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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Saturns zu sein!“ setzte der sonst prosaische Engländer in einem Anfalle von poetischer Laune hinzu.

Die Hauptstadt Carolina – zu Ehren des Königs also genannt – zählt er „unter die artigsten Städte von Europa, wenigstens gewiß von Spanien“. Sie liegt auf einer Anhöhe, von der man die ganze reizende Gegend übersehen kann. Ihre Gestalt ist ein längliches Viereck, welches durch zwei große Hauptstraßen in vier Quartiere getheilt wird; jene sind breit, mit bedeckten Gängen (Arkaden) zu beiden Seiten, unter welchen sich Kramläden befinden. Im Mittelpunkt der Stadt befindet sich ein schöner, runder Marktplatz mit einem von Bäumen umgebenen Springbrunnen. Jedes Quartier ist wieder von kleinern Parallelstraßen durchschnitten, hat seinen eigenen Markt mit einem Brunnen, und jedes Haus besitzt einen kleinen Garten, nur durch Gitterwerk eingeschlossen, damit auch der Vorbeigehende seinen Anblick genieße. Schöne Gebäude sind besonders die Hauptkirche, der Regierungspalast, ein großes Gasthaus und eine Zeug- und Hutfabrik. Die Stadt hat acht Thore, zu welchen hinaus ebensoviel Alleen gepflanzt sind.

„Sollten in Zukunft,“ bemerkt sodann der Engländer, und die spätere Erfahrung gab ihm recht, „mehrere Fabriken dort erstehen, so ist die Lage der Stadt übel, weil sie von der See iinb großen Städten zu entfernt ist, es würde denn der Gllabal.- ynivir bis Andujar schistbar gemacht.“

Die ganze Gegend erscheint auch dem sajor Dalrympel als ein „graßer Garten“; doch ael ihm das periodische Auftreten voll Tertiäraebern auf, welche bei Vernachlässigilng leicht in Fanlaeber ansarteten. Er konnte sich dieselben nicht erklären, da er nirgends stehende Wasser oder sorciste sand. Wahrscheinlich waren sie Ueberbleibsel der ersten bösen Jahre und werden sich wohl gänzlich verloren haben, da ihrer in späteren Berichten nicht gedacht wird.

Außer Carolina, dessen Einwohnerzahl er auf 7000 Seelen schätzt, nennt Townsend zwei andere Städte, Carlotta und Luisiana, mit je 3000 Seelen. Heute ist die letztere – wenigstens als nennenswerthe Ortschaft – ganz verschwunden, während Carlotta annähernd 4000 Einwohner zählt.

So hatten sich also die Kolonisten mit eisernem Fleiße aus Elend und Krankheit herausgearbeitet und waren zu Wohlleben und Besitz gelangt – das heißt, sie glaubten es. Nun erst aber, bitterste aller Enttäuschungen, kamen die bösen Artikel der Cedula zu unerbittlicher Anwendung!

Sie besaßen nur ein Lehen, welches sie weder veräußern konnten noch verlassen durften, aber sie besaßen kein Eigenthum. Was zehnjährige Mühe geschaffen, blieb ihnen – im besten Falle – zu weiterer Ausnutzung anvertraut, der rechtmäßige Besitzer war der Gouverneur. Recht- und schutzlos standen sie unter seiner Willkür. Als unumschränkter Herr und Richter konnte er nach Belieben ein Los für in gutem oder schlechtem Zustande befindlich erklären, es konfiszieren, einem Günstlinge schenken oder es für sich behalten.

Die Söhne, mit Ausnahme des ältesten, waren erb- und besitzlos. Konnten sie nicht eine Erbtochter heiraten, so blieben sie, auf dem väterlichen Gute oder bei Fremden, zeitlebens Knechte. Wohl sollte ihnen nach dem ursprünglichen Plane ein neues, noch unbebautes Los zugetheilt werden; seitdem jedoch die Ansiedlung gedieh, kamen immer mehr Einwanderer aus dem thätigen Katalonien hieher und wurden auf Unkosten der deutschen Kolonisten bevorzugt.

Doch wie und wo klagen? Freiwillig hatten sie, die Fremden, die drakonischen Bedingungen der Cedula angenommen. In Spanien also fanden selbst gerechtfertigte Beschwerden kein Gehör. Noch weniger aber in der alten Heimath, bei den frühern Landesherren, deren Obrigkeit sich die Auswanderer ja entzogen hatten. Die wenigen Deutschen – natürlich nur hohen Standes, denn zu dieser Zeit war Reisen noch eine sehr kostspielige Sache – welche etwa zu ihnen kamen, stiegen beim Gouverneur ab und wurden in ihrer ohnehin vorgefaßten Meinung von dem „Gesindel“ noch bestärkt. Sagt ja sogar der sonst so freisinnige Geschichtschreiber Schlözer in seinem „Briefwechsel“: „Wie kann denn jemand erwarten, daß rechtliche Leute aus Deutschland nach der Sierra Morena ziehen?“

Diese Voreingenommenheit, welche durch die Thatsachen gleich nachher Lügen gestraft wurde, erscheint so recht in dem Briefe eines solchen deutschen Herrn, der, beinahe im gleichen Athemzuge, sich über die „Aufrührer oder Taugenichtse“ beschwert und einige Zeilen weiter die biedern thätigen Arbeiter rühmt.

Nachdem er die „Weisheit“ der Cedula in allen ihren Paragraphen bewundert und den Unzufriedenen vorgeworfen hat, daß sie ja dem Gouverneur sogar die Luft schulden, welche sie einathmen, fährt er fort:

„Von der Vorzüglichkeit aller dieser Verfügungen überzeugt, konnte ich die Klagen der Kolonisten, für welche ich mich im Anfange interessierte, nur noch mit Entrüstung anhören. Die Unzufriedenen hatten mich zu ihren Gunsten eingenommen; ihr Gesicht, ihre Sprache erinnerten mich an ein Land, das mir immer theuer sein wird. Viele glaubten, ich reiste in geheimem Auftrage, ich sollte über ihre Lage in Deutschland Bericht abstatten und für Besserung Schritte thun. Diese irrige Ansicht schmeichelte mir, und ich unterhielt dieselbe, wenigstens durch mein geheimnißvolles Auftreten. Nachdem ich aber erkannt, daß diese Unzufriedenen entweder Aufrührer oder Taugenichtse waren, konnte ich ihren Klagen nur noch mit Gleichgültigkeit begegnen. Ich sagte mir oft: Wenn Deutschland nicht andere Sprößlinge triebe, so schlüge mein Herz nicht so warm für dasselbe.“

Doch wenden wir das Blatt um, so finden wir auf einmal folgendes:

„Schon wenn sie (die Kolonisten) mich nur erblickten, so glänzte ihr Gesicht vor Freude, ohne indessen ihre Thätigkeit zu hemmen. Ich glaubte mich inmitten einer Geßnerschen Idylle zu befinden. Ich sagte zu mir selbst: Da ist er, der Lohn der Arbeit! Wo sind die, so da meinen, daß – in dieser Klasse besonders – Wohlergehn zu Hartherzigkeit und Frechheit führe? Möchten sie zur Stelle sein und diese braven Leute mit ihren spanischen Nachbarn vergleichen, welche in der Faulheit und folglich in der Armuth verkümmern. Unter solchen Gedanken setzte ich meinen Weg fort. Jeder Begegnende erregte meinen Forscherblick. Sah ich ein offenes Gesicht, eine edle Gestalt; blonde Haare, blaue, ehrliche Augen sogleich entschlüpfte das Wort ‚Landsmann‘ meinen Lippen!“

Ein politisches Ereigniß half schließlich den armen betrogenen Kolonisten aus der Klemme. Graf Olavides fiel in Ungnade.

Seine Selbständigkeit fing an, verdächtig zu werden. Zudem waren seine Sitten ausgelassen, und unbesonnene Aeußerungen und Handlungen brachten ihn mit der Inquisition in Konflikt. Man rief ihn nach Madrid. Ein Jahr lang lebte er noch in seinem dortigen Palaste, anscheinend frei, aber im geheimen überwacht, bis er plötzlich eingekerkert wurde. Sein Vermögen hatte er noch rechtzeitig ins Ausland gerettet; zwei Jahre später entkam er selbst, wohl mit stillem Einverständniß des Monarchen. Nach längerem Aufenthalt in Frankreich – wo er während der Schreckenszeit beinahe geköpft wurde – sodann in Italien und schließlich in Genf machte er seinen Frieden mit König und Kirche, schrieb sogar ein streng orthodoxes Werk. „Das triumphierende Evangelium“, und endete seine Tage als ein hochbetagter Greis 1803 in seinem Palaste zu Madrid.

Sein Sturz war für die hinreichend erstarkte, lebensfähige Kolonie ein Glück, denn mit ihm endete zwar ihre Selbständigkeit, aber auch ihre Ausnahmestellung. Wer etwas hatte, wurde wirklicher Besitzer. Mit der Sicherheit des Eigenthums wuchs auch die Freude am Erwerb. Lange noch hielten die Deutschen fest zusammen. Wohl verlor sich nach und nach die Sprache, nicht aber der Menschenschlag.

Im Jahre 1843 schreibt der französische Schriftsteller Theophil Gautier: „Die Bevölkerung der Carolina trägt ihren germanischen Ursprung auf der Stirne geschrieben. Auch zeigt sich derselbe in der ausnahmsweisen Reinlichkeit der Wohnungen und Gasthäuser.“

Die Stadt selbst langweilt ihn, „denn da ist alles nach der Schnur gezogen: wohl sehr praktisch und bequem, aber meinem Auge ist ein zwar elender, doch malerischer Flecken weit angenehmer“.

Während übrigens der wichtigste, d. h. der landwirthschaftliche Theil von „Neu-Deutschland in Spanien“ seine Blüthe beibehielt, kam die Stadt Carolina, ihrer schon oben erwähnten, industriell ungünstigen Lage halber, zeitweilig in bedeutenden Rückstand. Im Jahre 1860 zählte sie nur noch 2000 Seelen, 3900 im Jahre 1870. In neuester Zeit erst ist ihre Einwohnerzahl wieder auf 7782 gestiegen, obwohl sie 18 Kilometer von der Eisenbahnlinie Madrid-Cordova entfernt ist; auch ihre Tuch- und Leinwandfabriken werden rühmend erwähnt.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_698.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)