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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Du bist Onkel Viktor?“ sagte sie endlich wie staunend, „ich habe mich immer sehr darauf gefreut Dich einmal zu sehen, aber - aber ich hatte Dich mir immer ganz anders vorgestellt, Onkel.“

„Wie denn?“ fragte ich befangen, als sei ich ein junger Fant, und hatte nicht den Muth, die kleine Hand zu fassen, die sich mir entgegenstreckte.

Trotz der schwachen Beleuchtung sah ich eine Purpurröthe über ihr Gesicht fliegen. „Ich weist nicht,“ stotterte sie, „ganz anders - Du siehst ja beinah noch ebenso aus wie auf der alten Photographie, welche Mama in ihrem Nähtischchen hatte, Den Nähtisch habe ich geerbt, das Bildchen liegt noch darin - ich will es Dir zeigen, wenn Du kommst. Onkel, warst Du schon bei der Großmama?“

„Ja, aber gesprochen hab' ich sie nicht, Morgen komme ich, und dann helfe ich Euch umziehen, Leni!“

„Bine, Bine! Sehe ich denn Mama wirklich so ähnlich?“

Ich antwortete nicht und in diesem Augenblick kam der alte Drache dieses Hauses von dem nachbarlichen Schwatz zurück und erschrak nicht wenig , als da zwei Leute im Mondschein standen, ganz so, als wären sie hier zu Hause.

„Herr Gott doch,“ rief sie, „und ich hab' doch man Zugeschlossen!“

„Nein, es war offen, Frau Busch,“ antwortete das junge Mädchen.

„Du leiwe Tid, man wird vergeßlich, Herr General, oder wat sünd Sei doch glik?“

„Ja, ja, Mutter Busch, und deshalb ist's gut, daß hier noch mehr Leute wohnen. sorgen kommt Frau von Brenken mit ihren beiden Enkelinnen; da stehen Sie nur 'mal ein Stündchen früher auf und öffnen Sie alle Fenster damit -“

„Herr,“ unterbrach mich die Alte ganz beleidigt, „da oben is alle Dag open west, da is 'ne Luft, die is für Prinzessinnen nich zu slecht und keine Spur voll Staub.“

Und als ich mit dem Mädchen schon die Stufen der Hausthürtreppe zur Straße hinunterschritt, zeterte ihre Stimme noch hinter uns her: „Un allens is wie neu, un auf dem Fußboden können Sei Speck snieden, so propper is da. Goode Nacht, Herr Major oder wat sünd Sei doch glik?“

Ich ging neben Leni, es war wie ein Märchen. Ich gab mir auch keine Mühe, meine nach rückwärts schweifende Phantasie wieder in die Gegenwart zu versetzen. Sie sprach mit der weichen, etwas verschleierten Stimme, ich weiß nicht mehr, was. Ich lauschte nicht den Worten, nur diesem lieben vertrauten Tonfall und als wir endlich in ihrem Hause standen, da zog ich ihre Hand an die Lippen, respektvoll, als sei sie eine kleine Königin; ja, da küßte ich Leni die Hand - und es war doch mein Pathenkind, dem ich noch vor drei Jahren Puppen geschickt hatte. Und verwirrt wie ein Sekundaner hörte ich ihr reizend verlegenes: „Aber Onkel, das darfst Du nicht thun!“

Ich zögerte und hielt die kleine Hand mit meinen beiden fest. „Gute Nacht, Leni!“

Sie duldete das „Leni“, ohne mich zu verbessern. „Gute Nacht, Onkel, auf Wiedersehens Ach, Onkel, Du wirst morgen viel Trauriges hören!“

Und dann stand plötzlich wie aus der Erde gewachsen ein riesenhafter Ulan vor uns und meldete in streng militarischer Haltung: „Herr Lieutenant von Felsenberg schickt mich zur Wache!“

„Gute Nacht!“ sagte sie noch einmal zu mir, und zu dem sann. „Kommen Sie mit hinein!“

Dann war ich allein, in der wunderlichste Stimmung, die ich je gehabt. O diese Wardelinger Luft, der grelle Mondschein und - Herr Gott, diese Aehnlichkeit, diese wunderbare Aehnlichkeit!

Ich fand nur wie im Traume den Weg zum „Deutschen Hause“. Der Wirth begrüßte mich schon in der Thür aufs höflichste. „Wünschen der Herr Major zu speisen? Der Herr Major werden die Beefsteaks noch ebenso delikat finden wie vor zwanzig Jahren. Erinnern sich der Herr Major vielleicht noch meiner, des damaligen Oberkellners Jean? Nicht wahr, den Jean, den kennen Herr Major noch? Habe dann die kleine Emilie geheirathet. Der Herr Major erinnern sich doch noch der kleinen Emilie, die das Kochen hier lernte? Wünschen Herr Major vielleicht im Offizierspeisezimmer zu essen? Einige der Herren sind noch da, der Herr Rittmeister von Schlieben, Herr Lieutenant Randow und Herr von Felsenberg.“

Hol' ihn der Teufel - schon wieder dieser Felsenberg! Muß er überall dabei sein? dachte ich.

In diesem Augenblick that sich die Thür des Speisesaals auf und ein junger Mensch, schon wie ein Bild in der kleidsamen Uniform, schritt säbelklirrend der Hausthür zu.

„Untertänigsten guten Abend, Herr von Felsenberg!“ rief mein diensteifriger Wirth, sich verbeugend.

Ich sah dem hübschen Jungen nach, bis er in der Dunkelheit verschwand, So, so - das ist der Felsenberg! dachte ich. Hm!

„Ich will aus meinem Zimmer speisen,“ sagte ich dann, Droben aber konnte ich doch nicht mit dem gewohnten Appetit essen. Die Uebermüdung natürlich!

Auf Schlaf hoffend, suchte ich mein Lager auf - umsonst. Der verwünschte Mondschein! Diese Wardelinger Luft! Fort, sobald ich morgen mit der „Großalten“ gesprochen hatte! Auf nach dem Süden! Dieser ganze Erinnerungstraum taugte nichts, war nur dazu angethan, einen sonst leidlich vernünftigen Menschen verdreht zu machen. Gegen morgen schlummerte ich endlich ein.

*     *     *

Es war allerdings viel Trauriges, was ich am anderen Morgen von Tante Klara zu hören bekam.

Hella nebst ihrem Gefolge „Donnerwetter“ und „Parapluie“ that mir die Ehre an, mich gegen zehn Uhr im Gasthof aufzusuchen um mich zu benachrichtigen, daß Großmama meiner warte.

„Sie war schon um Neun heute früh ,aufgezäumt’“ sagte das unartige Mädel - „das dauert jetzt schon immer ein bißchen lange, Onkel Viktor, sie hat also um sieben Uhr angefangen, sich zu putzen; ich glaube, sie will durchaus eine Eroberung an Dir machen.“

„Aber Hella, Du bist ein entsetzliches Mädchen!“

„Warum denn?“ Die blauen Augen, die wieder geweint haben mochten, sahen ganz erstaunt zu mir herüber.

„Weil Du in Ausdrücken sprichst wie sie eine wohlerzogene junge Dame nicht gebraucht, noch dazu von ihrer Großmutter.“

Sie zuckte die Achseln. „Ich bin auch gar nicht auf die junge Dame dressiert, Onkel! Wohlerzogenheit ist Ansichtssache. Papa fand jedenfalls meine Erziehung äußerst angemessen. Er hat mir ja auch noch täglich vom Wachtmeister Schmückert Stunde geben lassen.“

„Stunde geben lassen? Reiten natürlich?“

„Reiten und - Gehen, Ich habe richtig exerzieren müssen. Papa sagte immer er wolle ein gesundes Mädel aus mir machen, nicht so ein quackeliges Ding, wie Mama gewesen sein soll. Er sagte, da hätte er genug darunter gelitten. Lieber weniger feine Manieren, aber gesunde Nerven.“

„Ich habe ja nichts gegen den Sport, liebes Kind, aber - die Redeweise! So, nun komm', wir wollen die alte Dame nicht warten lassen.“

Der Unband pfiff den Hunden und wir machten uns auf den Weg nach dem Bayerschen Hause. Als wir über den Rathhausplatz gingen, wo gerade Wochenmarkt abgehalten wurde, stürzte Hella plötzlich auf einen kleinen braunen Pony los, der vor ein Leiterwägelchen gespannt, sich das Leben und Treiben um ihn herum mit noch nicht abgestumpftem Interesse ansah, denn das Spiel seiner Ohren war äußerst lebhaft auch schien ihm das Stillestehen sauer zu werden.

„Hans, mein lieber goldener Hans!“ horte ich das Mädchen rufen, und im nächsten Augenblick hatte sie das Thier um den Hals gefaßt und weinte die bittersten Thrähnen in die krause Mähne, während sie mit der einen Hand in die Kleidertasche fuhr und dem Pony Zucker hinhielt Die dicke Gemüsefrau, jedenfalls die neue Eigentümerin, stemmte die Arme in die Seite und lächelt. „Aber, gnä' Fräulein, gnä' Fräulein, dem geht doch nichts ab! Wie kann man nur so einem Thier nachweinen, das ist 'ne große Sünd'!“

Aber als ob sie nichts hören wollte, riß Hella sich schnell wieder los und kam herüber, Und dann ging sie stumm neben mir her, immer leise schluchzend.

Und wenige Minute später saß ich neben Tante Klara. Sie war mir mühsam bis an die Thür entgegengeschritten; nun mußte ich sie stützen, so zitterte sie in bitterlichem Weinen.

„Ach, ich danke Dir, Viktor, daß Du gekommen bist, ich danke Dir! Ich bin am Rande meiner Kräfte angelangt; es war zu viel. dies alles.“


(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_808.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)