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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

kleine Schleife befestigt war, wie man sie beim Kotillon bekommt, roth und blau – die Regimentsfarben!

Wieder packten sie mich, die alten Schmerzen, und dazu gesellte sich ein neues berauschendes Hoffen.

Ich sprang empor. „Brenken, der Himmel schütze Sie vor Thorheiten!“ Die Worte, die ich vorhin gelesen hatte, tönten mir ins Ohr. Festen Schrittes verließ ich die Stube und nahm mir in der Nähe des Lämpchens Hut und Ueberzieher. Drunten im Hausflur traf ich Bine, sie kam aus dem Zimmer der alten Mutter Buschen, mit einem Fläschchen in der Hand.

„Es hat so lange gedauert!“ sagte sie, „aber oll Mutter Buschen ist schon ein bißchen umständlich, sie hat Tropfen für Tropfen aus einer der großen Flaschen gegossen in der noch die Arnikablüthen umherschwimmen. Du willst fort? Bitte, Onkel, nimm es mit, Dein Diener kann Dir ja leicht den Finger verbinden!“

„Leb’ wohl, Leni,“ sagte ich, das Fläschchen mechanisch in die Tasche meines Ueberziehers steckend, „leb’ wohl, und auf Wiedersehen!“

„Leb’ wohl, lieber Onkel!“ Ihre schlanken Arme hoben sich und legten sich um meinen Hals, und in dem dürftigen Schein des Lichtes sah ich ihr Gesicht vor mir, dicht vor mir die lieben, von schwarzen Wimpern umrahmten Augen, diese rothen, kindlich schön geformten Lippen. – Ach, sie wußte nicht, was sie heraufbeschwor in diesem Augenblick! „Grüße Italien, Onkel, und hab’ Dank für alle Deine Güte, Du lieber, lieber –“

Das „Onkel“ erstickte in dem Kuß, den meine Lippen leidenschaftlich auf die ihrigen preßten, Ich ließ sie hastig, fast erschreckt frei; einen Augenblick sah ich noch ihr rosiges halb verlegenes, halb staunendes Gesicht, dann stürmte ich hinaus.

Gottlob, herbe kalte Luft für meine heiße Stirn, Luft für meine gepreßte Brust – ich konnte frei athmen. Ich schritt in der dem Gasthof entgegengesetzten Richtung davon und nach einer Stunde eiligen Gehens fand ich mich doch wieder vor dem alten Hause. Nirgends mehr Licht, obgleich es kaum neun Uhr war; aber ihr Zimmer lag ja nach dem Garten zu, und – –

„Guten Abend, Onkel! Freut mich, daß ich Dir noch Lebewohl sagen kann,“ tönte eine frische Stimme an mein Ohr.

Unangenehm überrascht fuhr ich herum – natürlich Hella, im Gefolge von „Donnerwetter“ und „Parapluie“.

„Um alles in der Welt, wie kommst Du denn heute abend noch auf die Gasse?“

„Ich war beim Wachtmeister, wegen des Ausreitens,“ sagte sie.

„So?“

„Ja! Du hast mir doch zehn Mark geschenkt, Onkel, und die Gärtnerfrau borgt mir den ‚Hans‘ für fünfzig Pfennig die Stunde.“

„Aha!“

„Du gehst wirklich heute nacht, Onkel?“

„Ja, um zwölf Uhr.“

„Und vorläufig allein!“ kicherte sie. „Nein, Onkel, bist Du ein drolliger kleiner Mensch, daß Du so gar nichts merkst!“

Was wollte sie denn? Aergerlich wandte ich mich um; sollte diese kleine Kröte die Manöver der Frau Großmama richtig durchschaut haben? „Ich merke nie etwas, Hella,“ sagte ich trocken. „Aber nun gute Nacht! Schlafe schön!“

„Na, warte doch ’mal, Onkel, ich muß mich doch bei Dir revanchieren, Du hast mir ja die Teckel gerettet! Darf ich?“ Sie nahm meinen Arm und pfiff den Hunden. „Ich werde Dich nach Hause begleiten, Onkelchen, komm’, und unterwegs erzähle ich Dir etwas und zuletzt gebe ich Dir noch einen guten Rath, mein lieber kleiner Onkel. Also hör’ zu!“

(Fortsetzung folgt.)

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Der Struwwelpeter bei Kaiser Wilhelm I.

Die Leser der „Gartenlaube“ müssen sich noch einmal vom Struwwelpeter erzählen lassen; ich kann aber tröstend versichern, daß dieses zweite Mal das letzte Mal sein wird. In der ersten Nummer der „Gartenlaube“ dieses Jahres habe ich von der Entstehung und den weiteren Lebensschicksalen meines unverbesserlichen Wildlings berichtet und dabei die Bemerkung eingeflochten, daß ich wohl gerne von einer Begegnung mit unserem Kaiser Wilhelm I. Mittheilung machen möchte, daß ich aber vorderhand der Meinung sei, daß damit noch etwas gewartet werden sollte. Diese Bedenken sind nunmehr beseitigt, und so will ich eine kleine Geschichte mittheilen, die nicht ohne Anmuth ist und die zugleich die wohlthuende Absicht erfüllen mag, dem Andenken eines großen und edelherzigen Monarchen, unseres verstorbenen Kaisers Wilhelm I., einige bescheidene Dankworte zu widmen und den Beweis zu liefern, daß dieser heldenhafte und rastlos thätige Fürst auch für die kleinen Bedürfnisse und Freuden des Lebens ein warmes Herz im Busen trug. Zugleich kann ich meinem verstorbenen Freunde, dem Präsidenten von Madai, ein Wort dankbaren Andenkens nachrufen.

In den ersten Wochen des Monats Oktober 1877 war die Einwohnerschaft meiner Vaterstadt Frankfurt a. M. in ungewöhnlicher Aufregung, man errichtete Reihen von Masten, schmückte sie mit Kränzen und grünen Gehängen, Fahnen flatterten, zur Illumination wurden Vorkehrungen getroffen; am Bahnhof und auch noch anderwärts wurden hohe Ehrenpforten eiligst aufgebaut; alle Arten von Ausschüssen waren zusammengetreten, hatten Geld zusammengebracht, und nun verhandelten sie über den Festverlauf. Der Empfang, der Fackelzug, die Kinderzüge, der Fahnenschmuck, „zoologisches“ Frühstück, Umfahrt, Kaiserdiner, Zapfenstreich und anderes mehr, das waren die Gegenstände der Gespräche und der Inhalt der Lokalnotizen der Tagesblätter.

Kaiser Wilhelm hatte der Stadt seinen Besuch auf den 18. und 19. Oktober angesagt, Ich selbst war persönlich nur wenig von der Erregung berührt, da ich eine halbe Stunde von der Stadt entfernt in unserem Krankenhause still meines Amtes waltete. Seit dem Jahre 1848 hatte ich mich der aktiven Theilnahme an unserer kleinen Lokalpolitik sorglich enthalten und hatte die Ansicht ausgesprochen, daß es auch verdienstlich sei, hier in Frankfurt, wo die Mehrheit mitregierte, die Minderheit, welche sich regieren ließ, zu vermehren. Ich und unsere Anstalt, wir befanden uns ganz wohl in solcher Lage.

Da erschien der Pförtner unseres Hauses und übergab mir einen Brief, dessen Empfang ich auf einer Liste von fünf bis sechs Namen bescheinigen mußte; ich that es und schrieb an einem Bericht für den Magistrat weiter; dann aber erbrach ich das Schreiben und las: „Seine Majestät der Kaiser und König laden Euer Hochwohlgeboren auf Freitag den 19. Oktober nachmittags 5 Uhr zum Diner im Kaiserlichen Oberpostamtsgebäude ein. Anzug: kleine Uniform; für die Herren, die keine Uniform tragen, schwarzer Frack und weiße Halsbinde. Auf Allerhöchsten Befehl: von Lucadou, Generalmajor und Kommandant in Frankfurt a. M.“

Das war eine Ueberraschung und eine Genugthuung zugleich. Für die vorgeschriebene Kleidung war bald gesorgt. Der alte Frack wurde aus dem Schranke geholt; zwar meinte meine sorgliche Frau, es sei ganz unthunlich, daß ich in dem alten Kleidungsstück dort erscheinen könne; ich aber entgegnete: „Warum denn nicht? Das ehrwürdige Gewand ist, seit ich es besitze, schon zweimal aus der Mode gekommen und dann doch wieder modern geworden; der alte treue Gesell soll mich bekleidend begleiten.“ Als ich dann später nach dem Festmahl heimkam, war ihre erste Frage: „Wie war es?“ – worauf ich scherzend erwiderte: „Sehr schön! Als ich eintrat, kam der Kaiser auf mich zu und sagte: ‚Hoffmann, was haben Sie für einen wunderschönen Frack an!‘ und ich werde im Leben keinen andern mehr tragen.“ Jetzt hängt der alte Gesell wieder im Schranke und wartet geduldig, ob er noch ein viertes Mal wieder zur Mode werde.

Am nächsten Tage, am 18. Oktober, wehten von unserem Gebäude und von meinem Balkon die deutschen Fahnen, das Wetter war klar und etwas kühl, der Barometer stand hoch und die nächste Zukunft war gesichert. Den Tag über war ich in der Anstalt beschäftigt und konnte erst gegen Abend um halb sechs Uhr nach der Stadt gehen, Alle Straßen und Plätze, durch die der Einzug seinen Weg nehmen mußte, waren aufs reichste geschmückt, vom Bahnhof bis zum Postgebäude auf der Zeil überall Fahnen, Masten mit grünen Gewinden, und ebenso die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_840.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)