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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Fischzucht.

Von Carl Vogt.
II.

Die freie Fischerei liefert das Fischfleisch zu bestimmten Preisen, die man nicht überschreiten darf bilpch die Kosten der Züchtung und Ernährung.

Wenn auch die Studien über die Ernährung der freien Fische noch bei weitem nicht abgeschlossen sind, so wissen wir doch soviel, daß die Thiere im jugendlichen Alter gänzlich, später großentheils und viele ausschließlich auf lebende Nahrung angewiesen sind. Die junge Brut nährt sich vorwiegend von kleinen, fast mikroskopischen Krebsthierchen, welche die Gewässer bevölkern; je älter die Fischlein werden, je mehr ihr Maul sich vergrößert, desto größere Beute wird verschluckt; alles, was im Wasser lebt, ist willkommen, Insektenlarven, Würmer, Schnecken, Eier von Fischen und anderen Thieren; wenn ihnen die Kiefer und die Zähne gewachsen sind, fallen sie über kleinere Fische, Froschlarven, ja selbst Vögel und Säugethiere her, und viele verschonen die eigene Art nicht. Die jüngsten Fischlein, die eben ihren Dottersack verloren haben, mögen sich sogar von Infusorien und anderen mikroskopischen Wesen so lange nähren, bis sie die kleinen Krebsthierchen bewältigen können. Arten, die einzig und allein von Pflanzenstoffen leben, giebt es überhaupt wohl nicht unter den Fischen, weder des süßen noch des salzigen Wassers; die Wasserpflanzen werden meist nur abgeweidet, um der darin wimmelnden Thiere habhaft zu werden, wobei freilich der Genuß von leblosen Nahrungsstoffen, gehacktem Fleisch etc. nicht ausgeschlossen ist. In dem Wasser wie auf dem Lande wüthet beständig der Krieg aller gegen alle und diesem Kriege muß die Züchtung Rechnung tragen.

Die Bestrebungen zur Beschaffung der Nahrung gingen nach zwei Richtungen auseinander: einerseits suchte man Ersatz für die von der Natur gebotenen Nahrungsmittel, anderseits suchte man die natürlichen Nährthiere und Pflanzen durch zweckmäßige Bewirthschaftung zu vermehren. Man züchtete also nicht nur die Fische, sondern auch das für ihre Nahrung nöthige Gethier bis zu den wenig geschätzten Fischarten hinaus. Halten wir uns zuerst an die Salmonen.

Zur künstlichen Fütterung verwendete man thierische Stoffe, Fleisch, Hirn, Blut, Abfälle, Eingeweide von Thieren aller Art, von Fischen, Fröschen und Säugethieren, Würmer, Muscheln, durch Hacken, Zerstoßen, Zerreiben in eine Form gebracht, welche der Größe des Maules der zu ernährenden Fischlein entsprach. Man kam, nach genauen Versuchen, zu dem Ergebniß, daß man etwa 6 Kilo Fischfleisch oder 5 Kilo Pferdefleisch verfüttern muß, um 1 Kilo Forellenfleisch zu erhalten, das einen durchschnittlichen Marktwert von vier Mark hat; kostet das Kilo Pferdefleisch (von Thieren, die abgethan werden) 16 Pfennig, so ergiebt sich etwa ein Bruttogewinn von 60 Prozent; kostet es 24 Pfennig, so ergiebt sich immer noch ein Bruttogewinn von 40 Prozent, aber bei einem Preise des Pferdefleisches von 32 Pfennig sinkt der Bruttogewinn auf 20 Prozent und deckt kaum noch die allgemeinen Kosten der Unternehmung, die von allen diesen Bruttoerträgnissen abgezogen werden müssen. Da nun infolge der Preissteigerung des Fleisches überhaupt sich überall Pferdeschlächtereien aufgethan haben und der Preis dieses früher zur menschlichen Ernährung nicht verwendeten Materials ebenso wie derjenige der anderen thierischen Abfälle in die Höhe gegangen ist und stets noch in die Höhe geht, so wird bald die künstliche Ernährung der Salmonen durch Fleisch und thierische Abgänge keinen Gewinst mehr abwerfen können.

Sie hatte aber noch andere Nachtheile. Die Fische sind nicht so dumm, als sie aussehen; sie haben namentlich ein gutes Gedächtniß, sowohl in Beziehung auf die Liebe als auch auf die Nahrung. Alle unsere Veranstaltungen von Fischleitern, Fischtreppen etc. beruhen auf der Beobachtung, daß die erwachsenen Fische zum Laichen die Orte aufsuchen, wo sie ihre erste Jugend zugebracht haben; man erleichtert ihnen durch diese Veranstaltungen die Rückkehr oder macht ihnen Orte zugänglich, von welchen sie durch die natürlichen Hindernisse abgesperrt waren. Um sie aber an solche Orte zu bringen, muß man Setzlinge dort aufziehen. Aehnlich verhält es sich mit dem Nahrungsgedächtnisse. Man gewöhnt in geschlossenen Zuchtanstalten die Fische leicht, sich zu bestimmten Stunden an denjenigen Uferstellen zu versammeln, wo ihnen regelmäßig das Futter gereicht wird, auch ohne Glocke; sie kommen herzu, wie die Spatzen an das Fenster kommen, wo man ihnen Körner giebt. Aber, da sie ihr Futter ohne weitere Mühe erhalten, werden die Fische faule Gäuche; ihr Fleisch wird nicht so fest, derb und schmackhaft wie dasjenige der Forellen, die auf lebhafte Jagd im Freien angewiesen sind. Zudem ist es schwierig, das richtige Maß der toten Nahrung zu treffen; zwar hat man berechnet, daß zur Fütterung von tausend zweijährigen Forellen täglich anderthalb Kilo Pferdefleisch nöthig sind, aber dies ist doch nur eine annähernde Schätzung. Bekommen sie nicht Nahrung genug, so wachsen die Fische nur langsam, wodurch der Gewinst an ihrem Fleisch verringert wird; wird ihnen zu viel gereicht, so fault das unverzehrte Fleisch am Boden, verunreinigt das Wasser und verursacht Krankheiten. Man kann sogar behaupten, daß bei ausschließlicher künstlicher Fütterung die Fische sich die Mühe nicht mehr geben, das zu Boden fallende Fleisch aufzulesen.

So mußte man sich denn mehr und mehr der lebendigen Fütterung zuwenden und, wie ich schon sagte, in den geschlossenen Gewässern dieses Material züchten oder auch es in der Umgegend aus Tümpeln, Bächen und Flüssen zusammensuchen. Letzteres war namentlich für die ersten Zeiten eine kümmerliche Aushilfe; die kleinen Krustenthiere so massenhaft zu fischen, als sie zur Ernährung von Tausenden von Setzlingen nöthig sind, war nicht immer leicht, besonders im Frühjahre, wo der Appetit der Setzlinge groß, die Zahl der in den Gewässern lebenden Krustenthierchen nicht so bedeutend ist als im Sommer.

Die Aufzucht von Coregonen zu marktfähigen Individuen war überhaupt in geschlossenen Gewässern unthunlich oder wenigstens sehr schwierig. Abgesehen von dem Umstande, daß Renken, Felchen und Maränen größere Seen mit entsprechender Tiefe verlangen, mußte schwer ins Gewicht fallen, daß diese Fische während ihres ganzen Lebens fast ausschließlich von Krebsflöhen (Cyclopiden), Wasserflöhen (Daphniden) und einigen größeren Arten der letzteren Gruppe (Leptodora, Bythotrephes) leben, die aber auch nur einige Millimeter lang werden. Wie alle anderen Forscher habe ich in dem Magen dieser Fische nie etwas anderes gefunden als massenhaft verschluckte kleine Krustenthierchen; ja selbst der Magen einer ausnahmsweise großen Fera aus dem Genfersee, die über drei Pfund wog und mir von einem Freunde zur Untersuchung übergeben wurde, enthielt nur solche Krustenthierchen. Wie viele Tausende dieser Thierchen von einer so großen Renke täglich verschluckt werden müssen, um die Ernährung im Gleichgewicht zu halten, kann man sich kaum vorstellen. Mag auch hier die menschliche Thätigkeit nicht imstande sein, die nöthige Nahrung für solche große Fische zu beschaffen, so bleibt doch soviel festgestellt, daß für Setzlinge aller Arten, nicht nur der Edelfische, die kleinen Krustenthierchen entweder ganz unentbehrlich sind oder doch eine schätzbare Zugabe zu anderer Nahrung bilden, welche das Gedeihen der Setzlinge wesentlich fördert.

Die Vermehrung dieser Krustenthierchen war also unerläßliches Bedürfniß, und um sie herbeizuführen, mußten die Bedingungen ihrer Ernährung und Fortpflanzung gründlich untersucht und die gewonnenen Kenntnisse praktisch verwerthet werden.

Dies geschah. Man weiß jetzt, daß die meisten dieser Thierchen sich im Sommer massenhaft vermehren, im Herbst aber zu Grunde gehen, nachdem sie sogenannte Wintereier gelegt haben, welche die kalte Jahreszeit überdauern. Sobald sich wieder Wärme einstellt, schlüpfen Junge aus, die unter günstigen Bedingungen so zahlreich wimmeln, daß das Wasser von röthlichen oder bräunlichen Wolken getrübt scheint und man mit einem Zuge eines feinen Netzes viele Tausende erbeuten kann.

Noch auf eine andere, für die Fischzucht selbst höchst bedeutungsvolle Besonderheit wurde man aufmerksam. Man hatte schon lange beobachtet, daß gewisse Kruster plötzlich in Tümpeln erscheinen, die jahrelang trocken lagen und zufällig durch einen Regenguß angefüllt wurden. Die Eier dieser Thiere mußten also oft mehrere Jahre hindurch im trockenen Schlamm ausgedauert haben und entwicklungsfähig geblieben sein. Ja, man fand endlich,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_826.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)