinüber, der ihm deutlich sagte: sieh, hier hast Du nun ein Beispiel! Diese Kinder, all diese unschuldigen kleinen Herzen, lieben mich „um meinetwillen!“

Es half den beiden nichts, sie mußten sich zu dem Kreise gesellen und Pfänderspiele spielen. Zwar setzten sie sich nebeneinander, aber es dauerte keine Minute, so waren sie geschieden, und das bewegte Spiel wirbelte sie gleich losen Blättern hierhin und dorthin. Annaliese war ganz Kind mit den Kindern. Wie herzlich konnte sie lachen, wenn ein drolliges Mißverständniß vorkam, wie sich ängstigen, wenn eines den richtigen Platz nicht fand, wie triumphieren, sobald die Kinder durch eine treffende Antwort ihren Scharfsinn bewiesen! Während der Professor den Blick nicht von ihr ließ und sich an dieser jugendlichen Frische erbaute, war auch sie mit ihrem Freunde zufrieden. Er hatte weder etwas Ironisches noch Ueberlegenes heute – ungezwungen und verguügt schwamm er im Strom der Lustbarkeit mit, erkundigte sich mit Eifer nach den Regeln des Spieles und ließ sich gutmüthig auslachen, wenn er irgend eine Dummheit machte. Die jungen Mädchen, Aunaliesens Pensionsgefährtinnen, fanden ihn „reizend“ und erkundigten sich angelegentlich, ob er lange hier bleibe – er war zwar schon ein bißchen alt, aber eigentlich schwärmten sie insgesamt für reife Männer und behandelten „ungeschickte Jungen“ von achtzehn bis vierundzwanzig Jahren mit Verachtung, Der Professor sprach auch so hübsch fremd, ähnlich wie Annaliese von Guttenberg, die ihr weibliches Ideal war; er sagte „Grüß’ Gott“ statt „Guten Tag“ – das klang so nett, und dann sah er recht gut aus und hatte so sprechende Augen; vor allem aber war er unverheirathet, und das war die Hauptsache. –

„Jetzt ist die rechte Stunde,“ sagte Gregory nach Tisch mit einem tiefen Aufathmen zu Annaliese, als die Kinder nach einem mehr oder weniger wortreichen Abschied gegangen waren und die übrigen Hausgenossen eine Gruppe für sich bildeten. So hatte der Hausherr selbst es haben wollen; er hatte bei Tisch seinen Gast ein bißchen ausgefragt, noch mehr ihn von seiner lieben Frau ausfragen lassen, er hatte ihm dies und das von sich selbst, seinem Beruf, seinem Familienleben erzählt – nun war die erste Wißbegier gestillt, das „Woher?“ und „Wohin?“ erörtert worden, nun mußte man doch endlich die beiden „Verwandten“ eine Weile allein lassen, damit sie Gelegenheit hatten, sich auszusprechen.

Die Hausfrau kramte geschäftig in den etwas wüst aussehenden Zimmern umher – Kindergesellschaften sind kein Spaß – der Oberlehrer spielte mit den drei jungen Mädchen in seinem Arbeitszimmer Karten, und in dem kleinen Eckstübchen Frau Melanies, einem gemüthlichen, nur durch eine rosig verschleierte Lampe erhellten Winkel, saßen die beiden „Verwandten“ einander gegenüber.

„Sagen Sie, erzählen Sie, bitte – wie geht’s Großmama? Was denkt sie, was sagt sie von mir?“

„Das will ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie sagt, aus Ihren Briefen sei nicht klug zu werden, sie behandelten Nebensächliches und verschwiegen das Wichtige. Ich habe daher die Aufgabe, Sie genau zu beobachten und über Sie Bericht abzustatten!“

Annaliese lachte hell auf. „Also mein Spion! Eine würdige Aufgabe für einen Professor der alten Sprachen! Und dazu geben Sie sich her?“

„Dazu gab ich mich her – ich kann ja meine eigenen dunklen Nebenwege dabei verfolgen! Hauptfrage der Großmama-Excellenz ist übrigens die: wie ist es mit den Empfehlungsbriefen bei den verschiedenen Offiziersfamilien geworden, an die man Sie gewiesen hat?“

„Sehr einfach, ich hab’ sie gar nicht abgegeben!“

„Wirklich nicht?“

„Was ist dabei Verwunderliches? Ich bitte Sie, hätt’ ich das gethan, so wäre mein ganzes Inkognito dahingewesen. Man hätte mich eingeladen, mir Besuche gemacht – all meine Beziehungen und Verhältnisse wären ans Tageslicht gekommen, und das will ich doch nicht. Es ist ohnehin schon schwer genug, einen solchen Plan, wie ich ihn mir in den Kopf gesetzt habe, durchzuführen.“

„Sehen Sie, ich prophezeite es Ihnen gleich, Sie würden auf Schwierigkeiten stoßen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_650.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2022)