Seite:Die Gartenlaube (1893) 778.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

weitem ein Zischen, Pfeifen und Schnurren, das die gestörte Athmung in den Lungen bekundet. Unwillkürlich holt die Mutter selbst tief Athem. Wie gerne möchte sie auch dem Kinde dazu helfen, daß die Luft in dem kleinen Brustkasten weiter vorwärts dringe – doch nein, über eine bestimmte Stelle kommt sie nicht hinaus! Die Qual des kleinen Wesens dauert noch eine Viertelstunde, vielleicht noch länger – für die angstvoll Harrende eine Ewigkeit – bis endlich, nachdem wohl unterdessen auch der Arzt gekommen ist und die nöthigen Hilfsmaßregeln eingeleitet hat, die stürmischen Erscheinungen nachlassen, die Luft plötzlich wieder mit Macht in die Luftröhrchen und Lungenbläschen eintritt und das Kind gerettet ist. Die Schrecken dieser Nacht wird eine Mutter wohl nicht so bald vergessen; wenn sie nur nicht über kurz oder lang wiederkehren!

Ein anderes Bild, nach der Natur gezeichnet! Ein Mann, auf der Höhe des Lebens, scheinbar strotzend von Gesundheit, nur in den letzten Jahren etwas zu fettleibig geworden, merkt, daß ihm das schnelle Gehen sauer wird, daß er beim Treppensteigen leicht außer Athem kommt und beim Bücken rasch die Luft verliert. Das hat ja keine große Bedeutung, darum wird doch in gewohnter Weise wohlgelebt. Nun aber eines Nachts, der Morgen graut bereits, da bricht das Unglück herein. Urplötzlich erwacht der Mann aus dem Schlafe mit dem Empfinden starker Beklemmung auf der Brust, mit großer Athemnoth und unsäglichem Angstgefühl. Luft, Luft! Im Bette kann er es nicht aushalten. Nach Luft schnappend, setzt er sich auf einen Stuhl und sucht, die Arme aufgestützt, mit aller Macht eine leichtere Athmung zu gewinnen. Vergeblich! Das Einathmen erfolgt rasch, der Brustkasten wird gewaltsam in die Höhe gezogen, aber das Ausathmen dauert lange und ist mühevoll, die Bauchmuskeln ziehen sich stark zusammen, das Pfeifen und Rasseln auf der Brust ist weithin vernehmbar. Noch hat der Gequälte die Kraft, ans Fenster zu stürzen, er reißt es auf, die Außenluft dringt frisch und kräftig ins Zimmer, aber leider nicht so in die Lungen, die ihrer bedürfen. Das Gesicht ist unterdessen blauroth geworden, der Körper kalt, mit Schweiß bedeckt, das Herz pocht in rasch aufeinanderfolgenden Schlägen, der Puls ist sehr beschleunigt und schwach. Dieser traurige Zustand dauert lange bange Stunden, bis, im glücklichen Falle, Besserung eintritt, zäher schleimartiger Auswurf entleert wird und die Luftzellen wieder ihre normale Thätigkeit aufnehmen. Eine große Gefahr ist für jetzt über Dein Haupt hinweggezogen, Du gebrochener Mann, der Du mit einem Schlage erfahren hast, welch schwächliches Ding Dein scheinbar riesiger Körper ist. Aber ich muß Dir meine aus vielfältiger Erfahrung geschöpfte Warnung zurufen: „Dieser glücklich überwundene Asthmaanfall wird nicht Dein letzter sein!“

Mit diesen zwei flüchtig angedeuteten Fällen haben wir auch die Erscheinungsweisen von zwei Hauptgruppen des Asthmas vorgeführt, des bronchialen und des cardialen Asthmas. Bei dem ersteren gehen die plötzlichen Anfälle der Athemnoth von den Lungen und den kleinen Verzweigungen der Luftröhre aus, während bei dem cardialen Asthma der Anlaß durch Erkrankung des Herzens oder der arteriellen Blutgefäße gegeben ist. Als Ursache des Bronchialasthmas wird ein plötzlicher Krampf der feinen Luftröhrenzweigchen angenommen oder eine plötzliche Verstopfung ihrer Lichtungen infolge von Schwellung der Schleimhaut und Ansammlung eines besonders zähe beschaffenen Schleimes, Hindernisse, welche den Zutritt der Luft zu den Lungenbläschen sowie den Luftaustritt aus denselben erschweren und dadurch all die beängstigenden Qualen verursachen, welche wir oben geschildert haben. Den unmittelbaren Anlaß zur Auslösung der stürmischen Erscheinungen des Bronchialasthmas giebt bei den dazu veranlagten Personen zumeist ein heftiger Reiz, welcher die Schleimhäute der Athmungsorgane trifft. Als solche Reize sind anzuführen Einflüsse wechselnder Temperatur, feuchtkalten Wetters, welche Erkältungen zu veranlassen geeignet sind, Verunreinigungen der eingeathmeten Luft durch staubartige fremde Körper wie Metall, Holz, Kohle, auch Blütenstaub; Ueberanstrengung der Athmungsorgane durch lautes anhaltendes Sprechen, Singen, Schreien oder Uebermüdung der Lungen durch ungewöhnlich starke Fußtouren. Zuweilen sind es Allgemeinerkrankungen, welche in dem Körper eine Neigung für Bronchialasthma hinterlassen, so die Masern und der Keuchhusten bei Kindern; zuweilen ist die Veranlagung auch eine ererbte und man findet in einer Familie mehrere Mitglieder, welche leicht asthmatisch werden.

Die Anfälle selbst treten plötzlich auf, und zwar entweder ohne jeglichen Vorboten mit aller Macht, wie ein Sturm, der jäh über eine friedliche Landschaft hereinbricht, oder es wird ihr Nahen durch gewisse Anzeichen angedeutet, wie durch öfteres Niesen, Thränen der Augen, Gefühl von Kitzel im Kehlkopfe, Räuspern und Husten. Daß die Asthmaanfälle so häufig zu nächtlicher Zeit und dann zumeist nach Mitternacht und in den ersten Morgenstunden sich einstellen, hat wohl darin seinen Grund, daß im Schlafe leichter jene Ansammlung des zähen Schleimes in den Bronchien (Luftröhrenverzweigungen) stattfindet, die den Luftwechsel in den Athmungsorganen behindert. Die Anfälle sind von verschiedener Häufigkeit und Dauer. Sie können täglich die Qual der Kranken bilden, sie können aber auch freie Zwischenräume von Wochen, Monaten oder noch längerer Zeit gönnen, und wie sie oft nur einige, allerdings schreckensvolle Minuten anhalten, so können sie sich auch auf mehrere Stunden erstrecken.

So furchtbar ein Anfall für den Kranken ist und so beängstigend er für die Umgebung erscheint, das Aeußerste ist doch nur selten zu befürchten, ein tödliches Ende erfolgt im Anfalle selbst nur höchst vereinzelt. Auch sind die Aussichten auf Beseitigung des Leidens, auf Besserung oder Heilung nicht allzu schwach. Sie sind um so günstiger, wenn es sich um ein noch jugendliches Individuum handelt oder um einen Erwachsenen von sonst kräftiger Natur und guter Körperernährung, wenn ferner die Umstände, welche das Asthma hervorgerufen haben, bekannt und solcher Art sind, daß sie vermieden oder beseitigt werden können.

Welche Heilmittel giebt es nun gegen das Bronchialasthma? Die Frage nach den „Heil“mitteln wird von dem Laien mit Vorliebe gestellt und aus leicht begreiflichen Gründen als die Hauptsache angesehen. Die Beantwortung ist aber im Rahmen einer gemeinfaßlichen Darstellung außerordentlich schwierig, ja sie kann geradezu Unheil stiften. Denn, wie ich so oft betone, nur der Arzt, welcher jeden einzelnen Fall genau beobachtet und sich über die Erscheinungen desselben strenge Rechenschaft geben muß, kann auch ermessen, wie und durch welche Mittel er helfend, heilend, mildernd, beruhigend einzugreifen vermag. Während des asthmatischen Anfalls selbst wird er am ehesten zu narkotischen Mitteln seine Zuflucht nehmen, welche Beruhigung der Nerven und Abnahme der Schmerzempfindung herbeiführen. Der Arzt, aber auch nur dieser, ist dadurch oft imstande, einen beruhigenden Schlaf zu veranlassen, welcher den Asthmaanfall zum Stillstand bringt. Seit alter Zeit ist auch bekannt, daß das Einathmen gewisser Dämpfe von pflanzlichen Stoffen eine sehr beruhigende Wirkung auf den asthmatischen Zustand ausübt und die Beschwerden des Anfalls zu lindern vermag. Es werden in dieser Hinsicht gewisse Giftpflanzen besonders gerühmt, so der gemeine Stechapfel (Datura Stramonium), die Tollkirsche (Atropa Belladona); man zündet Blätter davon auf einem Teller an, läßt sie verglimmen und den Dampf von dem Kranken einathmen. Die Industrie, besonders die hochentwickelte und weit verbreitete der Geheimmittel, hat sich des Gegenstandes bemächtigt und aus jenen Blättern Cigaretten fabriziert, welche gegen Asthma angepriesen werden. In der That kann das Rauchen von 1 bis 2 Stück Cigaretten aus den richtigen Pflanzenblättern ganz treffliche Dienste thun und ich kenne selbst asthmatische Damen, die nie ohne wohlgefüllte Cigarettentasche ausgehen. Bei Personen, die gewöhnlich keinen Tabak rauchen, übt zuweilen schon das Rauchen einer Cigarre oder einer Pfeife gemeinen Tabaks günstig auf Abkürzung des asthmatischen Anfalls. Zu gleichem Zwecke werden auch Räucherungen mit Dämpfen von verbrennendem Salpeterpapier oder Arsenikpapier vorgenommen. Ein einfaches, unschädliches und oft Nutzen bringendes Mittel, welches auch der Laie anwenden kann, ist das Einathmen der zerstäubten Wasserdämpfe einer Lösung von je 1 Gramm doppeltkohlensaurem Natron und Kochsalz auf 200 Gramm Wasser. Man kann die Zerstäubung mittels des bekannten Gummiballons bewerkstelligen, welcher zum Pflanzenbespritzen in Gebrauch ist.

Je nach dem vorhandenen Grundleiden und der Körperverfassung des Kranken wird eine ärztliche Verordnung bestimmter Medikamente nothwendig sein, um die Wiederkehr der Anfälle zu verhüten. Ebenso werden auch in gewissen Fällen Brunnenkuren Nutzen stiften. Bei Personen, welche sehr leicht an katarrhalischen Erkrankungen der Schleimhäute des Athmungsapparates leiden,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_778.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)