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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Herr Weber räusperte sich ein wenig und schob seine Zipfelmütze auf dem Kopf hin unb her.

„O, was die Leute doch snacken! Und denn schicken sie so’n unschuldiges Kind zu mich, daß es mir ausfragen soll! Als wenn ich daüber sprechen möchte, was doch nicht angenehm is, an zu denken!“

„Hatte sie alles Zeug an oder badete sie gerade?“ fragte nun auch Jürgen, und der Kapitän räusperte sich wieder.

„Du mußt nicht so viel fragen, mein Kind!“ bemerkte er dann auf hochdeutsch und in einem so ernsten Tone, daß wir uns unwillkürlich schämten. Aber er war gleich wieder freundlich. „Nu kommt man ein in die Stube und ich schenk’ Euch auch ’was!“

Mit einer Muschel, die sehr schön „kochte“, zogen wir dann wieder ab und warfen beim Gehen noch einen langen Blick auf den Haifisch. Es war doch schade, daß Friedrich Franz Weber nicht darüber sprechen wollte, wie seine Gemahlin aufgegessen worden und ob sie dem Raubfisch gut bekommen war. Im übrigen hatte er es eigentlich auch nicht nöthig; denn wenn er selbst auch nicht darüber sprach, so sprachen andere Leute desto mehr. Bald wußte jedes Schulkind ja fast jedes Wickelkind, daß Friedrich Franz Weber seine Frau auf eine sehr ungewöhnliche Weise verloren hatte und daß er eigentlich bloß durch diese tote Frau auf die Insel gehörte. Er war nämlich aus Mecklenburg und nur Frau Webers Wiege hatte in unserer Heimath gestanden. In welchem Dorfe oder ob in der Stadt – darüber gingen die Meinungen auseinander, und eigentlich war dies auch einerlei. Sie lebte ja nicht mehr und die ganze Landschaft konnte sich gewissermaßen freuen, daß sie einmal in ihr geweilt hatte. Denn das passiert nicht jeder Gegend, daß ihre Einwohner vom Haifisch aufgefressen werden.

(Schluß folgt.)     



Blätter und Blüthen.

Ein zeitgemäßes Wort über den Eintritt in Diakonissenanstalten hat auf der letzten Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins im Oktober d. J. Frau Mathilde Weber aus Tübingen, die verständige und gemäßigte Verfasserin des Buches „Aerztinnen“, gesprochen. Sie ging von dem bekannten Uebelstand aus, daß der Zugang zu den verschiedenen geistlichen und weltlichen Pflegeanstalten ein viel zu geringer ist gegenüber dem stets wachsenden Bedürfniß nach Pflegerinnen einerseits und der Thatsache anderseits, daß oft um eine Stelle zur Stütze der Hausfrau sich 60 bis 80 Mädchen melden. Den Grund einer so auffallenden Erscheinung findet die gerade auf diesem Gebiet vielerfahrene Rednerin nicht in einer Abneigung des weiblichen Geschlechts gegen aufopfernde Pflege und Hilfe überhaupt – tausend Beispiele des täglichen Lebens widerlegen eine solche Vermuthung – sondern in gewissen schwierigen Punkten, welche (auch unserer Erfahrung nach) oft genug mündlich besprochen werden, aber nirgends noch mit so viel Freimuth und so ganz ohne verletzende Spitze dargelegt wurden.

Indem wir mehrere dieser Punkte (die Bezugnahme auf zu strenge religiöse Uebungen z. B.) als vielleicht örtlicher Natur und nicht überall zutreffend übergehen, glauben wir zwei andere hervorheben zu sollen, welche der größeren Betheiligung am Diakonissenberuf in der That hinderlich sind, nämlich erstens die sehr großen Anforderungen an die Arbeitskraft der Schwestern, die oft genug von Tagesanbruch bis abends 9 Uhr in Anspruch genommen werden und häufig dann noch eine Nachtwache übernehmen müssen.

Frau Weber berichtet aus eigener Erfahrung, daß die übermüdeten Diakonissen oft nothgedrungen die einzige Stunde Mittagsruhe statt zu einem Spaziergang oder geistiger Erholung nur zum Schlafen benutzen. Auch sind Ruhetage selten, vielfach keine Erholungsstätten vorhanden, Urlaub aber wird meist nur alle zwei Jahre gewährt. Das sind Uebelstände, welche sich besonders in der Stadt bei hohem Krankenstand durch Epidemien etc. bemerklich machen, wo die gesteigerte Nachfrage die Kräfte der armen Schwestern auf harte Proben stellt.

Aber hierfür schlug die Rednerin ein Auskunftsmittel vor, welches sich in England vortrefflich bewährt und auch bei uns ganz leicht einzuführen wäre: die Einrichtung der „Reserve“- oder „Aushilfsschwestern“, wodurch gebildete Mädchen herbeigezogen werden, die nicht ihre ganze Zeit und Kraft der Sache widmen wollen oder können und doch in Tagen des großen Bedarfs wesentlich zur Erleichterung der überbürdeten Anstaltsschwestern beitragen würden. Sie machen, wie diese, eine ganze Lehrzeit in dem Mutter- oder Krankenhause durch, werden als Schwestern eingesegnet und erhalten ein Schwesterkleid. Dann kehren sie ins Elternhaus zu ihren Familienpflichten heim, und nur wenn vom Mutterhaus der Ruf ergeht: jetzt drohe Ueberbürdung, so haben sie sich an ihren Posteu zu begeben und die angewiesene Pflege nach der Vorschrift zu besorgen. Diese Veranstaltung ist wie geschaffen für die vielen älteren Mädchen, welche den dringenden Wunsch hegen, sich der Allgemeinheit nützlich zu machen und doch aus Rücksicht auf alte Eltern und ihre Pflichten gegen dieselben sich nicht dauernd von ihnen entfernen mögen.

Die zweite Schwierigkeit ist die Bestimmung der Regel, daß alle Pflegeschwestern sich auch den groben Arbeiten des Bodenscheuerns und Waschens zu unterziehen haben. Das ist eine harte Aufgabe für Mädchen, die in der ersten Jugend nicht an derartige Arbeiten gewöhnt wurden. Es werden sich also heute nur Ausnahmsnaturen einem so opfervollen Beruf zuwenden, der allerdings einen reichen Lohn in sich trägt.

Aber die Gesellschaft, die Krankenhäuser und ihr ärztliches Personal haben das dringende Bedürfniß nach geschickten wissenschaftlich gebildeten Pflegerinnen, welche in schweren Fällen zur unentbehrlichsten Hilfe des behandelnden Arztes werden. Da ist denn in der That nicht abzusehen, warum die Hand, welche schwierige Verbände anlegt, das Thermometer handhabt und für den Arzt Beobachtungen ausschreibt, auch wieder, zumal in der Winterkälte, mit Putzbürste und Scheuerlappen umgehen oder die Hauswäsche reinigen muß, während doch bezahlte Hilfe dafür leicht und billig zu haben ist. Von allen, welche die hier berührten Verhältnisse kennen, wird einstimmig dieser Grund als Hinderniß des Eintrittes für viele gebildete Mädchen angegeben. Und eine große Anzahl solcher, welche trotzdem durch religiöse Begeisterung dem Berufe zugeführt wurden, mußte ihn wieder lassen, weil sie über jenen ungewohnten groben Arbeiten erkrankten.

Der Gedanke einer solchen vollkommenen Dienstbarkeit um der Liebe des Nächsten willen ist gewiß ein idealer, ebenso die völlige Unentgeltlichkeit der geleisteten Dienste. Aber die letztere ist durch das selbstverständliche Lebensbedürfniß der Mutterhäuser doch bereits eingeschränkt: jede nur einigermaßen bemittelte Familie schickt nach dem Ende der Pflege mit größtem Dank eine Summe Geldes dahin. Ebenso könnte es mit dem ersteren Gebot gehen, und darauf hinzuwirken, wäre eine segensreiche Thätigkeit für menschenfreundliche Geistliche, Stadtvorsteher und Krankenhausdirektoren. Wir geben gerne die von einer vortrefflichen Frau ausgesprochene Anregung weiter, überzeugt, dadurch zur Förderung einer sehr wichtigen Sache beizutragen. Bn.     

Gutenberg auf dem Reichstag zu Mainz. (Zu dem Bilde S. 869.) Als Rudolf von Gottschall am 30. September dieses Jahres seinen siebzigsten Geburtstag feierte, da hat er selbst der Welt eine Geburtstagsgabe beschert, wie sie würdiger aus eines Dichters Hand nicht fließen konnte. Es war dies ein großes fünfaktiges Drama, dessen Held der Erfinder der Buchdruckerkunst ist und das nach diesem den Titel „Gutenberg“ führt; am Abend des Geburtstages ward es zum ersten Mal mit großem Erfolg im Leipziger Stadttheater aufgeführt. Mit großer Kunst hat Gottschall aus Geschichte und Sage die Werksteine sich geholt, aus denen ein eindrucksvoller dramatischer Bau sich errichten ließ. Da fehlt nicht des Erfinders Geldnoth, die ihn zwingt, mit dem reichen Faust einen verhängnißvollen Pakt zu schließen; dieser Faust aber ist nicht ein gewöhnlicher spekulativer Geldmann, er trägt vielmehr die Züge des Fausts der Volkssage, des Goldsuchers und Mädchenberückers. Adolf von Nassau, der vom Kaiser begünstigte Bewerber um den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, läßt zum Schlusse heimlich die verrathene Stadt überfallen, die flüchtenden Buchdruckergesellen tragen die neue Kunst hinaus in alle Winde: Gutenberg selbst aber findet nicht eine Zuflucht und einen friedlichen Lebensabend am Hofe des Nassauers zu Eltville, wie die Geschichte berichtet, sondern geht unter in der Katastrophe der Stadt, deren Freiheiten er muthvoll vertheidigt hat.

In diesem Kampf um die Freiheiten der Stadt spielt auch die Scene eine wichtige Rolle, welche unser Zeichner herausgegriffen hat. Kaiser Friedrich III. ist nach Mainz gekommen, dort einen Reichstag zu halten; denn ihm liegt daran, daß eine reiche Türkensteuer zum Kampf gegen den Erbfeind aller Christenheit beschlossen werde. Im Saale steht der Thronhimmel des Kaisers, zu seiner Linken die Bank der Ritter, zur Rechten die der städtischen Abgeordneten. Da wollen denn auch die Mainzer ihre Klagen wider Adolf von Nassau vor das Reichsoberhaupt bringen und zum Beweis der ihnen drohenden Vergewaltigungen einen Brief ihres Gegners verlesen. Indessen die Partei des Nassauers, allen voran der „schwarze Herzog“, Graf Ludwig von Veldenz, übertobt und überschreit den Bürgermeister, der zu lesen beginnen will. In kluger Voraussicht dieser Wendung hat nun Gutenberg mit seiner Kunst den Brief vertausendfacht, und als der Lärm kein Ende nehmen will, da streut er mit seinen Gehilfen die Flugblätter, auf denen der Brief gedruckt steht, von einer Galerie hinunter in den Saal. Dieser Eingriff in die geheiligte Ordnung des Reichstags bringt Gutenberg vor den Kaiser. Wir sehen ihn dastehen in edler Haltung, mit schlichten und doch kräftigen Worten sich vertheidigend vor Friedrich III, der mit dem Kurfürsten von der Pfalz und einem Bischof die Mitte einnimmt zwischen den erregten Gruppen der Ritter und städtischen Abgeordneten.

 „Dem Unrecht Krieg!
Das ist die stumme, doch beredte Sprache,
Die ich die toten Zeichen sprechen lehre;
Ich hoff’ zu Gott und allen guten Sternen,
Daß diese Sprache nimmer sie verlernen“ –

so schließt er seine Rede, und der Kaiser ist auch derart eingenommen von ihr und von der „neuen unerhörten“ Kunst, daß er Gutenberg mit einer kurzen Haft entschlüpfen läßt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_874.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)