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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

aus – aber sagt mir, erklärt mir, wie hängt das zusammen? Es war sehr gut von Dir, Paul, die Kleine unter Deinen Schutz zu nehmen, sie hätte sonst wahrhaftig allein reisen müssen! Aber diese Zurückhaltung von Steinhausen geht denn doch zu weit – und mich nicht zu benachrichtigen, wie er es doch fest versprochen hatte –“

„Beste Tante,“ fiel Gregory ein, „Sie können doch wirklich nicht erwarten, daß der Lieutenant von Steinhausen Ihnen die Verlobung Ihrer Enkelin Annaliese mit mir meldet.“

Es wurde für eine Minute ganz still im Zimmer. Fräulein Kunigundens Stickarbeit lag am Boden, im Hintergrund sah die Kanapé, die vor Neugier verging, durch einen Thürspalt – die Augen der Generalin wanderten von einem zum andern. „Verlobung Annaliesens mit wem?“ fragte sie endlich mit schwacher Stimme.

„Mit mir, liebe Tante,“ entgegnete der Professor ruhig.

Die Excellenz ging zum Sofa zurück und setzte sich würdevoll darauf zurecht. „Paul, ich hoffe, Du erlaubst Dir einen Scherz mit mir, obgleich ich hinzufügen muß, daß sich das durchaus nicht schickt und daß es ein sehr schlechter Scherz ist.“

„Meine verehrte Tante, ich habe mir noch in meinem ganzen Leben mit Ihnen keinen Scherz erlaubt, am wenigsten würde ich das in einer so wichtigen Angelegenheit thun.“

Die Generalin wurde immer steifer im Rücken. „Aber das ist empörend! Das ist eine Hinterlist! Das –“

„Sprich nicht weiter, Großmama!“ rief Annaliese in dringendem Ton. Sie kniete neben der alten Dame nieder und zog deren kalte, widerstrebende Hände an ihre Lippen. „Ich liebe nicht Steinhausen, ich liebe Paul! Ich habe auch Steinhausen nie geliebt und weiß genau – hörst Du, Großmama, ganz genau – daß sein Herz nichts für mich empfindet, daß er mich nur aus Berechnung wählen wollte. Ich habe das gottlob noch zur Zeit erfahren und bin dem Zufall dankbar, denn ohne diesen hätte ich nie verspürt, was echte wahre Liebe ist, hätte ich Steinhausen mein Jawort gegeben, nur weil er mir gefiel, weil ich nichts gegen ihn hatte! Aber gegen die zahme Empfindung, die ich für ihn hatte, ist meine Liebe zu Paul wie eine hohe Flamme – wir sind so glücklich, Großmama, so über die Maßen glücklich!“

„Und wenn ich zu diesem Glück meine Zustimmung verweigere?“

„Das wirst Du nicht, Großmama! Ich könnte Dir antworten, daß ich mündig gesprochen bin, aber Du wirst mich nicht zwingen, das zu betonen! Du kannst nicht! Du bist selbst jung gewesen und hast geliebt und durftest glücklich sein –“

„Ich habe mich dem Willen meiner Eltern gefügt!“

„Weil er mit dem Deinigen zusammentraf! Ach, Großmama, wir bitten Dich beide – Paul!“ Er stand schon neben ihr und neigte sich bittend über die Hand der Generalin.

„Tante, liebe verehrte Tante!“

„Du weißt, Annaliese, ich hatte bestimmte Pläne mit Dir. In der ganzen geraden Linie der Guttenbergs –“

„Großmama, laß uns doch einmal abweichen von der geraden Linie! Haben wir nicht das Recht dazu? Du kannst gegen Paul nichts haben –“

„Gott im Himmel, nein! Aber – ich hab’ ihn mir nie zum Gatten für meine Enkeltochter gewünscht. Wenn er wenigstens beim Militär wäre! Er könnte bald Major sein –“

„Mir ist er lieber als Professor!“

Die alte Excellenz griff sich hilflos an die Haube.

„Es ist wie in der Komödie! Dumm und schwach komme ich mir vor. Gern kann ich Dir meinen Segen nicht geben, Kind, obgleich Paul ein Ehrenmann ist, aber am Ende – was kann ich dagegen thun? Himmel, die ganze Stadt wird auf Stützen stehen, wenn man es erfährt! Dazu mußtest Du nach diesem Königsberg gehen? Das hättest Du schließlich auch hier haben können!“

„Nein,“ sagte Annaliese und umarmte glückstrahlend ihren Verlobten und die Großmutter zugleich. „Ich habe dort mein Selbstvertrauen, meine Unbefangenheit und meine Lebenslust wiedergefunden; sie haben es mich dort alle gelehrt, und Paul zumeist, daß man mich lieben könne um meinetwillen!“


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Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
V.
Ein Rundgang bei den außerdeutschen Nationen.


Haben wir in unserem letzten Artikel Deutschlands Antheil an der Kolumbischen Weltausstellung zu schildern gesucht, so wollen wir heute einen gedrängten Ueberblick über die Leistungen der fremden Nationen geben, soweit sie die Weltausstellung beschickt haben.

Schräg gegenüber der deutschen Abtheilung im Industriepalaste erhebt sich der ausgedehnte Kiosk der Franzosen. Nicht ohne eine gewisse Unruhe hatten die deutschen Aussteller der Eröffnung desselben entgegengesehen; als sie endlich erfolgte, durften unsere Landsleute sich hochaufathmend sagen, daß die französische Abtheilung der deutschen keinen Eintrag thue, denn ihr äußerer Aufputz ist keineswegs ein glücklicher zu nennen. Ist auch das große Mittelportal mit der davorsitzenden Statue der Republik von guter Wirkung, so erscheinen doch die Flanken des Kiosks durch die stete Wiederholung der viel zu massiven Karyatiden plump und langweilig. Weitaus glücklicher ist der Schmuck der Innenräume. Hier feiert die französische Dekorationskunst wahre Triumphe, auch verdienen die zur Schau gestellten Gobelins, Bronzen, Limoges- und Sèvresporzellane sowie die Prunkmöbel rückhaltlose Bewunderung. In den Kojen, welche nach der Columbia Avenue zu gelegen sind, hat Königin Mode ihr Reich aufgeschlagen, tagaus tagein versammeln die hier von den berühmtesten Kleiderkünstlern geschaffenen „Kompositionen“ aus Seide, Sammet, Brokat und feinen Pelzen ein dankbares, hauptsächlich aus Damen bestehendes Publikum. Von Wichtigkeit ist auch die im französischen Kommissariatsgebäude untergebrachte Ausstellung der Pariser Gemeindeverwaltung, die sich über alle Gebiete der Gesundheitspflege, Wohlthätigkeit, Erziehung, Polizei, des Bauwesens und der Kanalisation erstreckt und manche neue Anregung bietet. Im Kunstpalast zeigen sich die französischen Maler als unübertroffene Meister in Kolorit und Technik, die Bildhauer überraschen gar häufig durch hohen idealen Schwung und vielfach, besonders bei Wiedergabe kämpfender Thiergruppen, durch eine überaus lebendige Realistik.

Stehen so die Franzosen mit in erster Reihe, so haben die Engländer vielfach Enttäuschung hervorgerufen. Von einem monumentalen Gesamtaufbau ist keine Rede, die englische Abtheilung im Industriepalast tritt nur durch den übermäßigen Flaggenschmuck hervor. Gewiß enthalten die einzelnen Kojen des Schönen und Werthvollen ungeheuer viel, doch vermag England, was die Gesamtwirkung betrifft, nicht mit Frankreich, geschweige denn mit Deutschland sich zu messen. In Bezug auf die äußere Anordnung wird es sogar von allen anderen europäischen Staaten übertroffen, so besonders von Oesterreich, welches die vielfachen Erzeugnisse aller Länder der kaiserlichen und königlichen Krone unter einem prächtigen Monumentalbau vereinigt hat. Besonders schön, reichhaltig und geschmackvoll hergerichtet ist die Ausstellung böhmischer Glaswaren.

Schmuck wie eine von Gebirgsluft umwehte Sennin im Sonntagsgewand zeigt sich die Abtheilung der Schweiz. Vorzügliche Uhren und Musikdosen sowie feine Handarbeiten bilden die wichtigsten Ausstellungsgegenstände des kleinen Ländchens. Einen vornehmen Eindruck macht auch die Koje des Staates Belgien, welcher vorzügliche Fayencen, Teppiche, riesige Spiegelglasscheiben, Spitzen, Jagdgewehre und viele andere Dinge nach Chicago sandte, während Holland ganz besonders in Delfter Porzellan, feinen Likören, in Kakao, Chokolade, Kaffee und anderen Erzeugnissen seiner Kolonien sich hervorthut.

Unsere Nachbarn im Osten, die Russen, haben gleichfalls überraschend Schönes gesandt. Ihre Pelzhändler behaupten auf der ganzen Weltausstellung den ersten Platz; die Steinschleifer haben nicht nur die kostbarsten Schalen aus Jadeït, Nephrit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_703.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)