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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

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Ein „psychologisches Museum“.

Seit mehreren Jahren ist auf die Anregung hin und unter der Leitung des italienischen Forschers Paolo Mantegazza, der ja auch in Deutschland durch seine zahlreichen Schriften in weiteren Kreisen bekannt geworden ist, in Florenz ein „psychologisches Museum“ in der Entstehung begriffen. Dasselbe soll, neben der reichen ethnographischen und anthropologischen Sammlung, welche die Stadt der Medicäer ebenfalls dem genannten Forscher verdankt, gleichsam eine methodisch geordnete Uebersicht über alle nur möglichen Zeugnisse der menschlichen Gefühle und Leidenschaften geben, und es bildet damit seinem Grundgedanken nach einen neuen Ausdruck des in unserer Zeit immer vielgestaltiger auftretenden Museums- und Sammlungseifers.

Fig. 1.   Fig. 2.   Fig. 3.   Fig. 4.

Mantegazza ging, als er vor einer Reihe von Jahren vor der Italienischen Anthropologischen Gesellschaft zum ersten Male den Gedanken einer derartigen Museumsgründung entwickelte, von dem gewiß ganz richtigen Grundsatz aus, daß die bisher bestehenden ethnographischen Sammlungen lediglich die geistige und kulturelle Entwicklung der einzelnen Völker ins Auge fassen und untereinander zur Vergleichung bringen, daß aber die verschiedenartigen Entwicklungslinien und Entwicklungsgrenzen der einzelnen Individuen selten

zu einer planmäßigen, augenfälligen Darstellung gelangen.

Fig. 5.

Es handelt sich, will man eine solche

erreichen, im wesentlichen darum, die menschlichen Bedürfnisse, Gewohnheiten, Gefühle und Leidenschaften und besonders die Ausartungen derselben durch Gegenstände zu beleuchten und außerdem durch Beispiele die verschiedenen „Suchten“ und „Manien“ zu belegen, zu denen eine einseitig gepflegte Liebhaberei oder auch die allgemeine Mode einzelne Individuen führen kann.

Eine solche übersichtliche Darlegung würde, wie leicht zu begreifen, eigentlich nur auf eine andere Anordnung der in den ethnographischen und anthropologischen Sammlungen niedergelegten Bestände hinauslaufen. Und in der That will Mantegazza eigentlich auch nichts anderes anempfehlen, als für bestimmte Gegenstände eine veränderte Art der Aufstellung. Jedoch schon die Methode bedeutet in der Wissenschaft viel, und sicher würden alle Gegenstände einer ethnographischen Sammlung, wenn sie zum Versuch einmal nach psychologischen Grundsätzen anstatt nach ethnologischen aufgestellt würden, ganz anders zu uns sprechen als vorher.

Fig. 6.

Man nehme beispielsweise an, ein Museum ginge davon ab, uns in einer besonderen Abtheilung alle auf die Einwohner Australiens bezüglichen Gegenstände zu zeigen, darunter auch alle die, welche ihre Art zu essen und zu schlafen veranschaulichen, es stellte uns vielmehr dar, wie die Art zu essen und zu schlafen sich bei den verschiedensten Völkern gestaltet, so würde damit unser Augenmerk sofort auf das aller menschlichen Entwicklung Gemeinsame hingelenkt werden. Und die Gegensätze zu diesem Gemeinsamen, die Ausartungen, müßten folgerichtigerweise ebenso nicht nur unter einem ethnologischen, sondern auch unter einem individuellen Gesichtspunkt betrachtet werden. Jedoch war es nicht etwa Mantegazzas Absicht, die Schätze seines ganzen reichen ethnographischen Museums einer solchen veränderten Anordnung zu unterziehen; er würdigt sehr wohl die Vortheile, welche die ältere Aufstellung hat. Nur meint er, daß das eine das andere nicht gänzlich ausschließe, und daß es viele Gegenstände gebe, welche sich in die üblichen Fächer nicht bequem einfügen lassen, sondern insofern über ihnen stehen, als sie Zeugniß von ganz allgemeinen, nicht die Völker, sondern nur die Individuen unterscheidenden Gebräuchen, Gewohnheiten, Gefühlen und Leidenschaften ablege. Jede allgemeine Aeußerung des menschlichen Fühlens und Denkens, die Liebe und der Haß, der Stolz, die Rachsucht, das religiöse Gefühl in seinen verschiedenen Ausartungen, die Eitelkeit, wie sie sich in den Ausschreitungen der Mode kund thut, die Grausamkeit, die z. B. in den mittelalterlichen Folterungen zu Tage tritt, die Sammelsucht und Sammelwuth etc., psychologische Erscheinungen, die überall in mehr oder weniger veränderter Gestalt zum Ausdruck kommen, müßten in dem idealen psychologischen Museum, wie es sich Mantegazza denkt, ihre besondere Darstellung finden.

Fig. 7.

Auf Einzelheiten eingehend, entwirft Mantegazza die Grundzüge eines solche Museums dahin, daß z. B. die Abtheilung für den Stolz die Abzeichen der Herrscherwürde, der Kasten und sozialen Unterschiede, die Orden etc., die Abtheilung für das religiöse Gefühl die Gegenstände der verschiedenen Kulte, die Götzenbilder, die Amulette etc., die Abtheilung für die Eitelkeit alle Mittel und Werkzeuge, um den menschlichen Körper zu verschönern, beziehungsweise zu entstellen, umfassen müßte. Der Stoff für diese einzelnen Abtheilungen würde sich natürlich schon reichlich hier und da aufgespeichert finden und es käme wirklich oft nur auf den richtigen, durchdachten Plan in der Aufstellung an, um auch in anderen Orten psychologische Museen von vielleicht größerem Umfang und größerer Bedeutung, als es vorläufig das Florentiner ist, erstehen zu lassen.

Fig. 8.

Dieses letztere, gänzlich die Schöpfung des Professors Mantegazza und eines freigebigen Privatmannes, des Kommendatore Borg de Balzan, steht noch sehr in den Anfängen; nur drei nicht allzugeräumige Zimmer sind in den schönen, einst einem fürstlichen Haushalt dienenden Räumen des anthropologischen Museums (hinter der Kirche Santissima Annunziata) zunächst dafür bereitgestellt und mit den nöthigen Schränken versehen wordeu, und diese Schränke sind erst zum geringsten Theile angefüllt. Aber diese Anfänge sind immerhin bedeutsam genug, um den Gedanken Mantegazzas klar hervortreten zu lassen und vielleicht auch an anderen Orten den Anstoß zu ähnliche, mit größeren Mitteln und reicherem Material zu unternehmenden Sammlungen zu geben. Wir finden unter anderem schon treffliche Ansätze zu einer nach den Berufsarten der Urheber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_656.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2023)