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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der Straße einen ziemlich umfangreichen Friedhof, auf welchem die Opfer jenes Tages zu ewigem Frieden gebettet sind. An ihnen vorüber sind in den letzten Jahren die Tausende aus Schwaben, Baden, der Pfalz, aus Thüringen, Hessen und Frankfurt entlang gezogen, welche dem alten Baumeister des Reiches „im Ruhestand“ ihre Huldigungen zollten. Für die Toten, die um Kissingen ruhen, gilt wie für alle in den drei letzten deutschen Kriegen gefallenen Kämpfer das Wort, welches Bayern seinen an der Beresina vernichteten Söhnen auf dem bekannten Obelisken in München widmete: „Auch sie starben für des Vaterlandes Befreiung.“

Uebrigens ist die Kissinger Gegend im Jahre 1866 nicht zum ersten Male der Schauplatz heißen Kampfes gewesen. Der Augustinermönch Hieronymus Schneeberger im Kloster zu Münnerstadt hat soeben in einer zum Amtsjubiläum des Regierungspräsidenten Grafen Luxburg herausgegebenen Festschrift „Die Brunnenschlacht“ nachgewiesen, daß das große Treffen zwischen Chatten und Hermunduren, von welchem Tacitus im 13. Bande seiner „Annalen“, berichtet, im Jahre 59 n. Chr. im Saalethal von Neustadt bis Kissingen getobt hat.

Heute freen wir uns des Friedens dieses lachenden Landschaftsbildes, eines der schönsten aus der Umgebung von Kissingen, die wahrlich daran nicht arm ist. Drüben die aufsteigenden Wälder mit ihrem kühlen Schatten an heißen Sommertagen, weiterhin auf lustigem Hintergrunde die Bodenlaube, vor uns die grünen Wiesen, rechts die ansteigenden Höhen, mit reichem Erntesegen bedeckt, so ist der Anblick der Saline in den Julitagen, in welchen Fürst Bismarck gewöhnlich dort einzukehren pflegt. Ausnahmsweise ist er auch wohl schon im Juni und im August dort eingetroffen, aber in der Regel sieht man gegen Mitte Juli die bayerischen Hofequipagen einziehen, welche samt Dienerschaft und Pferden König Ludwig von Bayern dem von ihm hochverehrten Kanzler ein für allemal zur Verfügung gestellt hat, ein Vermächtniß, welches auch vom Prinz-Regenten Luitpold sorglich aufrecht erhalten wird. Wenige Tage später folgt der Fürst, von seiner Gemahlin und in der Regel vom Grafen Herbert Bismarck begleitet. Mit ihnen kommt auch Professor Schweninger, der den Beginn der Kur persönlich zu überwachen pflegt. Der Tag der Ankunft ist stets ein Festtag für Kissingen. Von Ebenhausen her führt nachmittags oder abends die bekränzte Lokomotive den Zug heran. Auf dem Bahnhofe harren die Behörden von Kissingen, die königlichen wie die städtischen, erstere mit dem Badekommissar, letztere mit dem Bürgermeister an der Spitze, zwischen ihnen im hellblauen Waffenrock die Offiziere des Bezirkskommandos, der Vorstand der Post- und Telegraphenperwaltung und Hunderte von Badegästen; in ihrer Mitte mit prächtigen Blumenspenden manche persönlichen Freunde des fürstlichen Hauses, die oft nur um des Verkehrs mit der Familie Bismarck willen sich in Kissingen Stelldichein geben. Weithin schallt der Jubelgruß den Kommenden entgegen, Fürst und Fürstin winken freudig bewegt vom Fenster des Salonwagens. Verbindlich nimmt der Fürst nach dem Aussteigen die Begrüßung der Behörden entgegen, die Fürstin wendet sich in ihrer herzlichen Art den sie umringenden näheren Bekannten und den Damen zu, endlich geht es durch das Fürstenzimmer zu den harrenden königlichen Wagen. Und dann beginnt jene Fahrt durch das hell erleuchtete Kissingen, welche sich bis an die letzten Häuser des Ortes zu einem ununterbrochenen Triumphzuge gestaltet.

An der oberen Saline, einem ehemals fürstbischöflichen Lustschloß, jetzt dem Staate gehörig, empfängt der dortige Pächter Oekonomierath Streit dus fürstliche Paar und geleitet es in die Räume des oberen Stockwerks, die trotz ihrer einfachen Ausstattung doch in den Möbeln und in manchem Stück an den Wänden Zeugniß von dem Sammelfleiß des Besitzers ablegen. Dort haben auch Professor Schweninger und sein Assistent Dr. Chrysander, der oft genannte Sekretär des Fürsten, ihre Zimmer, im unteren Stockwerk sind Räume für die Familienmitglieder vorbehalten und dort befand sich auch ehedem, so lange der Fürst noch im Amt war, die Kanzlei. Wenn der Fürst die Schwelle des Hauses überschritten hat, melden sich bei ihm der Postexpeditor, welchem die auf der Saline für den alleinigen Gebrauch des Fürsten eingerichtete Post- und Telegraphenstation seit langen Jahren übertragen ist, und der Kommandant der kleinen Gendarmerieabtheilung, welche für die Dauer seiner Anwesenheit auf der Saline verbleibt. Hierzu die eigene und die königliche Hofdienerschaft, welche letztere fast nur bei den Ausfahrten Dienst zu thun hat – jedenfalls ein ziemlich umfangreicher Haushalt, der die sonst stille Saline belebt. Steigt der Fürst dann die Treppe zum ersten Stock hinauf, so gelangt er durch eine Thür zur Rechten in den großen Empfangssaal, der sein Licht durch drei nach der Straße und drei nach dem Hofe belegene Fenster erhält, er dient zugleich als Speisesaal. Auf der rechten Seite desselben schließen sich auf der Straßenfront die Zimmer der Fürstin, auf der Hoffront die des Fürsten an. Wenn das fürstliche Paar nach seiner Ankunft diese Räume betritt, findet es sie mit den schönsten Blumenspenden seitens der Stadt und vieler Kurgäste geschmückt, auch andere werthvolle Ueberraschungen fehlen nicht. Kissingen zeichnet sich durch einen prachtvollen Blumen- und namentlich Rosenflor aus, aber man darf wohl behaupten, daß ein recht bedeutender und sicherlich der schönste Theil derselben während der Anwesenheit des Fürsten den Weg nach der oberen Saline nimmt. Ebenso gehen mit der Post zahlreiche Blumenspenden ein, auch aus den bayerischen Bergen kommen Sendungen der schönsten Alpenrosen und erfüllen den Saal mit ihrem würzigen Duft.

Hat der Fürst die Nacht leidlich verbracht – „gut“ gehört zu den Seltenheiten – so nimmt er wohl schon am andern Vormittag das erste Bad. In früheren Jahren ward auch Brunnen getrunken und damit eine vormittägliche Promenade verbunden, in den letzten Jahren ist die Brunnenkur in Wegfall gekommen und der Fürst badet nur. In dem Badehause am Gradierwerk ist das Fürstenbad für ihn hergerichtet, ein der gewaltigen Gestalt angepaßter Baderaum. Wenn der Wagen in der zwölften Stunde unter dem Zuruf der zahlreich versammelten Badegäste vorfährt, so erwartet dort Hofrath Dr. Streit feinen berühmten Badegast und geleitet ihn entblößten Hauptes in die Halle. Draußen harrt das Publikum nach Hunderten, darunter viele Damen und Kinder mit Blumensträußen. Tritt der Fürst nach dem Bade wieder heraus, so beginnt einer der für seine Gesundheit unzuträglichsten und in diesem Jahre sogar gefährlichen Augenblicke. Anstatt sofort nach dem Bade die verordnete und so nothwendige Bewegung anzutreten können, muß der Fürst den Sturm der Begrüßungen über sich ergehen lassen. Da steht er denn einige Minuten und länger entblößten Hauptes inmitten der Menge, nimmt Grüße und Blumensträuße entgegen, theilt Händedrücke aus, hin und wieder muß er auch wohl ein Gedicht einer kleinen Verehrerin anhören. Endlich kann der Spaziergang beginnen, auf welchem ihn einer seiner Söhne, falls diese in Kissingen anwesend sind, oder Professor Schweninger begleitet. Der Fürst trägt den großen grauen oder schwarzen Schlapphut; in der Hand einen festen Eichenstock, so schreitet er hochaufgerichtet einher. Mitunter lenkt er seine Schritte zu der bekannten Bismarckwage, einem Wägehäuschen, auf dessen rothsammetnem Lehnstuhl er einen Augenblick ausruht. Beim Beginn der Kur und vor der Abreise läßt er sich wägen, und auf dieser Wage ist denn auch das körperliche Höchstgewicht des gewichtigsten Staatsmannes Europas mit 247 Pfund festgestellt worden. Im vorigen Jahre war es bis auf 206 Pfund heruntergegangen, jetzt nach der überstandenen Krankheit soll es nur noch 184 Pfund betragen. Es steht indes zu vermuthen, daß in den anderen Angaben das „Bruttogewicht“ mit den Kleidern enthalten ist, während die neueste Wägung im Hause ohne Tuchbekleidung und Stiefel gemacht zu sein scheint. Fühlt der Fürst sich ermüdet oder ist ihm der Andrang des Publikums zu unbequem, so wird der in der Nähe haltende Wagen bestiegen, der ihn in wenigen Minuten zur Saline bringt. Mit den zunehmenden Jahren sind diese Mittagsspaziergänge leider mehr und mehr abgekürzt worden.

Um ein Uhr beginnt die Frühstückstafel, selten, vielleicht niemals ohne Gäste. Sie ist von vornehmer Einfachheit, in der Regel giebt es nur kalte Fleischspeisen und eine warme Schüssel. Das Getränk bildet Münchener Spatenbräu, hier wie in Friedrichsruh und Varzin, und Moselwein. Zum Schluß kommt wohl auch ein guter westfälischer Kornschnaps. Diese Frühstückstafeln gehören, wenn der Fürst nicht durch sein körperliches Befinden behindert ist, meist zu den interessantesten Stunden, die ein Gast im Hause des Fürsten erleben kann. Da plaudert er, an Erinnerungen von Gedenktagen oder an neuere Begebenheiten anknüpfend, und manch werthvoller Beitrag zur Geschichte seiner Zeit ist an der Frühstückstafel oder nachher bei der behaglichen Pfeife seinen Lippen entflossen. Die Unterhaltung dauert oft eine oder mehrere Stunden, je nachdem die anwesenden Gäste dem Fürsten Anregung bieten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_722.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)