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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

abmühen, auch wenn ihnen dabei der beste Rahm obenab genommen wird. So ist es; nun, warum wolltet Ihr das nicht profitieren?“

„Was Ihr da sagt, Herr, klingt schön und gut,“ also warf ein andrer ein. „Aber es ist doch eine schwere Sache, seine Heimath zu verlassen. Wie sagt schon König David? ‚Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!‘ sagt er.“

„Er sagt aber nicht: ‚Bleibe in der Wetterau und warte, bis die Holzäpfel zu Pomeranzen werden.‘ Es ist auch nicht, wie jener Pfarrer meinte, als er predigte: ‚Was macht’s, daß bei uns keine Citronen, Limonen, Oliven, Zuckerstauden und spanischen Weine wachsen? Unsere schwere Sünden machen es!‘ – Nicht doch, Eure große Narrheit und Verzagtheit macht’s, daß Ihr unter der höchsten Pressur und Dürftigkeit, dazu in einem bösen, rauhen Klima, einander auf dem Halse hocket, hingegen viel hundert Meilen des edelsten, besten Landes in Spanien leer stehen lasset und dennoch über Gott klaget, er schaffe Euch nicht genug!“

„Ist halt zu befürchten,“ meinte ein Dritter, „daß da eine gar gemischte Gesellschaft zusammenläuft. Wir hier, sollte der eine oder andere zur Uebersiedelung Lust haben, wir kennen uns, sein alle brave Leut’ und rechtschaffen, und mag der eine dem andern trauen. Aber unter der Masse, die es da braucht, hat es vielleicht mehr üble Früchtlein als Biedermänner!“

„Glaubt das nicht! Solche Früchtlein, die nehmen wir nicht. Die mögen in den Krieg gehn“ – dabei deutete der Oberstlieutenant geringschätzig nach dem „Raben“ – „und sich totschlagen lassen. Denn, versteht sich ja von selbst, wer sich hier nicht tummeln mag, wo das Tummeln doch so nöthig, weil viele Dinge mangeln, was wird der erst drüben verrichten, wo ohnehin an allem Ueberfluß ist? Nein, Faulenzer, das habe ich schon gesagt, sind dort schon dicht genug gesät, es braucht der König keine neuen Setzlinge ins Land zu rufen!“

„Das ist mir alles halt doch gar zu schön,“ sagte kopfschüttelnd ein älterer Mann. „Ist wohl eher eine Chimäre, ein Schlaraffenland, ein Reich im Monde!“

Der Oberstlieutenant wollte zuerst aufbrausen, doch beherrschte er sich und sah den Sprecher schließlich mitleidig an.

„Freilich,“ entgegnete er, „es muß auch solche Vögel geben! Hast wohl noch nie eine Landkarte gesehen, Alter! Mußt zuerst den Finger in die Erde stecken, ehe Du glauben kannst. – Doch was nützen der Kuh Muskaten? Es dient ihr wohl Haberstroh!“

„Erwägt die Sache, Freunde,“ fuhr er fort, sich erhebend. „Geht ihr auf den Grund, überlegt sie Euch! Es ist Zeit für Rath, dann aber auch zur That. Gut vorbedacht, dann rasch vollbracht! Da sind meine Begleiter, meine Mitarbeiter der ersten Stunde, welche mit mir an Ort und Stelle gewesen sind; denn versteht sich, auch ich kaufe keine Katze im Sacke. Die haben sich bereits ein warmes Nestchen reserviert; fragt sie, ob sie mit dem größten Bauer hier tauschen! – Ich bleibe bis morgen hier. Wer sich entschließt, findet mich auf meinem Zimmer. Nachher mag man mir nach Kolmar schreiben, notabene, wenn es nicht zu spät ist und Ihr etwa das Nachsehen habt.“


II.

Hier sowohl, wie an vielen andern Orten, entschlossen sich endlich manche, und nicht von den Unwerthesten, zur Uebersiedelung und stellten sich zur bestimmten Zeit, wenn auch schweren Herzens, an den angewiesenen Sammelplätzen ein, von wo sie unter Führung der Unteragenten die lange Reise antraten.

Ihrer warteten harte Prüfungen, und die Kolonie begann unter den schlimmsten Vorbedingungen.

Einmal hatte der biedere Herr Oberstlieutenant Thürriegel – oder von Thürriegel, über diesen Punkt sind die Quellen nicht einig – gleich zu Anfang seinen eigenen Versprechungen ein Bein gestellt. Sechstausend Ansiedler, das macht einen stattlichen Haufen. Zudem konnten sie nur in kleinen Abtheilungen und mehr oder weniger im Verborgenen ihre Heimath verlassen. Er machte sich daher, zur Vervollständigung der Zahl, kein Gewissen daraus, unter anderem sogar die jämmerlichen Reste einer verunglückten französischen Verbrecherkolonie zu übernehmen.

Noch bedenklicher war er mit der königlichen Cedula überhaupt umgesprungen. In seinem „reichen Schatzkästlein“ führte er von den 79 Paragraphen nur diejenigen an, welche sich am schönsten ausnahmen. Es ließ sich dies um so leichter machen, als auch im Originale die haarsträubendsten Bedingungen und Klauseln so geschickt unter der Masse der Einzelbestimmungen versteckt und gewissermaßen ertränkt waren, daß sogar ein gewandtes Auge dieselben mehrmals und aufmerksam durchlesen und zusammenstellen mußte, um ein getreues Bild der angebotenen Verhältnisse auszuscheiden.

Im Grunde handelte es sich nur darum, einen der bestangeschriebenen Günstlinge des Monarchen mit einem beinahe selbständigen – allerdings erst zu schaffenden – Gouvernement auszustatten. Das Wohl der Einwanderer kam nicht in Frage. Sie waren eingeführte Ware, deren man zwar bedurfte, die man aber mit Mißtrauen annahm, Leute, die man von vornherein mit Verbrechern zusammenzählte und drakonischen Strafen unterwarf. Sie waren nicht freie Männer, sondern (zu Ende des 18. Jahrhunderts!) Hörige, an die Scholle gebunden. Sie hatten nur die Nutzniesßung der angewiesenen Erde, nicht aber das rechtliche Eigenthum.

Doch hören wir den spanischen Text selbst.

Er beginnt ganz sachte:

„Den fremden Anbauern ist zur Niederlassung die Gegend eingeräumt, welche unter dem Namen ‚Einöde der Sierra Morena‘ verstanden ist.“

„Während der zur ersten Urbarmachung nöthigen Zeit sorgt der Gouverneur für den Unterhalt der Anbauer. Unnütze Personen, wie stillende Weiber und kleine Kinder, werden inzwischen in den Spitälern von Cordova, Andujar und Almagro untergebracht“.

„Jeder Anbauer oder jeder Haushalt erhält ein Los von fünfzig Fanegas (etwa 30 ha) kulturfähigen Bodens, außerdem das nöthigste Geräthe, und es werden ihm zwei Kühe, fünf Schafe, fünf Ziegen, fünf Hühner, ein Hahn und ein trächtiges Mutterschwein, sowie der Samen für die erste Aussaat anvertraut. Dafür schulden die Kolonisten, außer den allgemeinen Abgaben und Steuern, einen besondern Zehnten, dessen Bestimmung und Eintreibung vorbehalten bleibt und für die ersten, unproduktiven Jahre geschenkt wird.“

Ueberspringen wir zwanzig Paragraphen, so finden wir folgende Verfügungen, welche auf die rechtliche Stellung der Ansiedler schon ein böses Licht werfen:

„Wer innerhalb zweier Jahre sein Los und seine Wohnung nicht in guten Stand gesetzt hat, wird als ein Vagabund angesehen. Er fällt unter die Hand des Gouverneurs, der ihn nach Belieben unter die Soldaten stecken oder zum Schellenwerk[1] verwenden kann.“

„Die neuen Ansiedler dürfen während wenigstens zehn Jahren ihr Anwesen und ihr Dorf unter keinem Vorwande verlassen, weder sie, noch ihre Kinder, noch ihre Knechte. Zuwiderhandelnde fallen unter die Hand des Gouverneurs, der sie unter die Soldaten stecken oder zum Schellenwerke verwenden kann.“

„Auch nach Verfluß dieser zehn Jahre haben die Kolonisten Haus und Boden in gutem Zustande zu unterhalten, wenn sie die Nutznießung davon behalten wollen. Sonst wird ihnen dieselbe entzogen und Fleißigern zugetheilt.“

„Unter keinem Vorwande, selbst nicht unter Erben, kann ein Los getheilt noch können zwei in einer Hand vereinigt werden. Ein jedes muß auf ewig untheilbar je einem Besitzer gehören. Ebensowenig kann auf ein Gut eine Verpachtung irgend welcher Art aufgenommen werden: alles bei Strafe sofortiger Konfiskation.“

In welchem Ansehen die Einwanderer zum voraus standen, davon geben schon die obigen Androhungen eine Probe; andere Paragraphen vervollständigen das erbauliche Bild.

„Sämtliche Kinder werden in der Religion und in der spanischen Sprache unterwiesen, aber in nichts weiter, damit sie ausschließlich zum Ackerbau gezwungen sind.“

Und anderswo heißt es geradezu haarsträubend:

„Zur Beförderung von Mischehen zwischen den Einwanderern und den Eingeborenen kann der Gouverneur Personen beiderlei Geschlechtes aus den Zuchthäusern des Königreiches ziehen, je nach

  1. Eine in Süddeutschland und der Schweiz früher übliche Bezeichnung für Arbeiten, welche von Kettensträflingen, unter Leitung bewaffneter Wächter, im Freien ausgeführt wurden; wie z. B. Straßenkehren, Steineklopfen u. dergl. Sie mag wohl eher aus „Schelmenwerk“ verstümmelt sein als mit „Schelle“ zusammenhängen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_695.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)